Grausamkeit im Namen der Ehre
Krimi der Woche: Brisant und gleichzeitig bedrückend – im neuen Kriminalroman «Love Like Blood» des britischen Bestsellerautors Mark Billingham geht es um Ehrenmorde.

Der erste Satz:
Sie unterbrachen das Gespräch abrupt, als die Frau auftauchte, auf die sie gewartet hatten.
Das Buch:
Um möglichst einzigartig zu wirken, erfinden viele Krimiautoren immer abstrusere Verbrechen. Dabei kann schon ein Blick in die Zeitung guten Stoff für spannende Geschichten liefern. An dieses einfache Vorgehen hat sich der englische Bestsellerautor Mark Billingham bei seinem neuen Roman gehalten. «Die Ermordung der 19-jährigen Banaz Mahmod im Jahr 2006 war eine der schockierendsten, von denen ich gelesen habe», schreibt er zum Thema seines Romans «Love Like Blood»: «Dass sie einfach deshalb getötet wurde, weil sie sich in den falschen Mann verliebt hatte, ist schon schrecklich genug, aber die Tatsache, dass ihr Tod – der einer schrecklichen Tortur von Vergewaltigung und Folter folgte – von ihrem Vater und in ihrem Onkel organisiert und bezahlt wurde, dass Killer damit beauftragt wurden und andere Familienangehörige die Leiche entsorgten, machte ihn vielleicht zum grausamsten und beunruhigendsten Beispiel für die Ehrenmorde, die dieses Land je erlebt hat.»
Ehrenmorde in Kreisen von Moslems, Hindus und Sikhs in England sind darum das Thema von Billinghams 14. Roman mit dem beliebten Londoner Detective Inspector Tom Thorne als Hauptfigur; er führt ihn hier mit der Heldin seines vorherigen Romans «Die Schande der Lebenden», Nicola Tanner, zusammen. Die Ermittlerin ist beurlaubt, nachdem ihre Lebenspartnerin ermordet worden ist, und sie verdächtigt die Organisatoren von Ehrenmorden, denen sie seit einiger Zeit auf den Zehen herumtrampelt, dieses Verbrechens. Tanner bringt Thorne dazu, den Fall von Amaya und Kamal zu übernehmen. Die beiden wollten gemeinsam ausreissen, um arrangierten Ehen zu entgehen, wurden aber vorher brutal ermordet. Gemeinsam gehen Thorne und Tanner den Spuren eines Killerduos und dessen Auftraggebern nach.
Es kann schnell einmal heikel werden, wenn jemand über Kulturen und Religionen schreibt, die nicht die eigenen sind. Unversehens steckt man in Klischees und Verallgemeinerungen, und man läuft Gefahr, einerseits jenen Menschen, die ihre Religionen friedlich und gewaltfrei leben, Unrecht zu tun, anderseits dumpfen Rassisten in die Karten zu spielen. Mark Billingham war sich dieser Schwierigkeiten bewusst, und es ist ihm gelungen, derartige Klippen zu umschiffen. Billingham ist ein routinierter, konventioneller Erzähler. Der Stoff, den er hier serviert, ist stark. Dennoch geht einem die ganze Grausamkeit und Ungeheuerlichkeit dieser Verbrechen beim Lesen nicht so nahe, wie sie eigentlich sollten. Vielleicht liegt es an der Vorsicht, die der Autor walten lassen musste, dass am Ende die Emotionen etwas zu kurz kommen. Dies ändert jedoch nichts an der Brisanz des Themas und am bedrückenden Gefühl, das Verbrechen im Namen einer unmenschlichen Ehre auslösen.
Die Wertung:
Der Autor: Mark Billingham, geboren 1961 in der englischen Region West Midlands, wuchs in Birmingham auf und studierte Theaterwissenschaften. Mitte der 1980er-Jahre zog er nach London, wo er als Schauspieler vor allem für das Fernsehen arbeitete. Seit 1987 tritt er als Stand-up-Comedian auf. Zu schreiben begann er als Drehbuchautor für TV-Serien. 2001 veröffentliche er seinen ersten Kriminalroman um Detective Inspector Tom Thorne. Die Thorne-Reihe umfasst inzwischen 14 Titel, daneben gibt es drei weitere Romane. Die Bücher werden in zahlreiche Sprachen übersetzt, und viele davon sind Bestseller. Billingham lebt mit seiner Frau und zwei Kindern im Norden Londons.

Mark Billingham: «Love Like Blood» (Original: Love Like Blood, Little, Brown, London, 2017). Aus dem Englischen von Peter Torberg. Atrium Verlag, Zürich, 2017. 431 S., ca. 29 Fr.
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