Hertha BSC taucht ab
Ein Unterwasser-Workout, Klavierspielen auf der Yacht des Investors: Hertha Berlin sorgt mit abenteuerlichen Trainingsmethoden für Aufsehen.

Wollte man die nachhaltigsten Eindrücke der mitgereisten Reporter aus dem Wintertrainingslager der Berliner Hertha in den USA unter einer Rubrik zusammenfassen, so würden diese wohl wie folgt lauten: Hertha taucht ab. Nicht im sportlichen Sinne, die Mission Klassenerhalt scheint auf gutem Weg zu sein.
Zur Erinnerung: Mit acht Punkten aus den letzten vier Spielen vor Weihnachten kämpfte sich Hertha ans Tabellenmittelfeld heran, in einem Testspiel in Florida war sogar Herthas B-Team zu stark für Eintracht Frankfurt (2:1). Abtauchen will Hertha aber offenbar im wörtlichen Sinne. Zumindest wenn es nach Ex-Nationalspieler Arne Friedrich geht.
Horizonterweiterung in den USA
Im Team des seit Ende November tätigen Chefcoachs Jürgen Klinsmann (55) bekleidet Friedrich das innovative Amt des «Performance Managers». Bei seiner Ernennung spielte nicht nur seine Vergangenheit als Hertha-Profi eine Rolle, sondern auch, dass er zwischenzeitlich in den USA seinen Horizont erweitert hatte. In Florida erzählte Friedrich, dass er mit Klinsmann schon seit geraumer Zeit im Gespräch sei, unter anderem über «das Thema Benchmarking», also darüber, «Vergleichspunkte zu schaffen». Das sei «sehr, sehr interessant». So interessant, dass er nun auch bei Hertha ein «Benchmarking-System» einführen möchte.
Athletische, fussballerische, medizinische Aspekte solle das umfassen, aber auch den persönlichen Bereich der Profis. Sagte Friedrich. «Wir wollen schauen: Wie ist der Status quo bei jedem einzelnen? Dafür haben wir ein Farbensystem eingeführt», das knapp unter der Komplexität der sog. Lebensmittelampeln der Europäischen Union liegt und «rot, gelb und grün» umfasse. «Damit können wir den jetzigen Status festhalten.»
Was die Statusampel bei Spielmacher Ondrej Duda zeigt, immerhin Herthas Topskorer der Saison 2018/19, ist wohl Definitionssache. Regisseur Duda jedenfalls soll unter Klinsmann nicht mehr spielen – was für rot spricht – und darf Berlin deshalb per sofort und Leihe verlassen (also grün). Duda soll aber das Trikot des englischen Premier-League-Klubs Norwich City überstreifen, und das ist: gelb.
Friedrich empfiehlt die Underwater Torpedo League
Friedrichs Freund jedenfalls habe zwei Start-ups gegründet, so genannte «Unterwasser-Workouts». Diese Übungen haben es in sich: «Das eine ist ein Unterwasser-Spiel, das heisst Underwater Torpedo League, das geht unter Wasser auf zwei Tore, fünf gegen fünf mit einem kleinen Torpedo.» Bei einem anderen Workout unter Wasser werde mit Hanteln gearbeitet, «da werden auch Ängste adressiert, weil nicht jeder gerne unter Wasser ist, wenn er keine Luft holen kann», sagte Friedrich.
«Unfassbar interessant» sei das, weil «die Jungs knallhart» und ungemein fokussiert seien, «davon können wir eine Menge lernen». Seine Erkenntnisse habe er bereits Herthas Fitnesstrainer Werner Leuthard hinterbracht, der zwar nie in der US-Army war und mithin niemals Seal, Raider oder Twix war, wohl aber Oberleutnant der Bundeswehr. «Am Ende müssen die Trainer entscheiden, inwieweit man das einfügt oder nicht», sagte Friedrich.
Klinsmanns Meinung dazu ist unbekannt. Das liegt unter anderem daran, dass er im übertragenen Sinne abtauchte – nach dem Spiel gegen Eintracht, dem einzigen Testspiel im Trainingslager gegen einen Gegner von Format.
Klinsmann hat für Fragen keine Zeit oder keine Lust
Die Handvoll Reporter, die Hertha knapp 8000 Kilometer gefolgt waren, hatten Gesprächsbedarf mit Klinsmann angemeldet. Weniger wegen Friedrichs Fitnessideen, Interesse weckte vielmehr die aktuelle Lage des hochtalentierten U-21-Nationalspielers Arne Maier. Klinsmann hatte dem defensiven Mittelfeldmann einerseits den soeben verpflichteten Argentinier Santiago Ascacibar (VfB Stuttgart) vorgesetzt und sich (letztlich wohl erfolglos) auch um Granit Xhaka vom FC Arsenal bemüht. Anderseits verdrehte sich Maier gegen die Eintracht das Knie.
Um solche Reporterfragen zu beantworten, hätte Klinsmann allerdings, wie der «Tagesspiegel» meinte, «wenige Augenblicke auf die mitgereisten Berliner Journalisten warten müssen», ziemlich genau «30 Sekunden», wie der «Kicker» präzisierte, die Reporter wollten vorher nur noch das kurze Gespräch mit Kapitän Vedad Ibisevic gesittet zu Ende bringen.
«Darauf könne er nun wirklich nicht mehr warten, liess Klinsmann ausrichten», schrieb der Tagesspiegel pikiert. Und der Kicker erfuhr von Hertha, Klinsmann habe «keine Lust» gehabt.
Der Besuch beim Investor
Höhere Priorität geniesst halt Investor Lars Windhorst, der 224 Millionen Euro in die Hertha gepumpt hat. Mit Blick auf den Rückrunden-Auftakt am 19. Januar gegen den FC Bayern hatte Klinsmann noch so viel Arbeitsbedarf gesehen, dass er den Urlaub des Kaders kürzte und den nun beendeten Florida-Trip infrage stellte. Er brauche Zeit, um mit der Mannschaft zu arbeiten.
Weil Windhorst aber dieser Tage seine Yacht vor der Küste Floridas liegen hatte, opferte Hertha mehr als einen halben Arbeitstag, um dem Patron die Aufwartung zu machen. Klinsmann packte das Team in den Bus, liess 90 Minuten hin und 90 Minuten wieder zurückfahren, zwischendrin gab es Essen, alkoholfreie Drinks, Spiele und Musik. Eine rondoartige Übung kam auch zur Aufführung: Nicht mit dem Ball wie bei Pep Guardiola, bei dem Rondos im Zentrum des Trainingsalltags stehen.
Vielmehr setzte sich Ersatztorwart Luis Klatte, 19, an das Piano des millionenschweren Besitzers der Hälfte der Hertha-Profiabteilung – und spielte ein paar Takte von Beethovens «Für Elise».
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