
Die Titelgeschichte des «Spiegels» über die Krankheit Depression, «Das düstere Ich», beginnt mit Robert Enke. Er war Torhüter, gehörte zu den Besten in Deutschland, er hatte eine Familie, sie hatten ein Kind adoptiert, er war fürsorglich und warmherzig – und er setzte seinem Leben ein Ende. Er hatte alles genau geplant. War an einem Abend im November 2009 zu einem Bahnübergang gefahren, weil er wusste, dass um 18.15 Uhr der Regionalexpress durchrast. Er stellte sich auf das Gleis und wartete, bis der Zug auf ihn zukommt. Er war sofort tot.
In der gleichen Ausgabe des Magazins steht die Geschichte mit Per Mertesacker. Er ist noch einige Monate Verteidiger bei Arsenal, war mit Deutschland Weltmeister, ein Hüne, 1,99 m gross, 15 Jahre lang Profifussballer. Mertesacker spricht darüber, was der Druck und die Erwartungen mit ihm gemacht haben, wie die Anspannung oft kaum zu ertragen ist, er sich vor einem Spiel übergeben muss. Es ist eine Geschichte über den Menschen im Trikot, so der Titel.
Held oder Versager
Damals, nach dem Tod Enkes und einer Trauerfeier im Stadion von Hannover, einem Abschied mit Eventcharakter, fünf TV-Sender übertrugen live, kam das Gefühl auf, das Fussballgeschäft würde nie mehr dasselbe sein, und es wurde darüber diskutiert, wie schwach jemand sein dürfe im Profisport, in dem doch nur die Stärksten auch erfolgreich sein können. Und wir jedem eine Rolle zuschreiben, Held oder Versager.
Wenig später wurde der Trainer Markus Babbel in Stuttgart entlassen, und er war entsetzt, welchen Hass das Publikum gegenüber seinen Spielern gezeigt habe, es sei «alles Heuchelei», was nach Enkes Tod verbreitet wurde. Das Gerede über Menschlichkeit im Fussball seien nur schöne Worte.
Einblick in die Seele eines Fussballers
Per Mertesacker will mit seiner Offenheit, und es war ihm wichtig, dies zu betonen, nicht weinerlich tönen. Er wisse, was für Privilegien er in seinem Leben geniesse. Aber er wählte den Zeitpunkt für die Einblicke in sein Inneres bewusst, kurz vor seinem Abschied als Profi, und er sagte, am liebsten würde er jetzt gar nicht mehr spielen, nur noch auf der Tribüne sitzen. Robert Enke hatte darunter gelitten, über seine Depressionen nicht reden zu können. Er wollte einmal seine Biografie schreiben und sich dann endlich öffnen.
Der stets ohne-Punkt-und-Komma-daherplappernde Lothar Matthäus sagte am TV, das gehe doch nicht, was Mertesacker mache, wie wolle dieser weiter im Fussball tätig sein und einem jungen Spieler diese Professionalität vermitteln, wenn er glaube, dass da zu viel Druck sei. Per Mertesacker will ab Sommer bei Arsenal im Nachwuchs arbeiten.
Er möchte der nächsten Fussballgeneration etwas weitergeben. Und den Jungen vermitteln, dass dieses Geschäft nicht nur von den Füssen viel abverlangt, sondern auch vom Kopf. Aber er würde es wieder machen, selbst wenn er sich vor jedem Spiel erbrechen müsse. Er hat Millionen verdient. Über Schwächen reden ist wichtig. Es muss gar nicht öffentlich geschehen. Mertesacker getraute sich lange nicht, seiner Frau vom Brechreiz zu erzählen.
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Heuchelei, weiterhin
Per Mertesacker gab der Welt einen Einblick in die Seele eines Fussballers.