«Ich bin froh, den Aufbruch im Land miterlebt zu haben»
NachgefragtAmor Ben Hamida, Buchautor, Adliswil Mit Amor Ben Hamida sprach Sibylle Saxer Sie leben als Exiltunesier seit 40 Jahren in der Schweiz. Aber Ihre Mutter, Ihre beiden Brüder und Ihre Schwester samt Kindern leben in Tunesien. Wie geht es Ihrer Familie? Es geht zum Glück allen gut, danke. Oder wieder gut, muss ich sagen. Sie waren bis gestern zu Recherchezwecken in Tunesien und habendie Unruhen vor Ort mitbekommen. Was haben Sie erlebt? Ich habe die schwierigsten Tage mit meiner Familie im südlichen Tunesien, in der Stadt Medenine, verbracht. Auch dort gab es letzte Woche Tote und Plünderungen, und wir haben uns im Quartier mit Stöcken gegen die Banditen bewaffnet, bis das Militär schliesslich alle Regionen erreicht und für Sicherheit gesorgt hat. So schlimm war die Lage? Verstehen Sie mich nicht falsch, es herrscht primär eine schöne Stimmung des Aufbruchs. Ich bin froh, dass ich das miterlebt habe. Endlich ist es vorbei mit der Unterdrückung des tunesischen Volkes, seine Würde ist wieder hergestellt. Man kann in der Öffentlichkeit sagen, was man denkt, es herrscht Pressefreiheit. Wir haben ein neues Tunesien. Aber es gingen eben auch Plünderungen mit der Aufbruchbewegung einher. Und innerhalb von zwei Tagen gab es kein Brot und keine Milch mehr zu kaufen. Wie ist die Lage jetzt, nachdem die Übergangsregierung gebildet ist? Noch bis Ende Woche gilt im ganzen Land zwischen 19 und 5 Uhr morgens eine Ausgangssperre. Die Einhaltung wird vom Militär überwacht. Aber die Bevölkerung begrüsst diese Massnahme. Ich habe auch Szenen gesehen, in denen Militärs freudig umarmt wurden. Denn es besteht nun die berechtigte Hoffnung, dass willkürliche Schikanen von Polizisten, wie sie bis jetzt Alltag waren, künftig geahndet werden. Wie sieht die Versorgungslage aus? Die Lage normalisiert sich stündlich, man bekommt wieder Brot, Milch, aber auch Früchte und Handys. Wie den Medien zu entnehmen ist, regt sich aber auch Widerstand, weil verschiedene Schlüsselpositionen der Übergangsregierung mit Leuten der alten Garde besetzt sind. Es sind vor allem Jugendliche, die noch mehr wollen. Im Norden des Landes gehen sie nach wie vor auf die Strasse. Aber man sollte die Realität nicht aus den Augen verlieren. Ein Grossteil der Opposition hat bisher im Ausland gelebt, die kann nicht von einem Tag auf den anderen das Ruder übernehmen. Und wenn die Tunesier nicht zufrieden sind, können sie anlässlich der Neuwahlen in 60 Tagen auch Politiker abwählen. Es gibt verschiedene Einschätzungen zur Lage in Tunesien. Die einen glauben, die Unruhen seien nun vorbei, die anderen gehen davon aus, dass sie weitergehen. Was meinen Sie? Fürs Erste ist es von mir aus gesehen vorbei mit den Unruhen. Ich bin zuversichtlich, dass die Sicherheit auch für die Touristen in zwei Wochen wiederhergestellt ist. Aber es kommt darauf an, wie die Neuwahlen herauskommen. Wir werden sehen, wie die Leute reagieren, wenn nicht in ihrem Sinn gewählt wird. Amor Ben Hamida Der Exiltunesier und Buchautor hat die vergangenen Tage mit seiner Familie in Südtunesien verbracht.
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