Geschlecht: Geändert
Transmenschen sollen Geschlecht und Namen unbürokratisch ändern dürfen. Ein drittes Geschlecht sieht der Gesetzesentwurf des Bundesrats aber nicht vor.

Es gibt Männer, Frauen, Mädchen und Jungen. Ab der ersten Minute nach der Geburt gehört ein Säugling der einen oder anderen Kategorie an. In der Regel ist das so – in der Realität aber nicht immer. Bei 30 bis 40 Babys pro Jahr kann in der Schweiz das medizinische Personal das Geschlecht vorerst nicht feststellen. Bei 100 bis 200 Personen entspricht das amtlich verbriefte und biologische Geschlecht nicht deren gefühlter Identität. Die Hochrechnung dürfte die Zahl der Betroffenen unterschätzen. Andere Schätzungen kommen auf 40'000.
Oft nimmt damit eine lange Leidensgeschichte ihren Lauf. «Den Weg zur eigenen geschlechtlichen Identität muss jeder dieser Menschen selber gehen», sagte gestern Justizministerin Simonetta Sommaruga vor den Medien. Doch der Staat soll ihnen dabei künftig weniger Steine in den Weg legen. Darum will der Bundesrat das Zivilrecht anpassen. Für Geschlechts- und Namensänderungen soll eine simple Erklärung beim Zivilstandsamt reichen. Heute ist dafür eine Gerichtsverhandlung notwendig – bis vor einigen Jahren wurden sogar eine Sterilisation und eine operative Anpassung des Körpers verlangt. Ehen mussten geschieden werden.
Seit einigen Jahren verlangen die Behörden zumindest keine körperlichen Eingriffe mehr. Sie setzen damit Empfehlungen der UNO und des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte um. Nun soll das Gesetz dieser Praxis angepasst werden. Der Bundesrat schickte die Vorlage am Mittwoch in die Vernehmlassung. Das letzte Wort wird das Parlament haben.
Missbräuche verhindern
Die Schweizer Interessenorganisation Transgender Network begrüsst die Neuerungen. Sie sieht allerdings auch kritische Punkte. Dass Zivilstandsbeamte im Zweifel eine Erklärung ablehnen oder ergänzende Dokumente anfordern können, etwa ein ärztliches Gutachten, widerspreche dem Ziel der Gesetzesanpassung: «Damit wird das Selbstbestimmungsrecht unterlaufen», begründet Sprecher Henry Hohmann den Einwand des Netzwerks.
Der Bundesrat will mit dieser Regelung Missbräuche verhindern. Die Gefahr dazu schätzt Hohmann aber als gering ein. Aus Argentinien, wo seit 2012 das Recht auf Selbstbestimmung gelte, und aus europäischen Vorreiterstaaten wie Malta gebe es keine entsprechenden Berichte. Michel Montini vom Bundesamt für Justiz will Missbräuche, die im Übrigen strafbar wären, jedoch nicht ganz ausschliessen. «Wenn jemand, der aussieht wie eine Frau, eine Erklärung vorlegt, sie möchte von nun an ein Mann sein, sind Zweifel angebracht», sagt er. Würde deswegen eine Geschlechts- und Namensänderung abgelehnt, könnte die antragstellende Person Beschwerde führen. Meistens, betont Montini jedoch, stelle eine Transfrau oder ein Transmann den Antrag erst, wenn die geschlechtliche Identität auch sichtbar sei.
Druck wegnehmen
Nicht eingegangen ist der Bundesrat auf die Forderung der Interessenorganisation, ein drittes Geschlecht zu schaffen. Ein solches anerkennen heute nur Australien, Indien, Pakistan, Nepal und Malta. Deutschland ist auf dem Weg dahin. Im Nationalrat wird Mitte Juni darüber diskutiert, ob auch die Schweiz weitere Schritte unternehmen soll. Zwei Postulate fordern Berichte dazu. Allerdings will die Regierung unabhängig von der jetzigen Vorlage auf dem Verordnungsweg die dreitägige Frist lockern, bis das Geschlecht nach der Geburt amtlich festgestellt sein muss. Damit will er Druck wegnehmen von Eltern und medizinischem Personal. Denn dafür gebe es keine objektive Rechtfertigung.
Die Babys seien gesund, erläuterten Fachpersonen gestern in einem Hintergrundgespräch. Medizinisch gesehen, gebe es jede Übergangsform zwischen Mann und Frau. Wichtig sei, mit einer Geschlechtsvariante geborene Babys nicht mit der Gruppe der Transmenschen zu vermischen. Schwierig sei es jedoch für beide. Für Udo Rauchfleisch, emeritierter Professor für Klinische Psychologie an der Universität Basel, sind diese Menschen «extrem fremdbestimmt». Dabei seien auch Menschenrechte verletzt worden. Er ist überzeugt, dass die neue Regelung «eine enorme Erleichterung» für sie darstelle. Bundesrätin Sommaruga sieht die Gesetzesanpassung als Teil eines grösseren Plans: Das Zivilrecht soll die unterschiedlichen Lebensentwürfe abbilden und nicht Menschen in ein Raster pressen.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch