«Habe mir das Süsse abgewöhnt»: So lebt man ohne Zucker
Die Schweizer sind zuckersüchtig. Dass es auch anders geht, zeigt Food-Bloggerin Dominique Bachmann.

Die Schweizer gehören weltweit zu den grössten Zuckerliebhabern. Und sie wollen auch nicht um ihrer Gesundheit willen darauf verzichten, wie eine Recherche der SonntagsZeitung zeigt. Die Lebensmittelhersteller beklagen sich nun darüber, dass zuckerreduzierte Produkte bei den Konsumenten schlecht ankommen. Eine, die sich über weniger süsse Müesli und Joghurts freuen würde, ist die Zürcher Food-Bloggerin Dominique Bachmann. Sie isst seit zwei Jahren zuckerarm und kritisiert die fehlenden Alternativen in den Läden.
Warum essen Sie keinen Zucker mehr?
Ich hatte einen Schock, als ich angefangen habe, Bücher darüber zu lesen. Ich merkte, dass ich schon zum Zmorge wahnsinnig viel Zucker zu mir nahm, obwohl ich das Gefühl hatte, gar nichts Süsses zu essen. Und das nur, weil ich Müesli oder Cornflakes mit Fruchtjoghurt gegessen habe. Ich fing an, mir aufzuschreiben, wie viel Zucker ich über den Tag verteilt zu mir nahm, ohne Kuchen oder Schokolade zu essen. Das war im Januar 2016.
Wie schwierig war der Ausstieg?
Zuerst habe ich Sachen herausgepickt, die sehr viel Zucker enthalten und diese substituiert. Also die Cornflakes weggelassen und Haferflocken gegessen und Frucht- durch Naturejoghurt ersetzt. Ein Stückchen Schokolade gab es aber trotzdem noch. Ich wollte nicht von hundert auf null herunterfahren, weil sich das nach Diät angefühlt hätte.
Wie hat Ihr Körper reagiert?
Ich hatte Symptome wie Heisshungeranfälle, Kopfweh und Schlaflosigkeit, ähnlich wie bei einem Kaffeeentzug. Das ging ca. zwei Wochen, dann war es weg.
Und danach ging es Ihnen besser?
Ich hatte schlagartig weniger Kopfschmerzen, war tagsüber viel weniger müde und habe knapp fünf Kilo Gewicht verloren. Was ich immer noch merke, ist, dass ich viel reinere Haut habe.
«Wenn ich durch einen Laden laufe, haben 90 Prozent der Produkte Zucker drin.»
Ist Zucker eine Sucht?
Meiner Meinung nach ja. Rein der psychische Entzug, etwas nicht mehr essen zu können, löst im Hirn etwas aus, ein übermässiges Verlangen. Ich glaube, das ist ein suchtmässiges Verhalten.
Haben Sie nie Rückfälle?
Ich würde es nicht als Rückfall bezeichnen. Wenn ich Lust auf Schokolade habe, esse ich ein Stück. Das ist mir dann aber viel zu süss. Wenn man sich zuckerfrei ernährt, verändern sich die Geschmacksknospen. Ich habe mir das Süsse abgewöhnt.
Die Lebensmittelhersteller schieben den Ball nun den Konsumenten zu und argumentieren, diese würden Produkte mit weniger Zucker nicht kaufen. Wie sehen Sie das?
Das ist eine Ausrede. Das Problem ist, der Konsument kennt nichts anderes. Wenn ich durch einen Laden laufe, haben 90 Prozent der Produkte Zucker drin, sei es wegen der Haltbarkeit oder als Geschmacksverstärker. Wenn der Konsument darauf konditioniert ist, will er auch nichts anderes. In den meisten Läden finde ich keine einzige Schachtel Cornflakes oder Müesli, die keinen hinzugefügten Zucker drin hat. Wie soll sich der Konsument so überhaupt für ein Produkt ohne Zucker entscheiden? Das Schlimmste daran ist, dass die Konditionierung schon im Kleinkindalter anfängt mit Fruchtsäften, Bananen, Fruchtquark und Süssigkeiten.
Infografik: Schweizer essen viel Zucker

Wie funktioniert denn Ihr Alltag, wenn die Auswahl so klein ist?
