Gewerkschafter verweigern Rechsteiner die Gefolgschaft
Der Gewerkschaftsbund unterstützt die AHV-Steuer-Vorlage nicht. Nach harter Debatte lässt die Basis Präsident Paul Rechsteiner im Regen stehen.

Am Ende lässt hinten im Saal sogar einer sein Handy klingeln, penetrant und laut, während vorne Paul Rechsteiner spricht. Dabei ist es eigentlich ein Heimspiel für ihn, den Ende Jahr abtretenden Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB). Rechsteiner spricht im Hotel Ador in Bern vor etwa 100 SGB-Delegierten, doch denen ist nicht nach Abschiedsgeschenk zumute.
Beim wichtigsten Geschäft der Legislatur verweigern sie ihrem Vorsitzenden die Gefolgschaft. Der SGB wird die Steuer-AHV-Reform, die Rechsteiner im Parlament mit ausgehandelt und durch alle Böden verteidigt hat, nicht unterstützen. Er beschliesst Stimmfreigabe.
Nach einer munteren, zweistündigen Diskussion fällt die erste Abstimmung noch knapp im Sinne Rechsteiners aus. 46 Delegierte sind für die Reform, 41 dagegen. Unruhe im Saal, einige Westschweizer waren offenbar verwirrt; das ist nicht unwesentlich, da die Romands die Reform fast geschlossen ablehnen. Doch rasch herrscht wieder Klarheit, der Antrag auf Stimmfreigabe findet mit 50 zu 40 Stimmen eine Mehrheit.
Grösste Gewerkschaft Unia sagt Nein
Damit ist der Fall klar. Der SGB wird sich im absehbaren Abstimmungskampf im Frühjahr 2019 nicht für die Reform einsetzen, die ihr eigenes Spitzenpersonal im Parlament ausgehandelt hat. Im Regen steht neben Ständerat Rechsteiner auch Nationalrat Corrado Pardini, dem es nicht gelungen ist, seine Kollegen in der Geschäftsleitung der Unia von der Vorlage zu überzeugen. Die Unia als grösste Gewerkschaft im Land lehnt die Reform sogar ab.
Der Entscheid erhöht die Nervosität an der Spitze der SP. Ihrem Präsidenten Christian Levrat steht am Samstag dasselbe Abenteuer bevor wie Rechsteiner heute: An einer ausserordentlichen Versammlung in Olten legen die SP-Delegierten ihre Haltung zur Reform fest. Nach dem Verdikt der Gewerkschafter wittern die Gegner des Deals Morgenluft.
SP-Nationalrat Fabian Molina frohlockt auf Twitter, die Unia lehne die Reform ab, und der SGB unterstütze sie nicht. Daraufhin verfasst Nationalrätin Flavia Wasserfallen prompt eine «Ergänzung» für jene, die Molinas Tweet «missverstanden haben könnten»: Der SGB habe zur Reform Ja gesagt und dann wegen des knappen Resultats Stimmfreigabe beschlossen, korrigiert sie.
Viele haben sich mehr erhofft
Wie auch immer: Fest steht, dass der umstrittene «Kuhhandel» – die Reform der Unternehmenssteuern und die Finanzspritze für die AHV – die Linke entzweit. Die emotionale Debatte der Gewerkschafter macht eines deutlich: Viele begreifen nicht, wieso sie jetzt eine Steuerreform unterstützen sollen, die ähnlich aussieht wie die Unternehmenssteuerreform (USR) III, die man letztes Jahr gemeinsam gebodigt hat.
Die einen nehmen dies in Kauf, weil gleichzeitig zum ersten Mal seit 1975 die AHV-Lohnbeiträge erhöht werden sollen. Den anderen genügt das nicht. Der unterschwellige Vorwurf an ihre Abgesandten im Parlament: Sie haben zu wenig gemacht aus dem Sieg bei der USR III.
Auffällig ist, dass die SGB-Spitze ihre Argumentation im Vergleich zur USR-III-Rhetorik neu justiert hat. Zum Beispiel hat sie das Argument der Kantone übernommen, wonach eine Ablehnung der Reform den Steuerwettbewerb massiv anheizen werde. Oder: Neuerdings anerkennt der SGB, dass die geplanten Steuersenkungen in den Kantonen nicht Teil der Steuerreform des Bundes sind, sondern der Entscheid darüber in jedem Kanton separat gefällt wird. Folglich müssten diese Steuersenkungen auch in den Kantonen bekämpft werden. Das war zwar auch bei der USR III so, doch damals hat der SGB selber alles vermischt und die Steuerausfälle auf Kantons- und Bundesebene aufsummiert und hochgerechnet.
Das Glaubwürdigkeitsproblem
Diese Wende in der Argumentation machen nicht alle Gewerkschafter mit. Delegierte aus Genf, Bern, Zürich und anderen Kantonen, in denen Abstimmungskämpfe anstehen, sehen hier ein Glaubwürdigkeitsproblem: Wie kann man als Gewerkschafter die Steuerreform des Bundes unterstützen und danach die kantonalen Steuersenkungen bekämpfen? Das würden die Leute nicht verstehen, warnen sie.
Denn in diesem Punkt hat sich im Vergleich zur USR III tatsächlich nichts geändert. Die neue Vorlage sieht immer noch vor, dass die Kantone jährlich rund 1,1 Milliarden Franken mehr Bundessteuer erhalten. Damit können sie rechtlich zwar machen, was sie wollen. Politisch ist die Idee aber klar: Das Geld soll helfen, die Gewinnsteuern zu senken.
Am Ende der Versammlung tritt Paul Rechsteiner ans Mikrofon und versucht, die Delegierten von der Reform zu überzeugen. Bis dahin wurde die vereinbarte Redezeit eisern durchgesetzt, indem SGB-Chefökonom Daniel Lampart jeweils nach drei Minuten sein Handy klingeln liess. Rechsteiner reichen drei Minuten aber nicht. Lamparts Handy bleibt stumm. In den Reihen der Westschweizer fangen sie an zu tuscheln. Bis einer aus Protest sein Handy erschallen lässt. Er lässt es klingeln, bis Rechsteiner fertig gesprochen hat.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch