
Was tut ein Hotel-Tester? Hängt er die ganze Zeit in irgendwelchen Luxushotels herum, geniesst Suiten und Sieben-Gang-Menüs in Dreistern-Lokalen? «Ein Traumjob! Du verbringst dein halbes Leben in den schönsten Hotels der Welt. Und verdienst auch noch Geld dabei.» So die Worte eines Kollegen, der sich das Leben eines Hotel-Journalisten allzu glorreich vorstellt. Doch Hotels testen ist ein knallharter Job, bei dem man auch die dunklen Seiten der Branche kennenlernt.
Ausgerüstet mit einer Checkliste, die über 500 Standards und Testkriterien umfasst, betrete ich ein Hotel. Von der ersten Sekunde an bin ich völlig absorbiert, will heissen: Ab jetzt gilt die gesamte Aufmerksamkeit nur noch dem Hotel. Natürlich trinkt man als Tester edle Jahrgangs-Champagner, teure Rotweine, geniesst Suiten, Marmor-Bäder, Wellness-Oasen und Restaurants mit vielen Punkten und Sternen. Aber im Zentrum des «Genusses» steht immer der Job.
Zuerst ein paar Dinge, mit denen ich als Hoteltester (leider) immer wieder konfrontiert werde: Zu viele Hotels sind austauschbar und beschränken sich bei ihren gastgewerblichen Aktivitäten auf den Verkauf von Zimmern mit oder ohne Frühstück. Minibar und Gratis-Wlan gelten in solchen Häusern als innovativ und exklusiv. Kein Wunder, verkaufen sich diese 08/15-Häuser über den Preis. Motto: So billig wie möglich, Hauptsache der Laden ist voll. Ob der Hotelbetreiber dabei auch noch ein paar Rappen verdient?
Zu viele Hotels zwischen Genfer- und Bodensee sind nicht mehr markt- oder wettbewerbstauglich. Man bewegt sich in den Zimmern auf Spannteppichen aus den Achtzigerjahren und schläft auf durchgelegenen Billigmatratzen aus Taiwan. Kurz und gut: Der von den Branchenverbänden seit Jahren propagierte «Strukturwandel» hat in weiten Teilen des Landes (noch) nicht stattgefunden. Dass die Branche unter Fachkräftemangel, schwierigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, hohen Waren- und Infrastrukturkosten, zunehmender Bürokratie, starkem Franken und hohen Löhnen leidet, ist eine Tatsache und macht den meisten Hoteliers zu schaffen. Da haben unsere Gastgeber – im europäischen Vergleich – einen markanten Wettbewerbsnachteil.
Die Schweizer Hotellerie ist gut bis hervorragend aufgestellt
Doch trotz Wettbewerbsnachteilen, schwarzen Schafen, starkem Franken und hohen Kosten verfügt die Schweiz grösstenteils über ein Hotelgewerbe, das grundsätzlich gut bis hervorragend aufgestellt ist. Damit nicht genug: Gerade im Segment der Fünf- und Vierstern-Hotellerie existieren sogenannte Leuchttürme, die – im internationalen Vergleich – auf Champions-League-Niveau spielen: The Dolder Grand, Badrutt's Palace, Grand Resort Bad Ragaz, The Alpina, The Chedi, Gstaad Palace, Art Deco Hotel Montana Luzern, Schweizerhof Lenzerheide, Parkhotel Vitznau, Les Trois Rois Basel, um einige Namen zu nennen.
Und die Mittelklasse? Die Dreistern-Hotellerie? Auch da haben wir hervorragende, originelle und erfolgreich positionierte Trouvaillen. Meine Dreistern-Hotelliste ist lang – und wird immer länger. Kennen Sie zum Beispiel Raphael Wyniger vom Teufelhof in Basel, der sein Haus über Kunst, Theater und Gastronomie verkauft? Oder Günter Weilguni aus Gstaad-Schönried, der mit dem trendigen «Huus» neue Massstäbe setzt in der Schweizer Berghotellerie? Oder Kurt Baumgartner (Hotelier des Jahres 2018), der im Unterengadin seit über zwanzig Jahren erfolgreiche Kooperationen eingeht und laufend viel Geld in seine Häuser investiert? Man müsste hier noch viele Namen erwähnen, innovative Hoteliers wir die Julens, Laubers, Gurtners, Maeders oder Suhners. Es handelt sich bei all diesen Namen und Hotels fast ausschliesslich um Einzelhäuser und Privathoteliers.
Wer auf die in der Schweiz – mit Ausnahme von Zürich – noch nicht sehr stark verbreitete Ketten- oder Markenhotellerie schaut, stellt aber fest: Fast alle innovativen Hotelkonzepte stammen aus dem Ausland, in der Regel von global operierenden, stark auf Expansion und Wachstum ausgerichteten Hotelketten wie Accor, Hilton oder Marriott. Sie bringen laufend neue «Hotelwelten» auf den Markt – zunehmend auch in die Schweiz. Verrückte Lifestyle-Häuser, trendige Boutique- und Budget-Hotels. In den Entwicklungslabors des französischen Hotelkonzerns Accor in Paris basteln Designer, Marktforscher, Schlafexperten und sogar Psychologen an völlig neuartigen Hotelkonzepten. Da sind echte Pioniere der digitalen Neuzeit am Werk.
