Gewollte Gegensätze und grosse Vielfalt
Was das diesjährige Filmfestival in Locarno zu bieten hat.

Einen bewussten Kurswechsel hat Carlo Chatrian, der neue Direktor des Filmfestivals Locarno, nicht vornehmen wollen. Doch auf die Kompromisse, die sein Vorgänger Olivier Père einging, um US-Stars anzulocken, verzichtet er offenbar. Der Vorfreude tut dies keinen Abbruch - im Gegenteil. Wer ein Festival lediglich an Hollywood-Glamour misst, könnte dieses Jahr enttäuscht sein. Für alle anderen kündigt sich eine äusserst vielfältige und vielversprechende Ausgabe an. Auch populäre Stoffe werden reichlich geboten, beispielsweise als Weltpremiere die europäische Komödie «Vijay and I» mit Moritz Bleibtreu.
Eröffnet wird die bedeutendste Kulturveranstaltung des Landes am 7. August mit der Actionkomödie «2 Guns». Als Schlussfilm hat Chatrian - in gewollt grossem Gegensatz - den französischen Dokfilm «Sur le Chemin de l'Ecole» ausgewählt, der am 17. August läuft.
Auf der Piazza Grande feiern zwei Schweizer Filme Weltpremiere: «Les Grandes Ondes (à l'ouest)» von Lionel Baier und der Dokfilm «L'Expérience Blocher» von Jean-Stéphane Bron. Während Baiers Spielfilm die Zeit der Nelkenrevolution in Portugal beleuchtet, hat Bron den umstrittenen SVP-Politiker Christoph Blocher begleitet.
Der ehemalige Bundesrat, der nicht zu den Stammgästen des Festivals zählt, wird der Uraufführung des Films am Dienstag, 13. August, beiwohnen, wie er ankündigte. Bereits in der ersten Festivalhälfte wird mit EU-Kulturkommissarin Androulla Vassiliou hoher Besuch aus Brüssel erwartet. Natürlich werden auch Bundesräte nicht fehlen.
Gewohnt ambitioniert hatte Festivalpräsident Marco Solari angekündigt, die Rolle Locarnos als politische Plattform weiter stärken zu wollen. An der Medienkonferenz in Bern positionierte er das Filmfestival als «eine Art Davos der lombardischen Seen».
Provokante Streifen im Wettbewerb
Chatrian, der für die künstlerische Linie zuständig ist, betonte den Wert der Vielfalt und kündigte an, diese «ans Limit treiben» zu wollen. Insbesondere in der Auswahl für den internationalen Wettbewerb zeigt sich, dass Chatrian vor provokanten Stoffen genauso wenig zurückschreckt wie sein Vorgänger.
Als «Tribut an den B-Film» kündigte er etwa das Werk «L'Étrange couleur des larmes de ton corps» an, das in der Tradition von Kultregisseuren wie Dario Argento zu sehen ist. Für Aufsehen sorgen wird sicherlich auch die Weltpremiere «Feuchtgebiete» von David Wnendt mit der Tessinerin Carla Juri in der Hauptrolle.
In der Buchvorlage von Charlotte Roche jedenfalls thematisiert die Hauptfigur schamfrei diverse Sexualpraktiken und Körperfunktionen. Dass die deutschen Macher von «Feuchtgebiete» ihren Film in Locarno das erste Mal öffentlich zeigen, darf das Festival als Erfolg verbuchen, wobei ein - gewollter - Skandal nicht ausgeschlossen ist.
Weltgeschichte und Dorfschule
Im internationalen Wettbewerb rittern auch drei Schweizer Filme um den Goldenen Leoparden. Thomas Imbach präsentiert das Historiendrama «Mary, Queen of Scots» , während Yves Yersin in seinem Dokfilm «Tableau noir» von einer Schule im Neuenburger Jura berichtet.
Die italienisch-schweizerische Koproduktion «Sangue» von Pippo Delbono handelt vom Tod der Mutter des Regisseurs und von einem Terroristen, der seine Taten nicht bereut. In der Reihe Concorso Cineasti del presente für Erst- und Zweitlinge ist die Koproduktion «L'Harmonie» des Schweizers Blaise Harrison im Rennen.
Entschieden weniger prominent besetzt als in den vergangenen Jahren sind die Jurys, was dem Publikum jedoch einigermassen gleichgültig sein dürfte. Fast 162'000 Eintritte wurden am Festival del film 2012 trotz einiger verregneter Abende gelöst - die Chancen, dass der Rekord dieses Jahr abermals gebrochen wird, sind intakt.
SDA/phz
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