
Yulia und ihre achtjährige Tochter kommen an der Schweizer Grenze an.
Yulia: Guten Tag.
Grenzwächter: Ja, guten Tag, darf ich bitte Ihre Pässe sehen?
Yulia: Hier, ich komme aus der Ukraine, aus Mariupol.
Grenzwächter: Gut, dann empfehle ich, sich direkt an eines der Bundesasylzentren zu wenden. Dort können Sie einen Ausweis S beantragen. Damit haben Sie als Geflüchtete für ein Jahr Anspruch auf Unterkunft, Sozialhilfe und medizinische Versorgung. Ihre Tochter darf zur Schule, und Sie dürfen arbeiten gehen.
Yulia: Das ist lieb von Ihnen, vielen Dank.
Grenzwächter: Sehr gern.
Yulia: Ich bin wirklich beeindruckt, wie liebevoll die Schweiz uns aufnimmt. Das hätte ich nicht gedacht.
Grenzwächter: Um ehrlich zu sein, ich auch nicht.
Yulia: Sie auch nicht?
Grenzwächter: Ja, das ist für mich völlig ungewohnt. Die Schweiz arbeitet eigentlich seit Jahren daran, Flüchtlinge wie Sie fernzuhalten.
Yulia: Ja?
Grenzwächter: Ja, unser Parlament erlässt die ganze Zeit Gesetze, die Leute wie Sie abschrecken sollen.
Yulia: Abschrecken? Wie denn?
Grenzwächter: Da gibt es viele Mittel. Man lässt Kriegsflüchtlinge gar nicht erst ins Land.
Yulia: Nicht?
Grenzwächter: Man nimmt den Flüchtlingen an der Grenze ihr Geld ab, weil sie ja dann vom Staat versorgt werden.
Yulia: Aber wir haben doch fast nichts.
Grenzwächter: Man verbietet Flüchtlingen, in der Schweiz zu arbeiten.
Yulia: Aber ich bin Deutschlehrerin. Ich könnte hier arbeiten.
Grenzwächter: Weiter sollten Menschen wie Sie so wenig Sozialhilfe wie möglich bekommen.
Yulia: Aber wovon leben wir dann?
Grenzwächter: Man verunmöglicht Flüchtlingen, ihre Töchter und Söhne nachzuziehen.
Yulia: Was?
Grenzwächter: Fluchthelfer sollen hart bestraft werden.
Yulia: Aber ohne Helfer wäre ich gar nicht erst hier angekommen.
Grenzwächter: Flüchtlingen wird es verboten, Verwandte in den Nachbarländern zu besuchen.
Yulia: Aber ich will meine Verwandten aus Mariupol in Deutschland besuchen, das spendet uns allen Trost.
Grenzbeamte: Man verbietet Flüchtlingen, in ihr Heimatland zu reisen.
Yulia: Aber mein Mann ist im Krieg. Wenn ihm etwas passiert, darf ich nicht in die Ukraine?
Grenzwächter: Das gilt für Sie zum Glück alles nicht. Sie glauben nicht, wie froh ich darüber bin. Ich musste schon genau hier an der Grenze Kinder abweisen, die so alt sind wie Ihre kleine Tochter. Die Kinder haben auf der kalten Strasse am Grenzbahnhof übernachtet, schrecklich. Ich bin selbst sehr froh darüber, dass sich die Regeln wenigstens für Ukrainer geändert haben und ich Sie jetzt unkompliziert und herzlich begrüssen darf.
Yulia: Vielen lieben Dank.
Grenzwächter: Alles Gute für Sie, auf Wiedersehen!
Amira und ihre achtjährige Tochter kommen an derselben Grenze an.
Amira: Guten Tag.
Grenzwächter: Ja, Grüezi, bitte Ihre Pässe.
Amira: Hier, wir kommen aus Syrien, Aleppo.
Grenzwächter: Oh, tut mir leid, da kann ich Sie leider nicht aufnehmen.
Amira: Aber meine Mutter lebt in der Schweiz. Wir sind eine Familie, wir brauchen einander. Ich wurde von den Assad-Leuten verfolgt und von den Islamisten, weil ich als Lehrerin gearbeitet habe …
Grenzwächter: Tut mir leid. Alles Gute für Sie, Adieu!
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Kolumne von Laura de Weck – Gute und schlechte Kriegsflüchtlinge
Willkommen! für Menschen aus der Ukraine. Adieu! für alle anderen.