Geschlagen, bespuckt und bedroht
Beamte werden immer häufiger attackiert. Das zeigt die neue Kriminalstatistik. Vieles erdulden sie aber, ohne Anzeige zu erheben.
Die Zahl der erfassten Straftaten ist in der Schweiz weiter rückläufig. Für das vergangene Jahr verzeichnet die am Montag veröffentlichte polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 439'001 Straftaten. Das sind sechs Prozent weniger als im Vorjahr und so wenige wie noch nie, seit die Statistik 2009 neu aufgesetzt wurde. Abgenommen haben insbesondere Einbrüche und andere Diebstähle.
Ganz anders verläuft die Entwicklung bei den Fällen von Gewalt und Drohung gegen Beamte: Die PKS verzeichnet 3102 Verstösse gegen den betreffenden Artikel im Strafgesetzbuch. Das sind zwölf Prozent mehr als im Vorjahr und so viele wie noch nie. Betroffen sind oft Polizisten, aber auch andere Staatsangestellte wie Busfahrer oder Mitarbeiter der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb). Sie werden beschimpft und bedroht, bespuckt und gebissen, geschlagen und getreten. Manchmal müssen sie gar um ihr Leben fürchten.
Anzeigen- oder Gewaltzunahme?
Zwei Ursachen sind denkbar für den Anstieg: Entweder bringen die Beamten die Delikte häufiger als früher zur Anzeige – oder aber die Gewalt gegen sie hat tatsächlich zugenommen. Das Bundesamt für Statistik (BFS) vermutet, dass Ersteres für einen Teil des Anstiegs verantwortlich ist, und verweist auf den Kanton Freiburg, der nach eigenen Angaben Gewaltdelikte mit einer «Null-Toleranz-Politik» verfolgt und deshalb unter anderem bei der Gewalt gegen Beamte eine steigende Zahl von Anzeigen verzeichne.
Auch die Kantonspolizei Bern fordert seine Beamten dazu auf, gegen sie verübte Delikte anzuzeigen. Kommandant Stefan Blättler, der gleichzeitig der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten vorsteht, kann sich deshalb vorstellen, dass Polizisten öfters als früher eine Anzeige einreichen. Dies alleine erklärt für ihn aber nicht den gesamten Anstieg. «Es kommt auch tatsächlich zu mehr solchen Delikten.» Gestiegen sei zudem die Intensität der Delikte. Komme es etwa bei Demonstrationen zu Ausschreitungen, so münde dies rasch in gefährliche Angriffe gegen Beamte.
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Von einer realen Zunahme geht auch die Kriminologin Nora Markwalder von der Universität St. Gallen aus. Sie verweist auf eine Befragung von Polizisten des Kantons St. Gallen. 35 Prozent der Befragten gaben an, die Straftaten gegen Polizisten hätten deutlich zugenommen, 48 Prozent gingen «eher» von einer Zunahme aus. Kein einziger gab an, die Delikte hätten abgenommen.
Klar ist: Gewalt gehört zum Alltag der meisten Polizisten. Gemäss der St. Galler Studie wurden 83 Prozent der befragten Polizisten in den letzten drei Jahren beschimpft, 55 Prozent sahen sich einem körperlichen Angriff ausgesetzt und 21 Prozent fanden sich in einer lebensbedrohlichen Situation wieder. Die Studie zeigt auch auf, dass die Anzeigerate niedrig ist. Bei den lebensbedrohlichen Situationen meldeten die Polizisten die Übergriffe intern in 57 Prozent der Fälle, bei Beschimpfungen nur gerade in 21 Prozent. «Wir haben festgestellt, dass die Schwelle für eine Anzeige hoch ist», so Markwalder.
Politik fordert höhere Strafen
Über die Gründe für die zunehmende Gewalt gegen Beamte lässt sich nur spekulieren. Kommandant Blättler führt einen allgemeinen Verlust von Respekt vor Amtsträgern an. «Das spüren wir nicht nur bei der Polizei, sondern auch bei Mitarbeitern von Sozialdiensten und gar Rettungssanitätern.» Eine These, die laut Markwalder bisher weder bestätigt noch widerlegt wurde. «Es ist schwierig, einen Grund für die Entwicklung zu nennen.»
Klar ist aber sowohl für die Wissenschaftlerin als auch für den Polizeichef, dass bestimmte Situationen besonders häufig gefährlich für die Polizisten sind. So führen Personenkontrollen oft zu Beschimpfungen, bei Schlägereien im öffentlichen Raum wenden sich die Beteiligten oft gegen die Polizei und im Zusammenhang mit Fussballspielen und Demonstrationen kommt es oft zu lebensgefährlichen Situationen.
«Polizisten müssen damit rechnen, dass ihnen Steine um die Ohren fliegen.»
Auf der politischen Agenda ist die Gewalt gegen Beamte bereits. Erst vorletzte Woche überwies der Nationalrat eine Motion von SVP-Nationalrätin Sylvia Flückiger-Bäni. Sie fordert höhere Strafen für die Täter und eine Meldung an ihren Arbeitgeber. Andere Vorstösse verlangen, dass die Täter immer mindestens drei Tage ins Gefängnis müssen.
Wirken härtere Strafen? Markwalder hält die Wahrscheinlichkeit, dass Täter bestraft werden, für entscheidender als die angedrohte Strafe. «Die Taten konsequent zur Anzeige zu bringen, scheint deshalb der richtige Weg zu sein.» Ähnlich sieht dies Blättler: Wichtig sei, dass die Täter ermittelt und der Strafrahmen ausgenützt werde. Er appelliert deshalb an die Polizisten, Vorfälle zu melden. «Polizisten müssen heute leider damit rechnen, dass ihnen Steine um die Ohren fliegen. Es darf aber nicht sein, dass dies zum Berufsbild gehört.»
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