Gelingt der Befreiungsschlag im Rahmenabkommen?
Einmal mehr diskutiert der Bundesrat den Deal zwischen der Schweiz und der EU. Wo stehen wir in der Debatte? Ein Überblick.

Derzeit diskutiert der Bundesrat das weitere Vorgehen im Europadossier. Bis ein möglicher Entscheid vorliegt, blicken wir zurück.
Was bisher geschah:
Bereits seit fünf Jahren verhandelt der Bundesrat mit der EU über ein Rahmenabkommen. Zu den Verhandlungen ist es gekommen, da die EU neue Marktzugangsabkommen nicht mehr über weitere bilaterale Verträge regeln wollte. Das Rahmenabkommen sollte klären, ob die Schweiz Neuerungen im EU-Recht in fünf Bereichen (Personenfreizügigkeit, Landverkehr, Luftverkehr, technische Handelshemmnisse und Agrarabkommen) automatisch übernimmt, statt stets zu Neuverhandlungen anzusetzen. Weiter steht die Frage im Zentrum, wie bei Auslegungsstreitigkeiten vorgegangen wird. Der Knackpunkt ist hier die Frage, wie verbindlich Urteile des Europäischen Gerichtshofs für die Schweiz sein sollen.
Der Fahrplan bis zum Vertragsabschluss des Rahmenabkommens schien klar, bis Aussenminister Ignazio Cassis vor einigen Monaten überraschend die flankierenden Massnahmen infrage stellte. Die EU kritisiert diese seit Jahren als diskriminierend. Die Massnahmen verpflichten ausländische Arbeitgeber in der Schweiz zur Einhaltung von hiesigen minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen. Cassis' Offenheit zu Änderungen entwickelten sich zum Stolperstein in den Verhandlungen.
Die Schweizer Gewerkschaften – und mit ihnen die SP – reagierten auf Cassis' Vorschlag mit einem «kategorischen Nein». Ein Dorn im Auge war ihnen, dass die EU im Bezug auf die Flankierenden keine Meldefrist von acht Tagen für hierzulande tätige ausländische Firmen mehr vorsah. Diese 8-Tage-Regel ist für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund «unverhandelbar». Da bereits die SVP die flankierenden Massnahmen zusammen mit der Personenfreizügigkeit abschaffen will, kann die Linke faktisch das Zustandekommen eines Abkommens verhindern.
Der Bundesrat ist nun unter Druck: Soll er weiterverhandeln? Das Verhandlungsmandat anpassen? Sistieren? Oder gar abbrechen? Das Zeitfenster schliesst sich offiziell Ende Oktober. Doch obwohl sich die Landesregierung und ihr EU-Ausschuss seit den Sommerferien bereits mehrmals mit dem Thema befasst hat, konnte bisher keine Lösung gefunden werden.
Neuste Entwicklungen:
Lange schien es, als sei der Bundesrat mit seiner Europapolitik in einer Sackgasse angekommen. Recherchen dieser Zeitung weisen nun darauf hin, dass es eine neue Strategie geben könnte: So gebe es eine Mehrheit, die dafür ist, mit der EU weiterzuverhandeln. Dies, ohne dabei das Verhandlungsmandat anzupassen. Um die Verhandlungen am Laufen zu halten, soll der Bundesrat bereit sein, die Kohäsionsmilliarde ins Spiel zu bringen. Er möchte eine entsprechende Botschaft ans Parlament überweisen, die dieses auffordert, einen Erweiterungsbeitrag von 1,3 Milliarden an die EU zu überweisen. Die EU selbst möchte mit diesem Geld den Aufbau der EU-Ostländer vorantreiben.
Gleichzeitig hat sich die EU in den vergangenen Tagen nochmals darum bemüht, der Schweiz den Abschluss des Rahmenabkommens nahezulegen. In einem Interview mit RTS betonte Kommissionspräsident Juncker, dass es im Interesse der Schweiz sei, das Abkommen abzuschliessen.
Was hat das Rahmenabkommen mit dem SVP-Angstruf vor «fremden Richter» zu tun?
Teil des Rahmenabkommens soll auch eine Abmachung zwischen der EU und der Schweiz sein, wie die beiden Parteien Differenzen beilegen können. 2013 hat der Bundesrat den Europäischen Gerichtshof als richterliche Instanz akzeptiert. Seither bekämpft die SVP das Rahmenabkommen mit dem Argument, dass «fremde Richter» die Schweizer Souveränität aushöhlen und die direkte Demokratie abschaffen würden. Im März begegnete der Bundesrat diesem Knackpunkt mit einem Kompromiss und hoffte damit, den SVP-Angstruf zu vermindern. Er präsentierte eine Lösung, mit der sowohl Bern wie auch Brüssel einverstanden sein sollen: Es ist dies ein Schiedsgericht. Dieses bestünde aus je einem Richter aus der Schweiz und der EU sowie einer dritten Partei aus einem unbeteiligten Land.
Wie positionieren sich Befürworter und Gegner?
Innerhalb des Bundesrats gehört wohl die Verkehrsministerin Doris Leuthard (CVP) zusammen mit Aussenminister Ignazio Cassis und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (beide FDP) zu den Befürwortern eines Verhandlungsabschlusses. Eher auf der Bremse stehen die SVP-Bundesräte Ueli Maurer und Guy Parmelin sowie die Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP). Sie befürchtet, dass mit der Ankündigung, die flankierenden Massnahmen aufzuweichen, innenpolitisch zu viel Schaden angerichtet worden sei.
Auch ausserhalb des Rates scheiden sich an den flankierenden Massnahmen die Geister. Die SVP will diese zusammen mit der Personenfreizügigkeit abschaffen, da diese zu einem «stark regulierten und staatlich kontrollierten Arbeitsmarkt» führen würden. Auch der liberale Thinktank Avenir Suisse kritisiert die flankierenden Massnahmen, da diese die Integration von Berufs- und Quereinsteigern, Tiefqualifizierten und Älteren erschweren würden.
Gegen eine Abschaffung der flankierenden Massnahmen kämpft vor allem der Gewerkschaftsbund: Er ist überzeugt, dass die Auswirkungen für die Arbeitnehmenden in der Schweiz verheerend wären. Die Folgen seien Lohndruck, prekäre Arbeitsbedingungen sowie der Verlust von Arbeitsplätzen. Der Gewerkschaftsbund erhält von der SP Unterstützung. Die Partei steht zwar hinter dem Rahmenabkommen, doch gelten auch bei ihr die Flankierenden als rote Linie. So würde die Partei wohl das Referendum ergreifen, wenn die flankierenden Massnahmen aufgeweicht würden.
FDP und CVP stellen sich prinzipiell hinter ein Rahmenabkommen. Die CVP möchte jedoch, dass die Personenfreizügigkeit nicht eingeschlossen wird. Die FDP ihrerseits wünscht die Abschaffung der Guillotinen-Klausel. Diese besagt, dass sofern ein Vertrag gekündigt wird, die anderen Verträge ebenfalls dahinfielen.
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