Hochsaison der Zwangshochzeiten
Rechtzeitig vor den Sommerferien sind die strengeren Gesetze gegen die Zwangsheirat in Kraft getreten. Bei der schweizweiten Beratungsstelle gehen trotzdem bis zu acht Fälle pro Woche ein.

Seit dem 1. Juli gelten schärfere Massnahmen gegen Zwangsheirat. Die Gesetzesänderung kommt gerade rechtzeitig. Denn in den Sommerferien werden besonders viele Jugendliche gegen ihren Willen verheiratet.
Bei der schweizweit tätigen Beratungsstelle Zwangsheirat.ch nehmen in den Ferien die Anfragen zu. «Das ist die Hoch-Zeit der Zwangshochzeiten», sagt die Leiterin, Anu Sivaganesan. Momentan würden bis zu acht Fälle pro Woche behandelt.
Bis zu fünf Jahre Gefängnis
Seit Anfang Monat gelten nun strengere Gesetze. Wer jemanden zu einer Ehe zwingt, kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Dies gilt auch, wenn die Heirat im Ausland erfolgt ist.
Bei Verdacht auf eine Zwangsheirat ist kein Nachzug des Ehegatten mehr möglich. Die Zivilstandsbeamten müssen Strafanzeige erstatten, wenn sie bei einer Eheschliessung eine Druckausübung feststellen.
Annulation statt Scheidung
Eine positive Änderung bedeutet das Gesetz auch für Personen, die bereits Opfer einer Zwangsheirat wurden. So meldete sich bei Zwangsheirat.ch eine 21-jährige Türkin. Sie war vor zwei Jahren in den Ferien in ihrem Heimatdorf unverhofft zur Heirat mit einem fernen Verwandten gezwungen worden.
Zurück in der Schweiz verliebte sie sich in einen anderen Mann. «Ihr Ziel ist nicht eine Scheidung, sondern eine Annullation der Zwangsheirat, damit ihr Zivilstand nicht als ‹geschieden› qualifiziert wird, sondern als ‹unverheiratet›», sagt Sivaganesan. «Dank dem neuen Gesetz ist das möglich, obwohl die Hochzeit zwei Jahre zurück liegt.»
Erleichtert werde die Arbeit der Beratungsstelle auch dadurch, dass Zivilstand und Bleiberecht neu explizit getrennt werden. «Das Opfer einer Zwangsverheiratung muss jetzt nicht mehr die übliche Frist von drei Jahren in einer ungewollten Ehe erdulden, um einen eigenständigen Aufenthaltsstatus zu erwerben», sagt Sivaganesan.
Nachbesserungen gefordert
Aus der Welt ist das Problem der Zwangsheiraten damit aber nicht. Sivaganesan ist skeptisch, ob die Zivilstandsbeamten in der Lage sind, den «freien Willen» der Heiratenden zu erkennen, wobei dieser «offensichtlich» sein muss. «Damit wird den Zivilstandsbeamtinnen und -beamten die Erkennung einer komplexen sozialen Problematik aufgebürdet.»
Ein Dorn im Auge sei auch die Regelung, dass im Ausland geschlossene Ehen von Minderjährigen nach einer Interessensabwägung für gültig erklärt werden können. «Damit wird ein Schlupfloch geschaffen, dass Minderjährige, die emotional und finanziell von ihren Eltern abhängig sind, von diesen in die Enge getrieben werden können.»
Nachbesserungen brauche es zudem für jene Fälle, wo einer Person die Scheidung verweigert werde. Sivaganesan verweist darauf, dass fast doppelt so viele Personen von einer Zwangsehe betroffen sind als von einer Zwangsheirat. «Das neue Gesetz berücksichtigt die Zwangsehe nicht. Das ist absurd.»
Eine Studie der Universität Neuenburg aus dem Jahr 2012 zeigt: In den untersuchten zwei Jahren wurden in 659 Fällen eine Person gezwungen, auf eine Scheidung zu verzichten. Im gleichen Zeitraum wurden 348 Zwangsheiraten gezählt, in 384 Fällen wurde eine junge Frau unter Druck gesetzt, eine Liebesbeziehung zu beenden.
Auswirkungen noch unklar
Fleur Jaccard, Leiterin Advocacy Unicef Schweiz, bezeichnet die Gesetzesänderung als grossen Fortschritt. «Dank der gesetzlichen Grundlage wird der Schutz der betroffenen Mädchen und Frauen verbessert.»
Hinweisen auf Zwangsheirat könne dank der geklärten Gesetzeslage nachgegangen werden. «Risiken von Rechtsverletzungen müssen durch breit angelegte Prävention verhindert werden. Dabei gilt es gefährdete Kinder und Frauen zu stärken und über ihre Rechte zu informieren und Behörden zu sensibilisieren», so Jaccard.
Erfahrungsgemäss benötige die Umsetzung der Gesetze aber Zeit. «Zum jetzigen Zeitpunkt können keine faktenbasierten Aussagen gemacht werden, ob sich die Situation verbessert hat. Ein systematisches Monitoring fehlt.»
Das zeigt sich auch bei der weiblichen Genitalverstümmelung, wo bereits seit einem Jahr schärfere Gesetze gelten. Eine Umfrage von Unicef Schweiz aus dem Jahr 2012 verdeutliche, «dass die Problematik nach wie vor in den betroffenen Migrationsgemeinschaften besteht und insbesondere Fachpersonen aus dem medizinischen, Asyl- und Sozialbereich auf Informationen und Schulungen angewiesen sind», sagt Jaccard.
Balkanländer, Türkei und Sri Lanka betroffen
Von Zwangsheiraten betroffen sind vor allem junge Frauen ausländischer Herkunft, wie die Studie der Universität Neuenburg zeigt. Häufigste Herkunftsländer der Opfer sind die Türkei, Sri Lanka und die Balkanländer.
SDA/mw
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