Geschaffen für die Ewigkeit
In Ravenna dreht sich alles um historische Mosaike. Die unterschätzte Stadt ist eine gute Alternative zu Venedig.

Die Werbung für Ravenna hätte nicht besser sein können. Anfang des 20. Jahrhunderts besuchte Hermann Hesse auf seiner ersten Italienreise die Stadt in der Emilia-Romagna und war tief beeindruckt. Obwohl es schüttete wie aus Kübeln, empfand der schweizerisch-deutsche Schriftsteller auf seiner Erkundung ein unbeschreibliches Vergnügen. Am Ende wagte er einen bemerkenswerten Vergleich mit Venedig: Wer einmal die antiken Mosaike Ravennas genossen habe, «dem ist in San Marco nie recht heimisch zumute».
Heute, über 100 Jahre später, fällt es noch schwerer, sich in Venedig wohlzufühlen: Die verbliebenen Einwohner stöhnen ob der Menschenmassen, die täglich über die Lagunenstadt hereinfallen. Im Vergleich dazu geht es in Ravenna, der einstigen Hauptstadt des weströmischen Reiches, gemächlich zu und her. Hier steht sich niemand gegenseitig auf die Füsse. Das ist auch gut so, denn die Stadt mit 160'000 Einwohnern lässt sich hervorragend zu Fuss erkunden. Auf wenigen Quadratkilometern gibt es zahlreiche Sehenswürdigkeiten zu bestaunen. Einige, etwa frühchristliche und byzantinische Baudenkmäler aus dem fünften und sechsten Jahrhundert, hat die Unesco zum Weltkulturerbe erklärt.
Die Piazza del Popolo ist zweifellos einer der schönsten Plätze Italiens, ausgestattet mit hochwertigem Pflasterstein, Restaurants und zwei markanten Säulen, die im 15. Jahrhundert unter der Herrschaft der Venezianer aufgestellt wurden.
Ravenna überstand den Bilderstreit
Auch die Fussgängerzonen und Altstadtgassen sind hübsch, aber um Ravennas wahre Schönheit zu entdecken, muss man sich in die Kirchen und Bauten hineinbegeben. Dort prangen an Wänden, Decken und auch auf Böden prächtige Mosaike – zweifelsfrei der Unique Selling Point, das Alleinstellungsmerkmal von Ravenna. Nirgendwo gibt es besser erhaltene historische Erzeugnisse dieser Kunstrichtung, auch weil Ravenna den Byzantinischen Bilderstreit im Mittelalter unbeschadet zu überstehen vermochte.
So dreht sich in der Stadt alles ums Mosaik. Es gibt Mosaik-Rundgänge, Mosaik-Nächte, in denen die Schauplätze bis spät geöffnet bleiben, das Hotel Mosaico und zahlreiche Mosaik-Läden mit Werken der ganzen Preispalette. Und wer mit Stein- und Glasstücken selber ein Gemälde gestalten will, hat unter den vielen Workshops die Qual der Wahl.

«Das Wichtigste, was es mitzubringen gilt, ist Geduld», erklärt Luciana Notturni. Die 68-Jährige, eine der besten Kennerinnen der Mosaikkunst, gründete die Mosaic Art School. In ihr können sich Interessierte aus aller Welt einschreiben; von einer eintägigen Schnellbleiche bis zum mehrwöchigen Kurs ist alles möglich. Für die Feinarbeit wäre ein ruhiges Händchen von Vorteil, wie Notturnis Arbeitskollegin Daniela Fruci an einem Beispiel vorzeigt. Mit einem Hammer zerhackt sie die Glasstreifen in kleine Mosaikstücke. Diese drückt sie danach in die elastische Kalkmasse, auf die sie zuvor die Umrisse einer Taube abgepaust hat. Ungefähr einen Vormittag benötigt Fruci für das Bild, das seinen Käufer kurzfristig 150 Euro kosten, aber langfristig erfreuen wird. «Ein Mosaik», so Notturni, «ist etwas für die Ewigkeit.»
Kunstwerke lösten Emotionen aus
Geduld wäre auch beim Betrachten der Abbildungen in den verschiedenen Monumenten der Stadt gefragt. «Die fehlt heute aber leider oft», sagt Expertin Notturni. Viele Besucher würden, um ein Beispiel zu nennen, das Mausoleum der Kaiserin Galla Placidia betreten, den dortigen blau schimmernden Mosaik-Himmel mit den goldenen Sternen anschauen, vielleicht noch «bellissimo» sagen und schon seien sie wieder draussen. «Um zu verstehen, was es mit all den Mosaiken aus dem fünften Jahrhundert auf sich hat, bräuchte es allerdings ein paar zusätzliche Erklärungen.»
Die Mosaike dienten als Informationsträger für religiöse oder politische Botschaften – in einer Zeit, in der es noch keine bewegten Bilder, keine Fotos, kein Instagram gab.
Denn die Kunstwerke wurden einst nicht bloss geschaffen, um die Menschen mit der glitzernden Farbenpracht zu erfreuen. Sondern sie dienten auch als Informationsträger für religiöse oder politische Botschaften – in einer Zeit, in der es noch keine bewegten Bilder, keine Fotos, kein Instagram gab. Notturni: «Man kann sich leicht vorstellen, welch starke Emotionen diese Kunstwerke damals auslösten.»
Wenn man in Betracht zieht, was Ravenna heute kunsthistorisch zu bieten hat, darf man feststellen: Die Stadt ist unterschätzt. Eigentlich müssten mehr Besucher den Weg hierher finden. Gut möglich, dass das in absehbarer Zeit der Fall sein wird. Wegen der Probleme in Venedig schauen sich die Reedereien für ihre Kreuzfahrtschiffe nach Alternativhäfen um. Ravenna mit Porto Corsini käme als Ersatz infrage. Hermann Hesse, der für die Stadt so grosses Vergnügen empfand, hätte sich sicherlich darüber gefreut.
Die Reise wurde unterstützt von der Italienischen Zentrale für Tourismus und den SBB.
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