
Wie beurteilen Sie als Psychoanalytiker gleichgeschlechtliche Elternschaft? Nimmt man damit einem Kind nicht die Möglichkeit, sich (s)eine Identität in der Triade Vater, Mutter, Kind zu erarbeiten? G. K.
Liebe Frau K.
Kann man zu diesem Thema etwas Spezifisches «als Psychoanalytiker» beitragen? Ich bezweifle das. Psychoanalyse funktioniert rückwärtsgewandt; sie liefert keine «Risikoanalyse» für die Zukunft. Was es jedoch gibt, sind «Experten» (psychoanalytische, pädagogische, psychiatrische etc.), die fortwährend irgendeinen «Alarm schlagen». Sei es, dass unsere Kinder Tyrannen werden oder verblöden, weil die 68er sie verwöhnen oder der Computer den kindlichen Geist tötet oder was sich dergleichen Bestseller-Autor*innen sonst so an Horrorszenarien ausmalen.
Ich könnte Ihnen parodistische Varianten auf solche Warnungen liefern und über drohende Psychosen durch fehlende Triangulierung und die Erosion des väterlichen Gesetzes schwafeln. Ich fände das sogar noch ganz lustig; es ist aber leider nicht auszuschliessen, dass manchereine*r solchen Nonsens für bare Münze nimmt.
Zudem gibt es bereits genügend psychoanalytisch unterfütterten Quark in diesem Stil und Geist. Dieser speist sich aus einem normativ gewendeten Mama-Papa-Kind-Kleinfamiliarismus, der als unveränderliche anthropologische Grösse genommen oder aber – wie bei manchen Linksfreudianern – zur Wurzel allen kapitalistischen Elends erklärt wird.
Bleiben Sie offen für eine Zukunft, die nicht bloss die Reproduktion der Vergangenheit ist.
In beiden Varianten wird die Familie auf eine sehr antiquierte Art überschätzt. Es mag Leute geben, die an den Ödipuskomplex und seinen Untergang durch Kastrationsangst und die dadurch verursachte Identifikation mit dem Vater glauben (sorry, Mädchen, in dieser Konstruktion bleibt euch nur der üble Penisneid). Für sie sind Familien, die nur aus zwei sozialen Müttern oder zwei sozialen Vätern bestehen, der Beginn des Untergangs der Kultur.
Ein paar Staffeln «Modern Family» (Netflix) können einen auf unterhaltsame Weise von diesem Glauben erlösen. Mitch und Cam haben sicher je einen (charmanten) Sprung in der Schüssel; den haben sie freilich, obwohl sie doch beide in Heterofamilien aufgewachsen sind. Warum sollten die künftigen neurotischen Macken ihrer Adoptivtochter Lily schlimmer ausfallen, nur weil sie zwei schwule Väter hat?
Man kann die Psychoanalyse als eine normative Entwicklungspsychologie lesen, in der bestimmte Identifikationsschritte vollzogen werden müssen, damit aus einem Kind ein gesunder Erwachsener wird. Man kann es aber auch bleiben lassen. Man bleibt dann nämlich offen für eine Zukunft, die nicht bloss die Reproduktion der Vergangenheit ist.
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Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet jeden Mittwoch Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tagesanzeiger.ch
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Was fehlt einem Kind mit zwei Vätern?
Die Antwort auf eine Leserfrage zum Thema gleichgeschlechtliche Elternschaft.