Halloweengrusel mit Mehrwert
Im Bremer «Tatort» mit dem Titel «Blut» geht ein Vampir um. Es ist die fantastische Lilith Stangenberg – und wir gehen mit.

«Kranken Scheiss» nennt eine der drei jungen Frauen den Horror-Schocker, den sich das Trio, in der Auftaktszene des neuen «Tatorts», genüsslich auf dem Sofa reinzieht. Trotzdem komisch, dass die Balkontür auf einmal offensteht. Der nächtliche Heimweg durch einsame Ecken Bremens trennt die angenehm angeschauerten Freundinnen dann. Irgendetwas raschelt, knackt, atmet unheimlich – keine Frage: Blut wird fliessen. Drei Liter werden aus dem zerfetzten Hals der einen Frau herausgesogen: kranker Scheiss! Kommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) tippt erst mal auf einen Wolf.
Anders gesagt: Der 36-jährige Münchner Drehbuchautor und Regisseur Philip Koch – dessen Langfilmdebüt «Picco» über einen realen, brutalen Folterfall in der JVA Siegburg gar eine Nomination in Cannes einheimste – wagt im Krimiformat volle (Blut)Kanne eine Halloween-Fantasie, passgenau zum Termin. Ein Vampir geht um, der beisst, schlürft, schmatzt; der blasse Mädchenleichen in roten Blutlachen hinterlässt und beim Zuschauer das Adrenalin nach oben jagt. Koch versteht sich aufs Grauen, die Angstlust-Auslöser, Genretricks; das langsame, unerbittliche Hinarbeiten auf die Klimax.
Der Regisseur ist ein Könner
Aber er kann noch was: Figurenzeichnung. Zusammen mit der Starbesetzung – die zarte Lilith Stangenberg als Monster mit gebrochener Seele und als ihr melancholisch-bulliger Vater der hinreissende Andrea-Breth-Stammschauspieler Cornelius Obonya – ist das ein Portfolio für einen Ausnahmetatort.
Letztes Jahr vergrätzte eine auf parapsychologisch-gruselig gebürstete «Tatort»-Ausgabe ja eine Menge Zuschauer. Und auch diesmal überkommt einen zwischendurch, beim Luftholen zwischen Spannungstrigger und Spannungstrigger, ganz kurz der Unmut. Es gibt keine Vampire: Das wiederholt auch die Lürsen unentwegt, während ihr Kollege Stedefreund (Oliver Mommsen) da nicht mehr so sicher ist. Er wird vom seltsamen Geschöpf gebissen, kriegt Fieber, starrt gebannt auf schlanke Frauenhälse.
Zum Mitfühlen
Es gibt zwar auch in «Blut» keine Vampire – aber raffinierte Gründe (die in kleinen Bildschnipseln da und dort verraten werden). Stedefreunds Verunsicherung, die erst etwas irritiert, entpuppt sich so als Pendant zum Schicksal des Mädchens Nora, das sich über Jahre mental in einen Vampir verwandelt hat und lang von Blutkonserven aus dem Spital ernährt hat. Der Thriller «Blut» zeigt, was soziale Isolation und menschliche Imaginationskraft anrichten können. Kranker Scheiss – und definitiv eine Chose zum Mitgehen!
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