Genf legalisiert seine Sans-Papiers
In einem einzigartigen Pilotprojekt erteilt der Kanton Genf illegalen Einwanderern eine Aufenthaltsbewilligung. Er bekämpft damit auch die Schwarzarbeit.

Für Ruth Dreifuss ist es eine Herzensangelegenheit, für ihre Klienten geht es um die Existenz. Seit zehn Jahren arbeitet die Genfer Alt-Bundesrätin in einer Anlaufstelle für Sans-Papiers als freiwillige Helferin. In Beratungsgesprächen rät die langjährige Innenministerin: «Nehmt eine Schuhschachtel und legt noch kleinste Schnipsel hinein: Bus- und Bahnbillette, Quittungen, Überweisungen und, falls vorhanden, Lohnabrechnungen, AHV- und Krankenkassenkarten. Was ihr in die Schachtel tut, kann eines Tages sehr wichtig werden.»
Dreifuss gehört einem kleinen Kreis von Leuten an, die seit längerem wissen, dass sich in Genf für Sans-Papiers Entscheidendes tut. Sicherheitsdirektor Pierre Maudet (FDP) lancierte 2015 unter dem Namen «Operation Papyrus» ein geheimes Pilotprojekt, das es Sans-Papiers erlaubt, unter klar definierten Kriterien ihren Status zu legalisieren.

Einen Aufenthaltstitel beantragen können Eltern von schulpflichtigen Kindern, die seit fünf Jahren ununterbrochen in Genf leben, sich auf Französisch (Niveau A2) verständigen können, keine Einträge in Betreibungs- und Strafregister haben und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Bei Paaren ohne schulpflichtige Kinder oder Einzelpersonen gilt eine Mindestaufenthaltsdauer von zehn Jahren.
Das letzte Wort hat der Bund
«Die Testphase ist zu Ende. Die Ergebnisse sind erfreulich», informierte Pierre Maudet am Dienstag an einer Medienkonferenz. 590 Sans-Papiers, darunter 147 Familien, hätten seit dem Projektstart eine Aufenthaltsbewilligung (Typ B) bekommen. 290 Gesuche seien noch pendent. Bei sechs Dossiers seien zusätzliche Abklärungen in Gang, so Maudet. Die Personen, die beim kantonalen Integrationsbüro ein Gesuch einreichten, stammen aus Lateinamerika, den Balkanstaaten und den Philippinen und arbeiten als Hausangestellte, in der Gastronomie und auf dem Bau. Maudet betonte: «Es sind Menschen, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und die trotzdem ständig Existenzängste plagen. Die Scheinheiligkeit, dass diese Menschen wie Phantome in unserer Gesellschaft leben, muss beseitigt werden.»
Genf hat sein Projekt mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM) entwickelt, weil der Bund jedes Gesuch autorisieren muss. Gemäss Cornelia Lüthy, Vizedirektorin der Abteilung Immigration und Integration, läuft die Zusammenarbeit gut. Gemäss einer Erhebung des SEM aus dem Jahr 2015 leben in der Schweiz rund 76 000 Sans-Papiers. «Das ist eine Schätzung. Die Dunkelziffer ist gross», so Lüthy. Der Kanton Genf hat gemäss Sicherheitsdirektor Maudet «nur» 13 000 Sans-Papiers. Er sagt darum: «Urbane Zentren wie Zürich, Bern und Basel sind genauso betroffen. Auch sie sollten handeln.»
Mit der Legalisierung von Sans-Papiers bekämpft Genf auch die Schwarzarbeit, von der Arbeitnehmer ohne Aufenthaltsbewilligung häufig betroffen sind. Jedes Gesuch landet am Ende beim kantonalen Arbeitsinspektorat. Die Kontrolleure schreiten ein, wenn sie Lohndumping oder sonstige Ausbeutung feststellen, aber auch wenn Sozialversicherungsbeiträge nicht bezahlt wurden. 200 Arbeitgeber habe man kontrolliert, 54 Prozent der Arbeitsverhältnisse seien gesetzeskonform gewesen, informierte Christina Stoll, Chefin des Arbeitsinspektorats. Stoll geht davon aus, dass sie in Zukunft häufiger eingreifen muss. Arbeitgeber werden auf Widerrechtlichkeiten hingewiesen und, falls sie diese nicht beseitigen, gebüsst.
Doch riskieren Sans-Papiers mit der Regularisierung ihres Aufenthalts tatsächlich, Arbeitgeber in Schwierigkeiten zu bringen und ihre Arbeit zu verlieren? Ruth Dreifuss sagt: «Mehr als den Verlust ihrer Stelle fürchten Sans-Papiers, die Schweiz verlassen zu müssen.» Dies droht Gesuchstellern, wenn der Kanton ihr Gesuch abweist. Bislang gab es noch keinen solchen Fall. Im Dezember 2018 wird Genf ein definitives Fazit ziehen.
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