Pioniere! Ja, vor gut hundert Jahren hatten auch wir unsere Hotelpioniere. Cäsar Ritz, Johannes Badrutt, Alexander Seiler. Sie waren echte Pioniere und Ent-decker. Sie eröffneten Hotels in ganz Europa. Ging es um Hotelarchitektur und Service-Standards, setzten Ritz, Seiler & Co. Massstäbe. Weltweit. Und heute? Wer setzt im schweizerischen Beherbergungsgewerbe Massstäbe, die auch in Paris, London, Amsterdam oder Berlin gelten? So wie der gute Cäsar Ritz, der Grandhotels in Paris, Rom und London eröffnete und damit weltweit für Aufsehen sorgte? Ritz trug schweizerische Hotelwerte in die Welt hinaus.
«Ich wünsche mir in der Schweiz mehr unverwechselbare Hotels – geführt von leidenschaftlichen Gastgebern.»
Noch heute gilt der 1918 verstorbene Walliser aus dem Goms als «König der Hoteliers». Wer ist der Cäsar Ritz der digitalen Neuzeit? Ein Eidgenosse aus dem Wallis? Wer hat «Motel One» erfunden – die aktuell erfolgreichste Budget-Hotelkette Europas? Der Cäsar Ritz der europäischen Budget-Lifestyle-Hotellerie heisst Dieter Müller und stammt aus München. Wer hat «25 Hours Hotels» erfunden? Der Johannes Badrutt der trendigen Stadthotellerie heisst Christoph Hoffmann und stammt aus Hamburg, ein Hotelfreak, der auf verrücktes Design und Geschichten setzt. Mit Erfolg.
Apropos Geschichten: Warum verkaufen immer noch so viele Stadt- und Ferienhoteliers zwischen Chiasso und St. Gallen vor allem Betten – und nicht Geschichten? Warum setzen Schweizer Hotel-investoren und Hotelbetreiber vor allem auf ausländische, international etablierte und bereits erfolgreich lancierte Hotelmarken? Wer erfindet in der Schweiz neue Hotelbrands, die auch multiplizierbar und nicht nur in Bern oder Zürich umsetzbar sind? Nichts gegen internationale Marken. Aber warum trägt fast jedes in der Schweiz neu eröffnete Hotel einen Namen wie Ibis, Holiday Inn Express, Yotel, Moxy, Hilton Garden Inn oder Radisson?
Egal, ob Hotelkette oder Privathotellerie: Ich wünsche mir in der Schweiz mehr einzigartige, unverwechselbare Hotels – geführt von leidenschaftlichen Gastgebern, die ihren Betrieb mit Herz, Verstand und hoher Professionalität führen. Hotels, die die Erwartungen der Gäste nicht bloss erfüllen, sondern übertreffen. Ich wünsche mir empathische Hoteliers, die mehr als nur «Zimmer mit Frühstück und Minibar» verkaufen.
Sechs Thesen zur Zukunft der Schweizer Hotellerie
Ich werde auf meinen Hoteltours zwischen Zürich, Rom und Wien oft gefragt: Was sind denn aktuell die grossen Hotel-Trends? Ich habe kürzlich in einem Referat vor Hoteliers sechs Thesen zur Zukunft der Schweizer Hotellerie formuliert. Sie decken sich weitgehend mit den Resultaten aus internationalen Studien und Umfragen.
1. Hotelgäste von morgen bewegen sich zunehmend zwischen den Sphären Freizeit und Arbeit. Ob jemand als Privatgast oder Geschäftsreisender unterwegs ist, wird künftig nicht mehr so klar voneinander zu trennen sein.
2. Der Luxusmarkt der Zukunft ist vor allem ein Genussmarkt. Statt materiellen Werten wird das Erlebnis bezahlt. Daraus ergibt sich nicht nur ein Comeback der Grandhotels. Es bieten sich auch neue Chancen für kleine Komforthotels mit Privatcharme.
3. Die ständige Selbstreflexion und das unaufhörliche Neuerfinden sind zwei Schlu?sselressourcen der «Creative Workforce». Auszeiten und «Reisen zum Ich» werden damit zu immer stärker nachgefragten Reiseformaten.
4. Das Hotel wird zur Destination. Die Reisenden von morgen wählen nicht länger ihre Reise nur nach dem Ort aus, sondern immer stärker bestimmen Design und individuelle Angebote die Wahl.
5. Reisen beginnt heute lange vor der eigentlichen Tour. Nämlich online. Die Vorab-Informationen und der Austausch mit anderen Usern werden zu einem immer wichtigeren Teil der Ferienplanung mit weitreichenden Folgen für das Marketing und die Kundenkommunikation der Hotels.
6. Die Massenmärkte spielen in Zukunft eine immer geringere Rolle. Stattdessen wird die Nische zum neuen Erfolgs- und Umsatzgaranten. Denn mit zunehmender Individualisierung der Gesellschaft divergieren zunehmend auch die Bedürfnisse der Reisenden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Hotelpioniere der digitalen Neuzeit
Neue, innovative Ketten drängen in die Schweiz. Was machen sie besser? Eine Bestandesaufnahme vom Hoteltester Hans R. Amrein.