«Ich bedaure, Faes schwer getroffen zu haben»
Der Schriftsteller Urs Faes blieb der Verleihung des Schweizer Buchpreises fern. Grund dafür war eine Frage von Moderatorin Nicola Steiner – die nicht an ihn gerichtet war.

Der NZZ sagte Urs Faes, er verstehe nicht, dass Sie den «vernichtendsten Satz aus einer vernichtenden Rezension» zu einem vor sieben Jahren erschienenen Buch zitiert haben. Wie erklären Sie Ihren Entscheid?
Als Thema des ersten Podiumsgesprächs waren die Gründung des Schweizer Buchpreises, die ersten Jahre und ein Gespräch über die Jury-Arbeit gesetzt. Meine Frage an Martin Ebel zielte auf die Diskussion ab, ob sich die Arbeit eines Jurors mit der eines Literaturkritikers vereinbaren lässt. Die Frage lautete konkret: Darf ein Juror ein Buch aus der Shortlist in seinem Medium besprechen, bevor der Gewinner bekannt ist? Um das zu illustrieren, habe ich eine Kritik wiederholt, die vor sieben Jahren so publiziert worden ist. Ich bedaure es sehr, dass ich Urs Faes damit schwer getroffen habe. Das war absolut nicht meine Absicht und war mir in diesem Moment auch nicht bewusst. Mir ging es um die journalistische Sachfrage über einen wunden Punkt des Reglements, zu der ich anschliessend alle Podiumsteilnehmer habe Stellung beziehen lassen.
Würden Sie es rückblickend wieder tun?
Im Rückblick ist man immer klüger. Daher: nein, natürlich nicht. Ich würde das Thema an sich wieder ansprechen, gerade in einer vertiefenden Diskussion, weil ich es wichtig finde, auch Schwachstellen zu benennen. Es gab zu dieser kritischen Fragestellung auch positive Rückmeldungen. Ich war mir aber nicht bewusst, was dieses Zitat bei Urs Faes auslösen würde. Sonst hätte ich sicher darauf verzichtet.
Verstehen Sie, dass sich einige der ehemaligen Preisträger – Nadj Abonji, Bärfuss, Schwitter – während der Preisverleihung mit Urs Faes solidarisiert haben?
Es geht um menschliche Verletzungen. Wie könnte ich das nicht verstehen. Wer, wenn nicht die Autoren, die diesen Wettbewerb eigens erlebt haben, könnten besser nachvollziehen, wie gross die Anspannung, die Verwundbarkeit im Vorfeld ist. Ich bedaure es ebenfalls sehr, dass Urs Faes an der Preisverleihung nicht teilgenommen hat.
Video: Schweizer Buchpreis 2017
Haben Sie mit Urs Faes inzwischen Kontakt gehabt?
Urs Faes ist am Samstagabend, direkt nach der Veranstaltung, auf mich zugekommen. Er war sehr aufgebracht. Erst da wurde mir bewusst, was ich bei ihm ausgelöst hatte. Ich habe ihm meine Absichten erklärt und mich mehrfach persönlich entschuldigt. In diesem Moment kam meine Entschuldigung noch nicht an. Ich verstehe das. Ich hoffe aber, wir finden das Gespräch und den Weg wieder zueinander.
Martin Ebel hat seinen Verriss von 2010 damit begründet, dass «der Buchpreiskandidat ansonsten vor dem Preisentscheid publizistisch ignoriert» worden wäre. Hätte damals keine Rezension im «Tages-Anzeiger» erscheinen dürfen, weil Martin Ebel Jurymitglied war?
Genau diese Frage wollte ich in dieser Runde diskutieren, aus verschiedenen Perspektiven. Ob es grundsätzlich geht, ob es grundsätzlich gar nicht geht – oder wenn doch, wie fundamental oder harsch eine Kritik denn sein darf, wenn man selbst in der Jury sitzt. In der Literaturredaktion von SRF ist seit vielen Jahren geregelt, dass der Redaktor, der in der Buchpreis-Jury sitzt, Bücher, die eingereicht wurden, nicht besprechen darf. Wie auch immer diese Frage in einem Medienunternehmen geregelt ist: Das Beispiel zeigt sehr eindrücklich, wie sich einzelne Sätze ins Gedächtnis einbrennen können und auch Jahre später noch alte Wunden aufreissen.
Bilder: Die Nominierten
Sie selbst waren parteiisch und haben keinen Hehl aus ihrem Favoriten Jonas Lüscher gemacht. Dürfen Sie die Unabhängigkeit eines ehemaligen Jurors infrage stellen?
Ich habe, gleich zu Beginn des Abends, meine Rolle angesprochen. Ich habe bei dieser Veranstaltung Gespräche geführt. Ich sass weder je in der Jury, noch habe ich die Preisverleihung moderiert. Ich habe auch nicht die Unabhängigkeit eines Jurors infrage gestellt, sondern eine Diskussion darüber geführt, ob sich die beiden Rollen Juror und Literaturkritiker vereinbaren lassen. Als Literaturkritikerin zeige ich meine Begeisterung über ein gelungenes Buch, so wie ich mich auch kritisch äussern kann. Ich halte den Roman von Jonas Lüscher für ein bedeutsames Buch. Ich bedaure es, dass meine Begeisterung, die ich im Gespräch mit Viktor Giacobbo gezeigt habe, nun als Interessenkonflikt ausgelegt wird. Ich freue mich für jeden Preisträger und für alle nominierten Autorinnen und Autoren.
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