Generation Blödphone?
Weniger Sex, mehr Einsamkeit: Eine US-Studie über die Folgen von jugendlichem Smartphone-Konsum ist alarmierend. Wie die Situation in der Schweiz aussieht, sagt Medienpsychologe Gregor Waller.
In einem viel beachteten Artikel für das Magazin «The Atlantic» beschreibt die amerikanische Psychologie-Professorin Jean M. Twenge die neuste Generation von Jugendlichen als gesundheitsgefährdet - weil sie zu viel Zeit mit dem Smartphone verbringt. Tatsächlich sind die Mitglieder der sogenannten Generation Z die wahren Digital Natives, die eine Zeit ohne Smartphones und Social Media nicht mehr erlebt haben. Twenge unterfüttert ihren Artikel mit Studienergebnissen, wonach Jugendliche seit der Einführung des iPhones im Jahr 2007 weniger Sex haben, sich einsamer fühlen und weniger schlafen.
Herr Waller, was sagen Sie zu den deprimierenden Resultaten? Was mich daran stört: Sie sind monokausal interpretiert. Wie will man beweisen, dass die erwähnten Missstände durch die Smartphone-Nutzung ausgelöst wurden? Im gleichen Zeitraum ereignete sich die Wirtschafts- und Bankenkrise, viele Amerikaner mussten ihr Haus verlassen, hatten weniger Einkommen, die Jugendlichen blieben länger bei den Eltern. Vielleicht sind die Resultate auch darauf zurückzuführen.
Decken sich die amerikanischen Daten mit Schweizer Studien? Eine entsprechende Schweizer Studie, die James-Studie, die wir durchgeführt haben, zeigt ein anderes Bild. Das nicht digitale Freizeitverhalten von jungen Leuten ist intakt und blieb seit 2010 stabil. Sie treiben viel Sport und treffen regelmässig Freunde und Familie.
Welche Veränderungen im Leben von Jugendlichen haben Smartphones in der Schweiz denn bewirkt? Das Smartphone ersetzt andere Geräte. Es ist Telefon, Computer, Fernsehen, Radio, Zeitung und Zugang zu Social Networks wie etwa Facebook. Mit der Smartphone-Nutzung, die bei Jugendlichen ungefähr drei Stunden pro Tag beträgt, geht deshalb eine Verlagerung einher. Das Fernsehgerät wird zum Beispiel weniger benützt.
Psychische Veränderungen gab es nicht? Die grosse Mehrheit der Jugendlichen erlernt einen positiven Umgang mit dem Smartphone. Sie entwickeln zum Teil neue Verhaltensformen und legen das Handy auch mal bewusst weg. Und man darf nicht vergessen, dass wir immer noch in der Adaptionsphase sind, moderne Smartphones gibt es ja erst seit knapp zehn Jahren.
Für was nutzen Schweizer Jugendliche das Smartphone konkret am häufigsten? Ganz klar, um mit Freunden zu chatten. Oder um Fotos zu machen und diese auf den sozialen Medien zu teilen. Aber auch als Uhr – was für Aussenstehende manchmal den Eindruck erweckt, sie würden das Handy zwanghaft konsultieren. Die klassische Telefonnutzung steht an zehnter Stelle in der täglichen Nutzungshäufigkeit.
Wie viele der Schweizer Jugendlichen ab 14 haben ein Smartphone? 98 Prozent.
Wie viele davon weisen einen problematischen Konsum auf? 10 Prozent.
Ab wann gilt der Handykonsum als problematisch? Eine gewisse Nutzungsdauer, die problematisch ist, gibt es nicht. Aber es gibt verschiedene Symptome, die auf eine Problematik hinweisen: Wenn jemand versucht, seinen Konsum zu reduzieren, aber damit scheitert. Ein weiteres Merkmal: Wie bei substanzgebundenen Süchten muss der Nutzer die Dosis stets erhöhen, um das positive Gefühl, das der Konsum vermittelt, zu erhalten. Ein solches Verhalten lässt sich aber zum Teil mit einfachen Regeln korrigieren, etwa indem man die Handyfunktionen auslagert: etwa einen Wecker oder eine Uhr anschafft. Auch handyfreie Zonen in der Wohnung sind ein Mittel. Generell soll ein gesundes Mass der Nutzung entwickelt werden.
Wenn Jugendliche Hunderte Whatsapp-Nachrichten pro Tag bewältigen müssen – und davon gibt es viele –, ist das kaum ein gesundes Mass. Von einer Handy-Verhaltenssucht reden wir erst, wenn ein Jugendlicher beginnt, die Schule oder soziale Beziehungen zu vernachlässigen, weil er nur noch in der virtuellen Welt lebt. Solche Fälle, die eine professionelle Therapie brauchen, kommen aber sehr selten vor. Zumal Handysucht zum Teil auch temporär ist, als Bewältigungsstrategie für einen Schicksalsschlag zum Beispiel.
Was sind das für Jugendliche – gibt es ein Muster? Nein, weder Geschlecht noch sozioökonomische Faktoren sind ausschlaggebend. Eine leichte Tendenz beobachten wir höchstens bei jüngeren Konsumenten, aber das ist erklärbar: Sie müssen den Umgang erst noch lernen.
Was ist als vorbeugende Massnahme wichtiger: Medienpädagogik an Schulen oder das Vorbildverhalten der Eltern? Das Vorbildverhalten ist enorm wichtig. Viele Eltern sind sich dessen aber nicht bewusst. Das heisst nicht, dass man auf dem Spielplatz kein SMS verschicken darf. Aber wenn beim gemeinsamen Essen das Handy auf dem Tisch ist, muss man sich nicht wundern, wenn der Nachwuchs ständig am Smartphone hängt. Medienpädagogik ist ebenfalls wichtig, aber in einem vernünftigen Mass – vergleichbar mit der Verkehrserziehung.
Wir brauchen wieder mehr Langeweile im Leben, hört man manchmal von Fachleuten. Das würde ich nicht pauschal so sagen. Ich bin zuversichtlich, dass die meisten Jugendlichen von selbst merken werden, ob sie im Zug wieder einmal aus dem Fenster gucken sollten. Und haben wir früher denn wirklich alle gerne aus dem Zugfenster geschaut? Viele haben doch in ein Buch oder eine Zeitung gestarrt.
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