
Die Bilanz des gestrigen Mittwochs lautet in Kurzform: Die rot-grüne Stadtratsmehrheit hat für alle sichtbar demonstriert, wer in Zürich das Sagen hat. Zurück bleiben zwei Verletzte: FDP-Stadtrat Filippo Leutenegger und sein AL-Kollege Richard Wolff. Beide müssen gegen ihren Willen die Ressorts wechseln. Leutenegger muss vom Tiefbaudepartement ins Schuldepartement, Wolff wandert vom Sicherheitsressort zum Tiefbau.
Diese – in den Worten von Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) – «grosse Rochade» lässt sich politisch deuten. Sie hat aber auch eine persönliche Dimension. Was Letztere betrifft: Leutenegger und Wolff sind die beiden Aussenseiter im Stadtrat. Sie sind mitunter unbequem, schlagen quer und stören das stadträtliche Wohlfühlklima. Dem Vernehmen nach waren 2013, als der alternative Wolff den freisinnigen Kandidaten Marco Camin überraschend geschlagen hatte, auch die links-grünen Stadträte nicht glücklich über das Ergebnis. Sie hätten lieber Camin gehabt, den man als weniger sperrig einschätzte.
Eine innere Logik
Diese persönliche Dimension dürfte es der Stadtratsmehrheit zumindest erleichtert haben, Leutenegger und Wolff vor den Kopf zu stossen. Das eigentliche Motiv hinter dem Manöver war freilich kein persönliches, sondern ein genuin politisches. Die fünf Stadträte aus dem Kreis von SP und Grünen, welche bei der Departementsverteilung Regie geführt haben dürften, wollten alle wichtigen Ressorts unter linke – oder im Fall der Spitäler, die an den Grünliberalen Andreas Hauri gehen – immerhin halblinke Obhut nehmen. Für die beiden freisinnigen Vertreter blieben zwei Bereiche mit begrenzter Einflussmacht: das Schuldepartement und die Industriellen Betriebe, denen künftig der neu gewählte Michael Baumer vorsteht.
Video: Hier spricht einer Klartext
Dass Rot-Grün dem freisinnigen Leutenegger das Tiefbaudepartement entzog, hat vor diesem Hintergrund eine innere Logik: In keinem Ressort trennt sich bürgerliche und linke Politik so klar wie im Tiefbaubereich. Verkehrsführung, Parkplätze, Velowege – sie entzweien Linke und Rechte in Zürich wie kaum ein anderes Thema. Die links-grünen Parteien wollen ihre doppelte Mehrheit – in der städtischen Exekutive wie neuerdings auch im Gemeinderat – nutzen, um ihre verkehrspolitischen Prestigeprojekte voranzutreiben, namentlich im Velobereich. Das, glauben sie, geht nur, wenn ein Stadtrat aus den eigenen Reihen dafür zuständig ist.
Zwei Fragen bleiben. Erstens: Warum realisiert der Stadtrat die politische Relevanz des Tiefbaudepartements erst jetzt? Filippo Leutenegger hat sich in den vergangenen vier Jahren nicht verändert. Warum hat man ihm dann 2014 den Verkehr überlassen? Und zweitens: Warum beklagt sich Richard Wolff? Er bekommt das Schlüsseldepartement schlechthin, welches zudem ideal zu seinem Vorleben als Stadtentwickler und Urbanist passt. Erstaunlich, dass er dem so wenig abgewinnen kann.
Die bürgerlichen Parteien sind grossspurig zur Wahl angetreten – und erlitten am 4. März eine Bruchlandung. Waren bisher immerhin drei Bürgerliche im Stadtrat, sind es künftig nur noch zwei. Der bürgerliche Machtverlust ist also gewissermassen hausgemacht. Gleichwohl weckt die links-grüne Machtdemonstration gemischte Gefühle. Wir sind in der Schweiz zu Recht stolz auf unsere Konkordanzkultur, also auf das Bemühen, alle relevanten politischen Kräfte zu integrieren und angemessen mitwirken zu lassen. Die Ressortverteilung im Zürcher Stadtrat drückt indessen keinen Willen zur Integration aus, sondern zur Marginalisierung der freisinnigen Wahlverlierer. Solche Machtdemonstrationen kommen bei uns nicht gut an – und werden, wenn linke Politiker die Opfer sind, von linker Seite mit ebenso viel Pathos kritisiert wie nun von freisinniger. Man erinnert sich etwa an die Zwangsplatzierung von Simonetta Sommaruga im Justizdepartement nach ihrer Wahl in den Bundesrat vor acht Jahren.
Clever? Oder feige?
Wie die Wählerinnen und Wähler auf die Siegerpose der Linksparteien reagieren, wird die Zukunft zeigen. Sicher ist, dass Rot-Grün die Macht nicht gratis bekommt. Der Preis ist die alleinige Verantwortlichkeit. Es wird künftig keine Ausreden mehr geben, wenn etwas schiefläuft oder nicht klappt. In vier Jahren wird Bilanz gezogen, und dieser Abrechnung werden sich die links-grünen Parteien ganz allein stellen müssen.
Nimmt man die gestrige Medienkonferenz und namentlich die bitteren, frustrierten Worte des versetzten Filippo Leutenegger zum Massstab, ist die Stimmung im Stadtrat derzeit im Keller. Gut möglich, dass sich dies wieder ändert. Leutenegger und Wolff sind erfahrene Politiker – man darf annehmen, dass sie mit Niederlagen umgehen können.
Video: «Es wird ungemütlicher im Stadtrat»
Ob die nun anlaufende Ära als Erfolg oder Misserfolg in die Geschichte eingehen wird, hängt ohnehin nicht davon ab, wie gut oder schlecht die Stimmung im Stadtrat ist. Es gibt handfeste Probleme, die es zu lösen gilt. Und da fällt vor allem eines auf: Ausgerechnet das Gesundheitsdepartement, welches aufgrund der bedrohlichen Schieflage der städtischen Spitäler am stärksten im Fokus steht und fraglos das anspruchsvollste Ressort ist, schieben die Rot-Grünen an einen Neuling ab – und an eine Partei, mit der sie trotz Berührungspunkten noch immer fremdeln.
Man kann das clever nennen, weil es einem Grünliberalen womöglich leichter fällt, eine neue Rechtsordnung für die Spitäler zu finden als einem klassischen Sozialdemokraten. Man kann es aber auch feige nennen: Bei Rot-Grün hält der Wille nach Macht und Einfluss offenbar nur so lange an, wie keine echt schwierige, echt riskante Aufgabe zu meistern ist.
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Grosse Machtdemonstration mit zwei Verletzten
Die rot-grüne Mehrheit zeigt bei der Ressortverteilung im Zürcher Stadtrat ihren Einfluss. Das hat seinen Preis.