Miniserie auf SkyHorror im Inselparadies
«The Third Day» mit Jude Law ist eine Psychothriller-Serie, die verstörende Bilder und tolle Naturaufnahmen bietet. Und eine innovative Erzählform: Eine Episode wird ein Live-Stream sein.
Auf den ersten Blick wirkt «The Third Day» wie eine Anthologie-Serie: Die ersten drei Folgen spielen im Sommer, die nächsten drei im darauffolgenden Winter. Die beiden Teile haben unterschiedliche Protagonisten, Regisseure, Drehbuchautoren, Atmosphären. Später aber laufen die zwei Erzählstränge raffiniert zusammen.
Der erste Teil, «Sommer» (Regie: Marc Munden) folgt Sam, gespielt von Jude Law: Der läuft durch den verlassenen Wald, in dem einst die Leiche seines ermordeten Sohnes gefunden wurde. Dort sieht er, wie sich ein junges Mädchen an einem Strick zu erhängen versucht. Im letzten Moment rettet er es, bringt es nach Hause auf die Insel Osea.

Eine einzige Strasse führt vom Festland zum Eiland. Der schmale Damm auf die übrigens real existierende Insel ist täglich nur wenige Stunden, bei Ebbe, passierbar. Schliesst sich dieses kurze Zeitfenster, schliesst sich die Verbindung zur Aussenwelt. Von dieser Prämisse nährt sich das Drehbuch, und so ist es kein Spoiler zu sagen, dass Sam die Insel so schnell nicht mehr verlassen wird.
Isolierte Psyche einer Aussenseiterin
«Sommer» ist gespickt mit Symbolen und Motiven des Folk-Horrors, die an Genrefilme wie «The Wicker Man» oder «Midsommar» erinnern. Regisseur Munden zeigt ekstatische Prediger, psychedelische Drogen und heidnische Opferrituale. Insulaner, die Tiermasken tragen und wie in Trance um ein Lagerfeuer tanzen, inszeniert er in einer auf dem Kopf stehenden Plansequenz, einer Abfolge ohne Schnitte. Verstörend ist das und doch vertraut; oft jedenfalls wünscht man sich ein bisschen mehr Subtilität.
In Grossaufnahmen zeigt er Sam, wie er qualvoll in grosse Spiegel blickt, immer und immer wieder, um seine Zerrissenheit zu verdeutlichen. Das wirkt schnell ermüdend, und auch die eine oder andere Heuschrecke weniger als Menetekel der Verdammnis hätte nicht geschadet.
Anders dagegen: der zweite Teil, «Winter». Regisseurin Philippa Lowthorpe inszeniert präziser, ruhiger, mehr Atmosphäre, weniger Spektakel. Der Familienurlaub von Helen (Naomie Harris) und ihren beiden Töchtern auf Osea erweist sich als Albtraum: Wie Sam auch hat Helen mit den Schatten der Vergangenheit zu kämpfen. Ihr verdrängter Schmerz scheint immer kurz davor zu sein, in Wut umzuschlagen. So spiegelt die widerständige Insel die isolierte Psyche einer Aussenseiterin, die sich selbst behaupten muss, um sich und ihre Töchter nicht zu verlieren.
Hybrid aus Film und Theater
Zwischen Sommer und Winter liegt der Herbst, und in dem Fall das Bonbon der Produktion. Serienschöpfer Dennis Kelly und Felix Barrett kündigen eine zwölfstündige Live-Performance an, die beide Serienteile verbinden soll: Eine einzige Kamera wird Jude Law und einigen anderen Darstellern in Echtzeit auf der Insel folgen.
Der Herbst von «The Third Day» wird also eine gefilmte Performance, die Mediengrenzen überwindet. Ein Hybrid aus Film und Theater. Zwar kann man der Serienhandlung auch folgen, wenn man die Performance verpasst; trotzdem ist das mutig und innovativ, vielleicht sogar richtungsweisend für künftige Produktionen.
Der heimliche Star der Serie ist und bleibt jedoch Osea. Die Insellandschaft ist von surrealer Schönheit, mal seltsam verzerrt, mal einladend pittoresk – immer aber grandios eingefangen von Benjamin Kračun. Seine Kamera ist wacklig, rast durch Gerstenfelder, stellt sich auf den Kopf, schwirrt wie eine Heuschrecke um Sam und Helen herum, um dann wieder nach oben zu schweben und den überfluteten Damm nach Osea einzufangen. Spätestens dann ist kein Entrinnen mehr möglich – und als Zuschauer ist man darüber gar nicht mehr so betrübt.
Am 3. Oktober ist die Livestream-Folge auf Sky zu sehen. Weitere Episoden folgen im November.
3 Produktionen, die Grenzen sprengen
«Black Mirror: Bandersnatch»
Ende 2018 sorgt Streaming-Riese Netflix mit einer interaktiven Folge der Sci-fi-Serie «Black Mirror» für Aufsehen: Die Zuschauerinnen und Zuschauer bestimmen für die Hauptfigur, einen Game-Programmierer, wie sich die Handlung fortsetzt. Dafür haben sie an jedem Entscheidungspunkt zehn Sekunden Zeit. 150 Filmminuten wurden für «Bandersnatch» in 250 Teile zerschnitten. Gemäss Produzenten gibt es bis zu zwölf mögliche Enden für die Folge – und Abermillionen Wege dorthin.
«Polder»
Die Schweizer Fantasy-Dystopie aus dem Jahr 2015 wurde als «transmediales Projekt» vermarktet – und ist die filmische Weiterführung eines Mitmach-Theaters. Zum Kinostart wurde zusätzlich eine App lanciert, die ergänzende Erlebnisse ermöglichte, das Film, Theater, Game und Audio-Rundgänge verbindet: Mit Anweisungen über Kopfhörer erkundeten Zuschauer die Umgebung des Kinos, mit dem Ziel, ein Rätsel zu lösen. Dabei konnten sie auch auf Schauspieler aus dem Film treffen.
«Content»
2019 produzierte der australische Sender ABC eine Webserie, die komplett im Smartphone-Hochformat gefilmt ist. Das Publikum verfolgt in sieben Folgen à 15 Minuten die Geschichte einer jungen Frau, die sich als Influencerin versucht, direkt über deren Handybildschirm. Gleich mit Veröffentlichung der ersten Folge ging eine Szene aus «Content» viral, allerdings anders als geplant: Viele hielten die Sequenz, in der sich die Hauptdarstellerin beim Autofahren filmt und einen Unfall baut, für real.
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