«Hier darf ich sein, wie ich bin»
YB-Stürmer Guillaume Hoarau ist der beste und populärste Spieler der Super League. Den Jungen will er ein Vorbild sein und mit den Teamkollegen bald feiern «wie an Weihnachten».

Wollen Sie Fussball spielen, bis Sie 50 sind?
Bis 60! (strahlt) Nein, ich will so lange spielen, bis der Körper dem Kopf meldet: aufhören.
Wir fragen nur, weil Sie sagten, YB nicht ohne einen Titel verlassen zu wollen.
Ach so . . . Ich höre immer wieder, dass YB seit 30 Jahren keinen Pokal mehr gewonnen hat. Ich will nicht behaupten, dass sich das nur meinetwegen ändern wird. Aber jetzt habe ich für drei Jahre unterschrieben, um dem Club mit meiner Erfahrung zu helfen, damit er wieder einmal einen Titel holt.
Vielleicht schon in dieser Saison?
Eine Chance haben wir noch mit dem Cup. Ich habe Finals erlebt und auch gewonnen, und ich werde meinen Kollegen sagen: Das sind Momente, die man sein Leben lang nicht vergisst.
Können Sie den Bernern beschreiben, wie sich ein Titelgewinn anfühlt?
Das sind unbeschreibliche Emotionen, da kommt alles zum Vorschein, die Erleichterung, die Erinnerung an Monate, in denen man manchmal zufrieden war, manchmal aber auch traurig, genervt, weil nicht immer alles so läuft wie gewünscht. Nach einem Finalsieg sieht man nur glückliche Gesichter, nur Leute, mit denen man täglich beisammen ist und die den Lohn für die Arbeit abholen. Es ist dann wie Weihnachten, wie ich sie auf La Réunion kenne. Ein Fest mit ganz vielen Menschen, die einfach glücklich sind. Ja, so etwas möchte ich in Bern erleben.
Sind Sie überzeugt, dass es klappt?
Ja, klar.
Wie realistisch ist es, dass YB bis 2020 Meister wird?
Die Ambition, Meister zu werden, muss jeder Club haben, nicht nur YB. Aber ich bin jetzt schon eine Weile hier und kenne die Verhältnisse. Wir haben hier den FC Basel (deutet mit einer Hand in die Höhe), und wir haben hier den Rest (zeigt nach unten). Es geht zuerst darum, den Abstand zu Basel zu verkürzen. Wir sind Zweiter, und wir sind es verdientermassen. Der FC Basel ist siebenmal in Folge Meister geworden . . .
. . . das reicht, wollen Sie sagen?
Wir kennen das aus Frankreich mit Lyon und seinen sieben Titeln in Serie. Gut, im Fussball ist das Geld ein wesentlicher Faktor. Je mehr du davon hast, desto leichter ist es, gute Spieler zu verpflichten. Wir sind mit YB in der Lage, in einer Partie jeden Gegner zu schlagen. Aber die Meisterschaft, das ist wie ein Marathon. Und in dieser Disziplin ist der FC Basel bisher besser als wir. Bei uns gab es zuletzt einige Wechsel im Verein, das hinterlässt Spuren. Nun ist aber wieder Ruhe eingekehrt. Wenn die Führung nicht stabil ist, kann es die Mannschaft in der Regel auch nicht sein. In Basel hat in den vergangenen Jahren das Unternehmen gesamtheitlich funktioniert. Der FCB ist in der Schweiz ein Monument und in Europa respektiert.
Was ist YB?
Eine Mannschaft, die noch nicht die Basler Mentalität hat. Wir haben weniger Spieler, die in ihrer Karriere bereits etwas gewonnen haben.
Aber Sie machen nicht den Eindruck, als hätten Sie Angst vor dem FCB.
