Hildebrand verteidigt Draghi und kritisiert die Schweiz
In einem Gespräch mit der FAZ äussert sich der einstige Nationalbank-Chef zur Geldpolitik der EZB und zur Rolle der Schweiz in der Brexit-Debatte in Grossbritannien.

Schon vor dem Entscheid der Europäischen Zentralbank (EZB) von morgen Donnerstag sehen sich diese und ihr Chef Mario Draghi einer wachsenden Kritik gegenüber. Vor allem in Deutschland. Erwartet wird, dass die EZB die Einlagesätze für Banken noch weiter in den negativen Bereich senkt und/oder ihr Aufkaufprogramm für Staatsanleihen (Quantitative Easing) ausweitet. Auf Kritik stösst dies deshalb, weil die Massnahmen zu Verwerfungen bei Banken, Versicherungen und auf den Kapitalmärkten führen können, aber im Sinne des angestrebten Ziels immer weniger bewirken. Die Wirtschaft der Eurozone lahmt weiter, und der Euro hat jüngst gegenüber dem Dollar sogar wieder zugelegt, was den Exporten schadet.
In der in deutschen Finanzkreisen stark beachteten «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) verteidigt nun Philipp Hildebrand EZB-Chef Mario Draghi. Hildebrand war vor Thomas Jordan Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Unter seiner Ägide führte das Noteninstitut die Untergrenze des Eurokurses in Franken ein. Heute arbeitet er in leitender Funktion für das mächtige Fondshaus Blackrock. Kürzlich wurde er sogar als möglicher Nachfolger von Urs Rohner als Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse ins Spiel gebracht. Dieser will allerdings an seinem Posten festhalten.
Kein Verständnis für die Kritik an der EZB
Dass die EZB überhaupt für ihre Politik kritisiert wird, findet Hildebrand «sehr seltsam». Immerhin liege die Inflation in der Eurozone deutlich unter der Zielmarke, und die Arbeitslosigkeit sei sehr hoch. Dass es der Notenbank bisher nur schwer gelinge, ihre Ziele zu erreichen, sei kein Grund, die Arbeit einzustellen: «In einer solchen Situation kann eine Notenbank nicht einfach aufhören, expansive Geldpolitik zu betreiben, auch wenn die Wirksamkeit ihrer Instrumente nachlassen mag», zitiert die FAZ Hildebrand.
Auch mit dem zuweilen vorgebrachten Argument, die EZB könne sich mehr Zeit lassen, um ihr Inflationsziel von nahe, aber unter 2 Prozent zu erreichen, kann der einstige SNB-Chef wenig anfangen. Die Notenbank erreiche dieses Ziel bereits seit vier Jahren nicht mehr.
Von der Politik im Stich gelassen
Hildebrand sieht das Hauptproblem der aktuellen Geldpolitik vor allem darin, dass die Notenbank von der Politik alleingelassen werde. Damit spricht er seinen einstigen Berufskollegen aus der Seele, denn auch sie fordern laufend politische Massnahmen wie etwa Reformen. Kurzfristig haben aber für viele Ökonomen und den Internationalen Währungsfonds Infrastrukturinvestitionen eine noch grössere Bedeutung angesichts des weltweit vorherrschenden Nachfragemangels. Doch hier machen die Politiker angesichts der hohen Staatsverschuldung nicht mit – trotz der historisch einmalig tiefen oder sogar negativen Zinsen in vielen Ländern.
Bei den Reformen denkt Hildebrand vor allem auch an den Bankensektor: «Es war ein schwerer Fehler, die Banken in der Eurozone nicht so schnell wie in den Vereinigten Staaten und in der Schweiz mithilfe des Staates zu rekapitalisieren.» In dieser Kritik an die Adresse der EU steckt auch Selbstlob. Bei der Rettung der UBS in der Schweiz hatte die SNB unter Hildebrands Leitung eine führende Rolle inne. Die Rettung von Finanzinstituten hält Hildebrand zwar durchaus für bedenklich, «aber die schwache Eigenkapitalausstattung vieler Banken hemmt das Wirtschaftswachstum in der Eurozone», gab er zu bedenken.
Ein «absurder» Vergleich
Schliesslich äusserte sich der mittlerweile in London lebende Hildebrand auch zur Brexit-Debatte. Dass die Schweiz in Grossbritannien gelegentlich als Vorbild für dieses Land genannt werde, hält er für «absurd». Die Schweizer Konstellation wäre für Grossbritannien seiner Ansicht nach «vollkommen ungeeignet».
Das begründet Hildebrand vor allem mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz, und er bezieht sich darauf, dass die Migration innerhalb der EU nach Grossbritannien auch einer der wichtigsten Aspekte der Brexit-Auseinandersetzung ist. Das Thema der Migration aus EU-Ländern in die Schweiz sei seit der Initiative «in keiner Art und Weise dauerhaft gelöst». Die Schweiz werde den Wunsch nach einer Begrenzung der Einwanderung aus der EU und das aktuell gültige Verhältnis zur EU nicht unter einen Hut bringen können. Als bereits bestehenden Nachteil für das Land nannte Hildebrand den fehlenden unmittelbaren Zugang zu Finanzdienstleistungen auf dem europäischen Markt. (mdm)
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