Heikle SRF-Story zur Megafusion
Bereits vor der Bekanntgabe der Fusion sprach das Schweizer Fernsehen mit den beiden CEOs darüber. Experten zeigen sich darüber befremdet.

Gestern Morgen um 7 Uhr erreichte die Redaktionen ein E-Mail mit dem Titel «Important announcement: Clariant and Huntsman to combine in merger of equals». Damit war die Katze aus dem Sack gelassen: Der Basler Spezialchemiehersteller Clariant fusioniert mit dem US-Konzern Huntsman, ein weltweit führender Spezialchemiekonzern mit einem Umsatz von rund 13,2 Milliarden Dollar entstand. Anschliessend stellten sich die CEOs wie üblich in einer Telefonkonferenz den Fragen von Analysten sowie Journalisten und gaben Medien Interviews. Am Abend berichtete auch das Wirtschaftsmagazin «Eco» von SRF über die Fusion. «Die beiden Unternehmen gaben gestern Vormittag ihre Fusion bekannt. Meine Kollegin Alexandra Stühff hat Clariant-CEO Hariolf Kottmann bereits gestern in den letzten Stunden vor Bekanntgabe der Fusion begleitet», leitete «Eco»-Moderator Reto Lipp den Fernsehbeitrag ein.
Dann folgte das mehrere Minuten dauernde Making of Milliardenfusion respektive eine Art Homestory mit dem Clariant-Chef: «Sonntag 11.30 Uhr, Hariolf Kottmann steigt zu Hause in seinen Wagen. Wenn alles gut geht, ist er in wenigen Stunden nicht mehr Konzernchef von Clariant, sondern Präsident eines doppelt so grossen Unternehmens», so die Stimme aus dem Off. In seiner schwarzen Audi-Limousine erzählt Kottmann: «Wir treffen nachher die Kollegen von Huntsman. Wir haben uns seit dem letzten Gespräch in New York nicht mehr gesehen.» Er sei ein bisschen früher weggeflogen als sein Team. «Damals war noch nicht alles klar, es stand fast auf Messers Schneide.»
Vom Hotel Widder ins Hotel Savoy Baur en Ville
Anschliessend sieht der Zuschauer, wie Kottmanns Auto vor dem Hotel Widder in der Zürcher Innenstadt vorfährt und er einen Raum voller Leute betritt. Off: «Anwälte, Banker und Manager von Huntsman und Clariant haben bis morgens um 4 Uhr getagt. Jetzt sitzen sie wieder seit Stunden über den Verträgen der geplanten Fusion. Kottmann trifft auch den Mann, dem er künftig auf die Finger schauen wird.» Er heisst Peter Huntsman und ist Präsident sowie CEO der gleichnamigen Firma. «Very good to see you», sagt er. Um 14 Uhr trifft Kottmann im Hotel Savoy Baur en Ville, dem traditionsreichen Luxushotel inmitten des Finanz- und Shoppingzentrums Zürichs, ein. «Wenn alles klappt, wird Kottmann demnächst Präsident eines 13-Milliarden-Konzerns mit rund 30'000 Mitarbeitern», heisst es im Fernsehbeitrag weiter.
Der SRF-Beitrag ist insofern bemerkenswert, dass die Firmenoberen bereits vor der Bekanntgabe des Zusammenschlusses mit Journalisten darüber sprachen. «Das ist wirklich ungewöhnlich und problematisch, in einer Phase, wo Vertraulichkeit oberstes Gebot ist», sagt ein auf die Kommunikation in Finanzmärkten spezialisierter Berater. Zumal der Deal offenbar noch nicht in trockenen Tüchern gewesen sei. Ein weiterer Kommunikationsberater erklärt: «So etwas habe ich noch nie gesehen.» Normalerweise fänden solche Berichte wenn schon am Tag der Bekanntgabe statt. Das Risiko sei enorm hoch, dass solche Informationen schon vorher durchsickern. «Ich hätte meinen Kunden davon dringend abgeraten.»