Während des Entzugs war der Alltag schwierig, weil ich jede Packung umdrehen musste und die Inhaltsstoffe studiert habe. Ich musste mir das Essen neu beibringen. Das war sehr zeitaufwendig und frustrierend, weil ich im Laden nichts fand und extrem vieles selber machen musste. Heute, nach zwei Jahren, ist nicht der Gluscht das Problem, sondern die Nachlässigkeit. Ich muss mich regelmässig an der Nase nehmen, nicht die Produkte zu kaufen, die einfacher sind. Es ist die fertige Tomatensauce, nicht der Kuchen, die mir Schwierigkeiten bereiten.
Das klingt nach einem asketischen Lebensstil. Macht das Essen so noch Spass?
Absolut. Ich nehme andere Geschmäcker intensiver wahr. Es macht mehr Spass, mit Kräutern und Gewürzen zu experimentieren. Und da ich relativ normal esse, ist der Verzicht eigentlich eine Nebensache. Ich kann auch ein Dessert essen, ich bereite es aber selber zu und süsse mit Süssstoffen wie Reissirup und Erythrit, welche den Blutzuckerspiegel nicht beeinflussen. Jedoch nur so viel, dass es mir noch schmeckt. Und im Restaurant ist es für mich nicht schlimm, anderen zuzuschauen, wie sie ein Tiramisu verdrücken.
Gibt es Freunde, die davon genervt sind?
Ich habe noch nie versucht, jemanden zu überzeugen, zuckerfrei zu leben. Viele sind neugierig und fragen mich aus oder kommen zu mir zum Essen. Sie wollen es ausprobieren und merken dann, das schmeckt nicht viel anders. Andere finden, das ist jetzt einfach ein weiterer Trend, wie glutenfrei oder vegan zu essen.
Ist es wirklich kein Trend? Man kann sich auch gesund ernähren, wenn man Zucker isst.
Ich sage nicht, dass das nicht geht. Man kann den Zucker auch reduzieren und, wo es geht, darauf verzichten. Ich esse auch ab und zu ein Stückchen Schokolade, jedoch mit mindestens 85 Prozent Kakaoanteil.
«Wenn ich im Restaurant sehe, dass Süssgetränke günstiger sind als Wasser, falle ich fast vom Stuhl.»
Welchen Tipp würden Sie jemandem geben, der zuckerfrei leben will?
Darauf zu achten, was man isst und einzelne Produkte zu substituieren. So fällt man nicht in ein Loch.
Was ist das schlimmste Lebensmittel mit verstecktem Zucker?
Früchtesmoothies sind der Oberhammer, die sehen megagesund aus, haben aber je nach Grösse 7-13 Würfelzucker drin. Der Zucker kommt zwar von einer Frucht, aber dadurch, dass so viele Früchte reingemixt werden, ist das nur noch die reine Konzentration von Zucker und Wasser. Smoothies haben null Ballaststoffe, nichts, womit der Magen etwas anfangen kann und der Zucker wandert direkt ins Blut. Darum mache ich einen weiten Bogen um sie oder bereite sie selber mit Gemüse zu. Auch Knuspermüesli mit Honig und Dörrfrüchten meide ich. Dörrfrüchte sind richtig schlimm. Das ist konzentrierter Zucker.
Video – Weniger Zucker in Joghurt und Müesli
Müsste man politisch etwas machen? Es gibt Länder, die eine Zuckersteuer eingeführt haben.
Ich würde das unterstützen. Wenn ich im Restaurant sehe, dass Süssgetränke günstiger sind als Wasser, falle ich fast vom Stuhl.
Sollte nicht jeder selber wissen, wie man sich gesund ernährt?
Natürlich, wir sind ja erwachsene Leute und können uns selber um unsere Ernährung kümmern. Aber es fehlt an Aufklärung. 90 Prozent glauben immer noch an «Low Fat» und essen Margarine statt Butter. Ich esse mit relativ viel Fett und nehme überhaupt nicht zu. Den Leuten wird so viel Ernährungswissen an den Kopf geschleudert, darunter viel Fehlinformation und von der Industrie unterstützte Studien, denn Zucker ist billig und wichtig, um Lebensmittel günstig zu produzieren. Eine Zuckersteuer zusammen mit Aufklärung fände ich deshalb nicht falsch.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch