High in die Psychose
Eine neue Studie zeigt, dass häufiger Cannabiskonsum im jugendlichen Alter Psychosen begünstigt.

Das Gehirn gleicht im Jugendalter einer Grossbaustelle. Es findet ein radikaler Umbau vom kindlichen zum erwachsenen Hirn statt. Alte Verbindungen werden gekappt, neue entstehen. Während dieser Zeit reagiert das Gehirn sensibler auf alle möglichen Substanzen, deshalb sind Drogen wie Alkohol oder Cannabis für Jugendliche viel kritischer als für Erwachsene. Eine neue Studie aus Kanada bestätigt nun den Verdacht, dass Jugendliche, die kiffen, ein höheres Risiko haben, in den Folgejahren psychotische Symptome zu entwickeln. Das Risiko stieg bei all jenen an der Studie beteiligten Teenagern, die Cannabis konsumiert hatten.
Für ihre im Fachmagazin «Jama Psychiatry» erschienene Studie befragten die Wissenschaftler 3720 Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren jeweils im Jahresrhythmus. «Dabei zeigte sich, dass das Risiko, eine Psychose zu entwickeln, für alle Jugendlichen, die Cannabis konsumierten, so stark anstieg, als ob sie bereits in der Vergangenheit an psychotischen Störungen gelitten hätten», sagt Patricia Conrod, Psychiatrieprofessorin an der Universität Montreal und Hauptautorin der Studie. Die kiffenden Jugendlichen waren also gleich gefährdet wie Patienten mit einer früheren Psychose in ihrer Krankengeschichte. Denn diese Patienten haben ebenfalls ein höheres Risiko, eine erneute psychotische Phase zu erleben als Menschen ohne eine solche Vorgeschichte.
Dass ein Zusammenhang besteht zwischen psychotischen Symptomen und dem Cannabiskonsum im Jugendalter haben schon verschiedene Studien gezeigt. Unklar war bisher, ob Jugendliche mit einer Anfälligkeit für Psychosen eher kiffen oder ob das Kiffen psychotische Symptome auslösen kann. Die neue Studie spricht nun dafür, dass es tatsächlich das Cannabis ist, das den Ausbruch von Psychosen begünstigt.
Bilder: Cannabis ist gefährlicher als gedacht
«Das ist eine interessante Studie», sagt Boris Quednow, Sucht- und Drogenexperte an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Sie liefere ein weiteres wichtiges Mosaiksteinchen für die Annahme, dass das Kiffen psychotische Symptome auslösen könnte.
Psychosen geben ein vielfältiges Krankheitsbild ab. Die meisten Betroffenen leiden unter Wahrnehmungen, die nicht mit dem Realitätsempfinden anderer vereinbar sind. Sie hören etwa Stimmen, haben Halluzinationen, fühlen sich verfolgt oder allmächtig.
Die Hirnreifung dauert bis ins dritte Lebensjahrzehnt
Dass Jugendliche besonders sensibel reagieren, hängt nicht nur mit dem Umbau des Gehirns zusammen, sondern auch damit, dass dieser Umbau in unterschiedlichen Phasen stattfindet. Während die Jugendlichen beispielsweise bereits ähnlich schnell wie Erwachsene neues Wissen aufnehmen können, hinkt ihre Impulskontrolle, die funktionell mit dem Frontalhirn verbunden ist, stark hinterher.
Sie wissen also von den Gefahren des Cannabis, verstehen diese Gefahren auch, können aber den Langzeitfolgen im Moment, wenn sie kiffen möchten, weniger Beachtung schenken als mancher Erwachsene. Gleichzeitig reagiert auch ihr Belohnungszentrum sensibler, die Drogen haben eine stärkere Wirkung als im ausgereiften Gehirn.
Das Hirn schafft den Sprung ins Erwachsenenleben am spätesten. Die Hirnreifung dauert bis ins dritte Lebensjahrzehnt. Während ein 17-jähriger Jugendlicher vielleicht schon mit Vollbart und Muskelpaketen herumläuft und äusserlich wie ein 25-Jähriger wirkt, ist sein Gehirn noch längst nicht fertig entwickelt. Experten raten deshalb, dass, wer unbedingt einmal das Kiffen ausprobieren möchte, wenigstens warten sollte, bis er 20 Jahre alt ist.
Stets mehr Männer als Frauen, die konsumieren
Kiffen ist bei Jugendlichen in der Schweiz allerdings ziemlich beliebt. In der internationalen Schülerbefragung «Health Behaviour in School-aged Children» (HBSC) erfasst die Weltgesundheitsorganisation WHO alle vier Jahre das Gesundheitsverhalten der Jugendlichen. Sucht Schweiz übernimmt jeweils die Schweizer Befragung. Die letzten Zahlen stammen aus dem Jahr 2014. Sie zeigen, dass rund ein Viertel der 15-Jährigen in der Schweiz bereits Erfahrungen mit Cannabis haben. Die Jungs sind dabei in der Überzahl mit rund 30 Prozent, bei den Mädchen sind es knapp 20 Prozent. Aussergewöhnlich ist das nicht, auch beim Alkohol und den harten Drogen sind es stets mehr Männer als Frauen, die konsumieren. «Das lässt sich teilweise mit der allgemein grösseren Risikobereitschaft erklären», sagt Quednow.
Verantwortlich für die problematischen Hirnveränderungen ist das im Cannabis enthaltene Delta-9-Tetrahydrocannabinol, auch bekannt als THC. Je höher der THC-Gehalt des Cannabis ist, umso grösser ist das Risiko, dass die Droge unerwünschte Wirkungen hat.
Noch ist nicht klar, ob nur Jugendliche mit einer genetischen Prädisposition besonders gefährdet sind, wegen des Kiffens psychotische Symptome zu entwickeln. Es gibt nicht ein einzelnes Gen, das einen anfällig für psychotische Störungen macht, meist ist ein Zusammenspiel Hunderter Gene die Ursache. Relativ klar ist, dass Cannabis bei gefährdeten Jugendlichen eine Psychose früher zum Ausbruch kommen lassen kann. Bei Veranstaltungen mit Jugendlichen betone er jeweils, dass alle, die sich nach dem Kiffen schon mal «irgendwie komisch und anders als andere, die mitkifften» gefühlt hätten, die Finger davon lassen sollten, sagt Quednow.
«Das Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln, ist in der Pubertät am grössten.»
Quednow warnt davor, den Cannabiskonsum Jugendlicher grundsätzlich zu verharmlosen. Problematisch sei vor allem, wenn die Teenager regelmässig und häufig konsumierten. Psychosen sind zwar insgesamt seltene psychische Störungen, doch das Kiffen bringe für das junge Gehirn noch weitere Gefahren mit sich. «Das Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln, ist in der Pubertät am grössten», sagt Quednow.
Eltern sollten das Thema Cannabis ansprechen
Wer in der Jugend regelmässig kiffe, der habe ein höheres Risiko, später auch eine Abhängigkeit von anderen Substanzen zu entwickeln. Verschiedene Studien haben auch Hinweise darauf gegeben, dass die kognitive Entwicklung bei jenen, die früh mit Kiffen anfangen, leidet. Eine Folge davon können schlechtere Leistungen in der Schule oder Lehre sein.
Für Eltern ist all das nicht einfach. Bei einem Teenager nützen Verbote oftmals wenig. Beim Cannabis wie auch beim Alkohol kommt oft noch der Gruppendruck erschwerend hinzu, denn die Gleichaltrigen haben für die Jugendlichen eine grosse Bedeutung, und das Dazugehören spielt in diesem Alter eine wichtige Rolle. Wer sich Sorgen um sein Kind mache, der solle das Thema auf jeden Fall ansprechen, rät Quednow, und sich vor allem auch nicht scheuen, schon früh professionelle Hilfe zu suchen.
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