Dazu kommt, dass, wie es beim Fernsehen üblich ist, wohl ein grosses Produktionsteam involviert war. Damit gab es eine Vielzahl von potenziellen Mitwissern. Die Ad-hoc-Publizitätsvorschriften für börsenkotierte Firmen zielen darauf ab, dass alle gegenwärtigen und potenziellen Marktteilnehmer chancengleich mit potenziell kursrelevanten Informationen versorgt werden (sogenannte Ad-hoc-Publizität). Dadurch sollen Transparenz und Gleichbehandlung der Marktteilnehmer möglichst gewährleistet werden. Ein Hinweis darauf, dass unabhängig vom «Eco»-Beitrag Informationen über die bevorstehende Fusion womöglich durchsickerten, könnte die Entwicklung der Clariant-Aktie in den vergangenen Wochen sein: Dümpelte der Kurs seit Anfang Jahr um die 19-Franken-Marke, hob er seit Ende April unvermittelt ab.
Gelassener sieht es Kommunikationsberater Sacha Wigdorovits: «Dass die Reportage vor der Bekanntgabe der Fusion gedreht, aber erst nachher veröffentlicht wurde, ist aus rechtlicher Sicht wohl kein Problem.» Der Dreh sei an einem Wochenende erfolgt, also in einer Zeit ohne Börsenhandel, und zudem seien wohl Vertraulichkeitserklärungen unterschrieben worden.
Beim SRF heisst es: «Natürlich war sich ‹Eco› der Sensibilität bewusst. Alle Beteiligten mussten deshalb ein Non-Disclosure-Agreement unterschrieben.» Dieses Verbot beinhalte unter anderem die Weitergabe vertraulicher Informationen und Geschäfte mit Wertpapieren. «Darüber hinaus ist festzuhalten, dass es Mitgliedern der Wirtschaftsredaktion ganz generell nicht erlaubt ist, mit Aktien und Optionen zu handeln», sagt Mediensprecher Stefan Wyss. Die Redaktion habe deshalb zu jedem Zeitpunkt korrekt gehandelt.
Auch Clariant-Sprecherin Claudia Kamensky betont, dass die Ad hoc-Pflichten vollumfänglich eingehalten wurden. Man habe aufgrund der Komplexität der Transaktion entschieden, für die generelle Information der breiten Öffentlichkeit auch das Fernsehen miteinzubeziehen. Damit das SRF seine Rolle erfüllen konnte, sei es auf zeitigen Einbezug angewiesen. «Die Ansprache des SRF und die Aufnahmen erfolgten nachbörslich. Zudem wurde eine rechtlich verbindliche Vertraulichkeitserklärung unterzeichnet», sagt Kamensky weiter. Darin enthalten sei auch die Verpflichtung gewesen, erst am Abend der Veröffentlichung des geplanten Mergers zu publizieren. «Gleichzeitig hatte das Team eine ebensolche Erklärung abgegeben.»
Homestorys mit CEOs «ein No-go»
Ebenfalls aufgefallen ist in der Kommunikationsbranche, wie sich die beiden Firmenchefs inszenieren liessen. «Solche Beiträge gab es häufig in den Nullerjahren, als CEOs von börsenkotierten Firmen sich in den Medien als der personifizierte Erfolg darstellen liessen», sagt Andreas Durisch, Senior Partner bei der Dynamics Group, einem Dienstleister für Strategieentwicklung und Kommunikationsmanagement. Seit dem Aufkommen der Boni-Diskussionen würden sich aber die CEOs grosser Firmen wohlweislich stark zurückhalten. Für Sacha Wigdorovits wiederum sind Homestorys mit CEOs «grundsätzlich ein No-go.» Vor allem bei Firmen, deren Führungskräfte wie in diesem Fall der breiten Öffentlichkeit unbekannt seien, machten sie ohnehin keinen Sinn.
Im Hotel Savoy Baur en Ville, wo am Sonntag der Verwaltungsrat von Clariant tagte, traf das SRF auch dessen Verwaltungsratspräsidenten Rudolf Wehrli. Off: «Kurze Frage, mit welchem Gefühl gehen Sie an die Sitzung?» Wehrli: «Mit einem guten Gefühl.» Off: «Warum?» Wehrli: «Darüber möchte ich morgen sprechen.» Immerhin einer, bei dem sich die Begeisterung für das Making-of in Grenzen hielt.
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