Ich habe grössten Respekt vor dem, was die Basler leisten. Wie sie Saison für Saison jeweils viermal gegen den gleichen Gegner seriös auftreten, das ist für mich Ausdruck von Professionalität. Aber Angst? Nein. Ich freue mich auf jede Begegnung, das ist die grösste Herausforderung, da muss keiner motiviert werden. Aber wir müssen jeweils auch gegen alle anderen mit dem gleichen Feuer spielen. Das ist ein Lernprozess, daran arbeiten wir.
. . . gegen Vaduz, Lugano . . .
. . . voilà. Nun haben wir bei YB die Strategie, dass der Nachwuchs konsequent gefördert und eingebaut wird. Aber sobald die Jungen auf dem Feld stehen, müssen wir ihr Alter vergessen. Sie müssen schnell lernen, wie man gewinnt. Es ist einfacher, mit Vereinen wie Paris St-Germain Meister zu werden, weil da enorme Mittel vorhanden sind. Das Projekt YB ist sehr spannend, darum habe ich für weitere drei Jahre zugesagt. Von YB war es auch ein starkes Signal, diese Vertragsverlängerung vorzunehmen.
Haben Sie nicht gezögert? Lyon war offenbar an Ihnen interessiert.
Es gab im vergangenen Sommer Kontakte zu Lyon, ja. Wenn ich hätte gehen wollen, wäre das möglich gewesen. Aber ich sagte: Ich will hierbleiben. Vielleicht hätte es unter den Clubs, die mich angeblich wollten, den einen oder anderen gehabt, der etwas bekannter ist als YB . . .
. . . und der einen höheren Lohn offeriert hätte . . .
. . . vielleicht, ja. Heute kann ich sagen, dass ich mich richtig entschieden habe. Bern ist etwas Besonderes für mich. Ich habe Spass an meinem Beruf, und es ist ein echtes Vergnügen, in der Schweiz zu leben. Ich mag die Abenteuer, ich bin viel herumgekommen. Aber im März werde ich 33 und weiss, wohin ich gehöre. Hier darf ich sein, wie ich bin.
Was heisst das?
Dass ich mich entfalten kann. Ich muss nicht ständig denken, dass ich beobachtet werde oder mir Dinge, die ich mache, nachteilig ausgelegt werden.
Woran denken Sie?
An die Musik, meine andere Leidenschaft. Der Fussball ist die klare Nummer 1, aber ich liebe es, Musik zu machen. Und das darf ich hier in Bern.
Wäre das in Lyon nicht möglich?
In Frankreich ist der mediale Druck viel grösser, ganz allgemein ist der Druck auf den Spielern wesentlich höher als in der Schweiz. Das kann auch negative Folgen haben, weil sich die Leute da plötzlich für Dinge interessieren, die sich abseits des Fussballs abspielen. Wenn ich am Morgen nach einem schlechten Match mit der Gitarre gesehen würde, würden sie kein Verständnis dafür aufbringen, sie würden nur sagen: Klassisch! Spielt Gitarre, zeigt aber auf dem Platz nichts!
Brauchen Sie denn die Gitarre?
Ich brauche sie, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber zu glauben, dass ich deswegen schlechter Fussball spiele, ist Unsinn. Bei YB verstehen sie mich. Wenn wir ins Trainingslager reisen, nehme ich meine Gitarre mit. Nicht, um den Clown zu spielen, sondern weil es mir guttut. Die einen spielen Karten, die anderen auf der Playstation, und ich ziehe die Gitarre vor.
Wieso lieben die Berner Sie?
Weil ich Stürmer bin und Tore erziele. Wer das macht, bekommt automatisch mehr Aufmerksamkeit. Ich wehre mich zwar nicht dagegen, aber ich brauche das auch nicht. Ich spiele nicht mehr, um individuelle Preise abzuholen. Als ich in Frankreich als Junger zum besten Spieler der Ligue 2 gewählt wurde, half mir das für die weitere Karriere. So schön es ist, Trophäen dafür zu erhalten, die ich daheim aufstellen kann: Das ersetzt nie einen Titel, den ich mit der Mannschaft gewinne.
Was sind Sie für die Mannschaft?
