Hilferuf an Bundesbern
Mehr Geld für die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt – das will die Sozialhilfekonferenz. Was der Schweiz andernfalls droht.

Die schweizerische Sozialhilfekonferenz (Skos) galt lange als links. Als ideologisch verbrämter Fachverband, der es als seine Aufgabe verstand, Angriffe auf die Sozialpolitik abzuwehren. Die Zeiten haben sich geändert, wie der gestrige Auftritt der Skos-Präsidenten Therese Frösch und Felix Wolffers gezeigt hat. Denn mit der neusten Forderung spielt der Verband, dem alle Kantone und 1500 Gemeinden angehören, den Kritikern des Sozialstaats und der Asylpolitik womöglich in die Hände.
Die Kernbotschaft des gestern publizierten Berichts «Arbeit statt Sozialhilfe» lautet: Wenn der Bund nicht drastische Massnahmen ergreift, um Asylsuchende in den Arbeitsmarkt zu integrieren, steuern die Gemeinden auf ein finanzpolitisches Desaster zu. Denn die seit 2010 eingereisten Asylsuchenden mit Bleiberecht (rund 70 000) würden ohne Extra-Engagement gemäss statistischen Erfahrungswerten grösstenteils sozialhilfeabhängig bleiben. Und weil nach fünf Jahren (bei Flüchtlingen) beziehungsweise sieben Jahren (bei vorläufig Aufgenommenen) nicht mehr der Bund für die Sozialhilfe aufkommt, sondern die Gemeinden diese selber zahlen müssen, würden die Sozialhilfeausgaben der Gemeinden demnächst um jährlich mindestens vier Prozent steigen. So die Berechnungen der Skos.
5000 Plätze pro Jahr
Der Verband ist in den letzten Jahren mehrmals mit einer ähnlichen Botschaft vor die Medien getreten. Doch offenbar hatten die Appelle nie den gewünschten Erfolg. Deshalb sagt es die Skos diesmal mit deutlicheren Worten: «Trotz des erkannten Handlungsdrucks folgten konkrete Schritte nicht in der erforderlichen Zielstrebigkeit und Konsequenz», schreibt sie in ihrem Bericht und meint damit den Bund. Dieser hat angekündigt, Integrationsvorlehren vermehrt zu fördern, indem er 1000 Plätze mitfinanziert. Es brauche aber jährlich 5000 Plätze, schreibt die Skos. Und sie müssten vom Bund nicht nur mitfinanziert werden: Ein Vorbereitungsjahr auf eine Ausbildung koste zwischen 20'000 und 25'000 Franken. Die Integrationspauschale von heute 6000 Franken pro Person, die der Bund den Kantonen zahlt, müsste mindestens verdreifacht werden. Bezahlt würden damit beispielsweise eine Potenzialabklärung und ein durchgehendes Jobcoaching, wie es der Vorzeigekanton Graubünden erfolgreich praktiziert.
Das Problem der hohen Sozialhilfeabhängigkeit im Asylbereich müsse mit neuen Massnahmen beschritten werden, schreibt die Skos. «Traditionelle Mittel und Wege» genügten nicht.
Am besten würde der Bundesrat gleich einen Delegierten für Integration ernennen, sagt Felix Wolffers. Dieser müsste einen runden Tisch einberufen mit Kantonen, Gemeinden, der Wirtschaft und weiteren Akteuren. «Der Bund muss die Arbeitsintegration steuern», sagt Wolffers. Er spricht von einem «Steuerungsdefizit». Auch müssten die Gemeinden und die Asylsuchenden selber zur Arbeitsintegration verpflichtet werden. Die heutige auf Goodwill abstützende Regelung sei zu wenig wirksam.
Integration statt Rückkehr?
Die Skos will dagegen nichts am Missstand ändern, dass der Bund in den ersten Aufenthaltsjahren den Unterhalt bezahlt und die Kantone in dieser Zeit zu wenig Anreiz haben, die Personen zu integrieren. Es wurde schon häufig vorgeschlagen, diesen Fehlanreiz zu beheben, indem die Abgeltung der Sozialhilfe in den ersten Jahren anders gestaltet wird, etwa mit einer Pauschale. Das wäre «wenig sinnvoll», schreibt die Skos. Diese Stellungnahme, die nicht weiter begründet ist, lässt sich dadurch erklären, dass die Skos ihren Bericht im Einvernehmen mit den Kantonen erarbeitet hat. Die Sozialdirektorenkonferenz befürwortet den Bericht. Sie stimmt mit dem Anliegen auch in weiten Teilen überein – aber eben beispielsweise dort nicht, wo die Kantone stärker in die Pflicht genommen werden sollten.
Während die Kantone mit der Stossrichtung der Skos-Forderung einverstanden sind, wartet der eigentliche Test im Bundesparlament. Doch auch dort ist der kostenintensive Ausbau der Integrationspauschale keineswegs chancenlos. Migrationspolitiker Heinz Brand (SVP, GR) schickt zwar voraus, dass die Skos-Forderung ein Programm von «gewaltigen Dimensionen» sei, das die wahren Kostenfolgen der unkontrollierten Zuwanderung aufzeige. Doch selbst er anerkennt den Handlungsbedarf bei der Arbeitsintegration im Asylbereich: «Anerkannte Flüchtlinge sollten möglichst rasch und umfassend in den Arbeitsmarkt integriert werden, zumal wohl nahezu alle für immer in der Schweiz bleiben werden.» Die zusätzlichen Kosten habe der Bund zu tragen. Bei den vorläufig Aufgenommenen mahnt Brand aber zur Zurückhaltung. «Durch Integration sinkt die Rückkehrbereitschaft stark. Wenn Asylsuchende sehr rasch in den Arbeitsmarkt einsteigen können, könnte dies zudem die Attraktivität der Schweiz als Zielland erhöhen», so Brand.
Der Grüne Balthasar Glättli widerspricht: Schon heute sei die Rückkehrquote bei vorläufig Aufgenommenen sehr tief. «Je länger Personen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, desto schwieriger und teurer wird es, sie später doch noch zu integrieren.» Der Zürcher Nationalrat glaubt auch nicht, dass die Schweiz mit der Integrationsinitiative als Zielland für Asylsuchende attraktiver oder die Rückkehrbereitschaft von vorläufig Aufgenommenen sinken würde. «Wenn sich Flüchtlinge entscheiden, welches Land sie aufsuchen, sind andere Faktoren viel wichtiger.»
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch