Rivalität im Weissen HausHarris soll Trump-Anhänger vom Impfen überzeugen
Die Vizepräsidentin muss sich um Migrationskrise, Wahlrechtsreform und Impfgegner kümmern, während der Präsident auf seiner Europa-Reise glänzen kann.

Es ist praktisch, wenn man der Präsident der Vereinigten Staaten ist. Dann kann man reisen, wohin es einem gefällt, wo man nette Gastgeber hat und wo triumphale Fernsehbilder garantiert sind. Für alle zweitrangigen Destinationen, wo nur Verdruss und zähe Verhandlungen warten, hat man ja einen Vizepräsidenten. Oder eine Vizepräsidentin.
Wie diese Arbeitsteilung in der Praxis aussieht, wird man in den kommenden Tagen beobachten können. Dann fliegt US-Präsident Joe Biden nach Europa. Er wird in Cornwall an einem G-7-Gipfel teilnehmen und mit der Queen in Windsor Castle Tee trinken. Danach geht es nach Brüssel zu einem Nato- sowie einem USA-EU-Gipfel. Zum Abschluss wird Biden in Genf seinen russischen Kollegen Wladimir Putin treffen. Das ist Aussenpolitik auf höchstem Niveau.
Harris soll unzufrieden über Aufgabenteilung sein
Vizepräsidentin Kamala Harris wird auch auf eine Reise gehen, allerdings auf keine sehr spektakuläre. Sie wird in Guatemala und Mexiko erwartet. Dort soll sie mit den Regierungen darüber beraten, wie sich die Zahl der illegalen Einwanderer aus Zentralamerika verringern lässt, die derzeit zu Zehntausenden über die US-Südgrenze kommen. Die Menschen flüchten vor Armut, Kriminalität, Bandengewalt und Korruption. Während also Biden im Kreis der europäischen Verbündeten strahlen darf, muss Harris über Fluchtursachen reden, an denen sie nichts ändern kann. Man kann sich vorstellen, wer die besseren Schlagzeilen bekommen wird.
Das wäre kaum erwähnenswert, wäre es nicht Teil eines Musters. Seit dem Amtsantritt von Biden und Harris wird in Washington darüber spekuliert, welche Rolle die Vizepräsidentin in der Regierung spielen, wie viel Macht, Einfluss und Handlungsspielraum sie haben wird. Und nachdem Biden seiner Stellvertreterin zunächst überhaupt keine Portfolios übertragen hatte, sieht es nun so aus, als wälze er vor allem riskante oder zumindest eher undankbare Aufgaben auf sie ab. Harris sei damit alles andere als zufrieden, sagt ein Demokrat.
Dass Biden Harris damit beauftragt hat, die unlösbare Migrationskrise zu lösen, ist nur ein Beispiel. Vor einigen Tagen verkündete der Präsident zudem, dass seine Vizepräsidentin dafür verantwortlich sei, zwei von den Demokraten geschriebene Wahlrechtsgesetze durch den Kongress zu bringen. Diese sollen es für die Amerikaner leichter machen, bei Wahlen ihre Stimme abzugeben, zum Beispiel dadurch, dass die Brief- und Frühwahl ausgeweitet wird.
Die Gesetze entspringen nicht nur der Überzeugung, dass in einer Demokratie möglichst viele Bürger auf möglichst einfache Art wählen können sollten. Sondern auch dem Kalkül, dass dann mehr Angehörige von Minderheiten zur Wahl gehen – sprich: mehr Menschen, die den Demokraten zuneigen. Die Gesetze laufen damit den Bemühungen der Republikaner in etlichen Bundesstaaten zuwider, den Zugang zur Wahlurne durch schärfere Regeln zu erschweren, um demokratische Wähler abzuschrecken.

Genau das ist der Grund, warum die Wahlrechtsgesetze wenig Chancen haben, je den Kongress zu passieren. Im demokratisch beherrschten Abgeordnetenhaus gibt es Mehrheiten für sie, im gespaltenen Senat jedoch nicht. Biden schiebt seiner Vizepräsidentin mithin die Verantwortung für zwei Gesetze zu, die gut klingen und mit lobenswerter Absicht verfasst wurden – die aber wahrscheinlich scheitern werden. Dieses Scheitern wird dann mit dem Namen Kamala Harris verbunden sein.
Kamala Harris soll im Kernland der Trump-Wähler fürs Impfen werben.
Der bisher letzte Auftrag, den Biden Harris erteilt hat, ist schon fast etwas gemein. Seine Vizepräsidentin, so verkündete der Präsident diese Woche, werde demnächst den Süden und Westen der USA bereisen und dort dafür werben, dass die Menschen sich gegen das Coronavirus impfen lassen. Die Tour ist Teil einer grossen Kampagne: Bis zum Nationalfeiertag am 4. Juli, so will es Biden, sollen mindestens 70 Prozent der Amerikaner eine erste Impfdosis erhalten haben.
In vielen Bundesstaaten wird dieses Ziel leicht zu erreichen sein, dort ist die Impfquote schon jetzt höher als 60 oder sogar 65 Prozent. Aber es gibt Nachzügler, die bei 45 oder 50 Prozent feststecken und noch Monate brauchen werden, um aufzuholen. Die meisten dieser Staaten liegen im Süden und Westen der USA, also dort, wo Biden Harris hinschickt.
Und die niedrigen Impfraten haben vor allem einen politischen Grund: In den betroffenen Staaten leben besonders viele konservative, weisse Republikaner, bei der Präsidentschaftswahl 2020 gewann dort Donald Trump. Konservative Weisse sind eine Bevölkerungsgruppe, in der die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, besonders niedrig ist. Das heisst: Kamala Harris – die erste Frau, die erste Schwarze und die erste asiatischstämmige Amerikanerin, die das Vizepräsidentenamt innehat – soll im Kernland der Trump-Wähler fürs Impfen werben. Viel Glück.
Biden sei vielleicht nachtragend, meint ein Demokrat
Warum Biden seine Vizepräsidentin bisher nur mit derart unglamourösen Aufgaben betraut, ist nicht ganz klar. Es gibt aus dem Weissen Haus keine Kritik an Harris, in der Öffentlichkeit behandelt Biden sie stets respektvoll – als Gleichgestellte, nicht als Stellvertreterin.
Ein Demokrat vermutet aber, dass Biden vielleicht doch etwas nachtragend ist. Harris hatte sich 2019 selbst um die demokratische Präsidentschaftskandidatur beworben, doch ihre Kampagne lief schlecht. Sie suchte damals ihr Heil in einer Attacke auf Biden: In einer Fernsehdebatte warf sie dem 78-Jährigen vor, eine Generation zu alt zu sein und zudem früher rassistische Ansichten vertreten zu haben.
Das hat Biden getroffen. Er machte Harris im Sommer 2020 zwar trotzdem zu einer Vizekandidatin – eine andere Wahl als eine Afroamerikanerin war damals auf dem Höhepunkt der «Black Lives Matter»-Proteste aus politischen Gründen kaum möglich. Aber es ist denkbar, dass Harris nun die Rechnung für ihre Angriffe auf Biden erhält. «Das kommt davon», sagt ein Demokrat, «wenn man Biden als rassistisch und alt beschimpft.»
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