Ich bin jemand, der auf dem Platz vorangeht, der die Mitspieler anspornt.
Dafür müssen Sie nicht einmal Captain sein?
Steve (von Bergen) ist ein toller Captain. Er macht unheimlich viel, er findet immer die richtigen Worte. Auch ich profitiere von ihm, vom Kollektiv.
Fühlen Sie sich in Bern daheim?
Ich stamme von einer kleinen Insel, auf der quasi jeder den anderen kennt. In Bern habe ich den Eindruck, dass es ähnlich ist: klein, übersichtlich . . .
. . . die Insel Bern also?
Genau! (lacht)
Wie beschreiben Sie Bern und die Schweiz Ihren Kollegen und der Familie auf La Réunion?
Ruhig. Als ich hierherkam, sagte man mir, die Berner seien gemächlich. Das stimmt. Und es gefällt mir, weil auch das etwas ist, was ich von La Réunion kenne. Ich wohne auf dem Land, in fünf Minuten bin ich in der Stadt – perfekt. Zürich ist lebhafter, gerade auch, was die Musikszene angeht.
Bern ist also das Gegenteil von Paris.
Ich lebte dort auch nicht mitten in der Stadt.
Wieso nicht?
Weil die Verlockungen zu gross waren, Dinge zu machen, die man als Fussballer besser nicht macht. Die vielen Restaurants, die Konzerte . . . Auf dem Land hatte ich das alles nicht.
Können wir das glauben?
Logisch. Die Leute glaubten, ich sei jemand, der in seiner Freizeit viel unterwegs sei. Aber nein, ich blieb daheim.
Und heute?
Erst recht. Ich habe meine Joker, die ich für Musikanlässe einsetze. Aber alles zu seiner Zeit: In der Nationalteampause Ende März werden wir im Stadionrestaurant Eleven eine Jamsession organisieren, Guillaume Hoarau and Friends. Das wird ein Vergnügen.
Trotzdem werden Sie in Paris das Leben genossen haben.
Es ist ein Unterschied, ob einer für PSG ein Tor erzielt oder für Lorient. Das wird ganz anders wahrgenommen und beurteilt, viel extremer, im Positiven wie im Negativen. Wenn man eine klare Torchance vergibt, heisst es sofort: Der kann gar nichts. Im anderen Fall ist man schnell der Grösste. Das erfordert einen starken Kopf.
Was empfehlen Sie einem Jungen, der ein Angebot aus dem Ausland erhält?
Dass er nicht überstürzt handeln und nur ans Geld denken soll. Ich wurde mit 20 Profi, die Jungen sind heute mit 13, 14 in einem professionellen System. Mit 17 ruft Manchester City an, die Eltern sehen, dass es einiges zu verdienen gibt, obwohl es wichtiger wäre, dass der Sohn Fortschritte in der Schweiz erzielt. In der Super League ist es ja so, dass die guten Jungen Einsätze erhalten. Ich versuche, für diese ein Vorbild zu sein, indem ich meinen Job möglichst professionell mache. Und wenn ich eines Tages Trainer sein sollte, werde ich mit den Spielern sehr, sehr strikt umgehen.
Warum das?
Meine Eltern haben mich streng erzogen, meine ersten Trainer waren ebenfalls streng. Aber das half mir. Ich weiss, dass die heutige Generation anders ist, es scheint, dass für sie alles einfach ist in einer Welt, in der man keine Geduld mehr aufbringt. Trotzdem braucht es noch eine gesunde Härte und eine gewisse Zurückhaltung in der Beurteilung.
Aufstrebende Spieler werden schnell hochgejubelt.
Dann braucht es im Umfeld des Spielers Leute, welche die Ruhe bewahren. Vor einem Wechsel ist es entscheidend, dass der Spieler mit dem Trainer des Clubs redet, der ihn will. Er muss herausfinden, wie er mit ihm plant. Wenn du 18, 19, 20 bist, darf das Geld nicht Priorität haben. Du verdienst immer gut, wenn du gut bist. Natürlich ist es schwierig für einen Jungen, wenn er bei Servette spielt und auf einmal der FC Barcelona anruft. Aber ich empfehle ihm, in der Schweiz bei den Profis erste Erfahrungen zu sammeln, dann wechselt er mit einem anderen Selbstbewusstsein ins Ausland. Gut, wenn er beim FC Basel ist, hat er vermutlich weniger Aussichten auf Einsätze als bei uns, weil dort der Druck viel grösser ist. Bei uns wird nach einer Niederlage nicht gleich die Krise ausgerufen.
Hätten Sie sich als Jungprofi einen Ratgeber gewünscht, wie Sie es heute sind?
Bei Paris St-Germain gab es viele grosse Spieler, Ludovic Giuly, Claude Makelele, Grégory Coupet. Sie redeten mit uns, halfen uns – und waren hart mit uns.
In welcher Hinsicht?
Wenn ich fünf Minuten verspätet war . . . Lustig war das nicht. Heute bezahlt man einfach eine Busse.
Und damals?
Hiess es bei Le Havre von einem Kollegen, der Familienvater war: «Wenn ich meine Kinder zu spät zur Schule bringe, ist das mein Fehler. Sie zählen auf mich, damit das nicht passiert. Als Vater trage ich die Verantwortung. Und du bist mein Mitspieler. Du kommst verspätet zum Training, dann bist du auch auf dem Platz zu spät. Wenn es dumm läuft, verlieren wir deswegen.»
Wie haben Sie reagiert?
Natürlich dachte ich: Was macht der für einen Aufstand wegen fünf Minuten? Aber er hatte recht. Oder wenn ich an Paris zurückdenke: Da hatten die jüngeren Spieler Angst vor Makelele.
Vor dem klein gewachsenen Makelele?
O ja, wenn Sie einen im Team haben, der bei Real Madrid und Chelsea war, dann flösst das Respekt ein. Er war vielleicht körperlich kein Riese, aber er hatte eine riesige Ausstrahlung (steht auf und breitet die Arme aus). Die jüngeren Spieler wollten Eindruck machen bei einem, der mit Zidane und Ronaldo zusammengespielt hatte.
Stecken Sie heute in der Rolle von Makelele?
Nein. Die Kommunikation ist mittlerweile ganz anders. Und ich bin ein relativ cooler Typ, der keine Lektionen erteilen will. Wobei ich auch sagen muss: Bei YB gibt es keinerlei Probleme, was das angeht. Wir haben keine Egoisten, keine Stars. Wenn einer Kopfhörer trägt, sage ich ihm nicht: Nimm die ab. Jeder hat vor einem Match seine eigenen Gewohnheiten.
Welche haben Sie?
Ich kann, fünf Minuten bevor wir rausgehen, noch singen. Das bedeutet nicht, dass ich etwas auf die leichte Schulter nehme. Überhaupt nicht!
Gibt es Momente, in denen Sie nervös sind?
Ich habe eine Anspannung, weil ich unbedingt gewinnen will. Und leicht nervös bin ich höchstens vor der Ausführung eines Penaltys. Aber richtig nervös? Nein. Dafür habe ich zu viel erlebt, auch schlechte Dinge.
Woran denken Sie?
Wenn ich in Paris keinen guten Tag erwischt hatte und das Publikum mich auspfiff, ging das nicht spurlos an mir vorbei. Es hat mich abgehärtet.
Aber die Lust am Fussball ist nie abhandengekommen?
Nein. Gut, vielleicht habe ich eben meinen letzten Vertrag meiner Karriere unterschrieben.
Aber Sie wollen doch bis 60 spielen.
Stimmt, ja. Wie wichtig mir der Fussball ist, merke ich immer am intensivsten, wenn ich verletzt bin. Und wenn ich eines Tages von hier weggehe, hoffe ich doch, dass die Leute von mir ein positives Bild in Erinnerung behalten.
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