«Ich bin kein Spinner, ich bin verrückt»
Der Zürcher Frank M. Rinderknecht stellt seit 1979 am Autosalon Prototypen aus, von denen keiner je in Produktion ging. Seine neuste Idee: Ein Cannabisgarten auf vier Rädern.

Was ist für Sie heute ein Auto?
Gibt es noch Autos?
Wenn ich auf die Strassen schaue, sehe ich schon noch welche.
Da schauen Sie in die Vergangenheit.
Das müssen Sie mir erklären.
Mit dem Begriff Automobil verbinden wir veraltete Vorstellungen von Mobilität. Unseren neuesten Concept Car definiere ich deshalb nicht mehr als Auto, sondern als Vehikel. Damit vermeide ich die Assoziation zum Gestern und Heute. In Zukunft wird sich die Mobilität komplett anders gestalten.
Wie denn?
Die V8-Generation ist am Aussterben. Wenn Sie mich heute nach Fahrspass fragen, liegt der im Normalverkehr bei Null. Spass habe ich höchstens noch an einer Oldtimer-Rallye oder bei einer nächtlichen Passfahrt über den Julier.
Nun schwelgen Sie in Vergangenem. Aber: Was bringt die Zukunft?
Mobilität wird künftig stärker zu einem Mix aus Körpertransport und mentaler Erlebniswelt. Dazu gehört alles, was uns effizient, sauber, schnell und – wichtig! – bequem ans Ziel bringt. Wollen Sie einen Apfel essen, mögen Sie ihn im Laden nicht wägen und dann an der Kasse fürs Zahlen anstehen. Sie wollen den Apfel aus dem Regal nehmen, reinbeissen, rausgehen; der Einkauf wird automatisch von Ihrem Konto abgebucht. So muss es auch bei der Mobilität sein.
Oasis heisst Ihr neuester Wurf, ein automatisiert fahrender Zweiplätzer für die Stadt.
Wie die Oase, den grünen Rückzugsort in der Wüste. Das wollen wir mit der Metapher, dem kleinen Garten hinter der Windschutzscheibe, symbolisieren.
Gärtnern im Auto? Das kann ja nicht ernsthaft die künftige Mobilität sein.
Mich freut, wenn der Garten die Fantasie anregt. In Kalifornien wollten einige darauf Marihuana anbauen, andere ihren Rehpinscher spazieren führen. Alle unsere Concept Cars sind ja mit einem Augenzwinkern ausgestattet.
Keiner wurde je serienmässig produziert. Wozu diese Prototypen?
Sie dienen als Diskussionsbasis. Wir verstehen uns nicht als Weltverbesserer, sondern als Treiber oder Inspiratoren, Vordenker von Mobilität und Zukunft.

Aber Sie wollen schon, dass Ihre Visionen umgesetzt werden?
Klar. Wurden sie auch schon. Die Idee,
am Lenkrad die Musikanlage zu steuern, ist von mir.
Gratuliere. Zurück zum Oasis: Welche Inspiration soll er leisten?
Er soll möglichst viele Facetten der urbanen Mobilität ansprechen. Das fängt beim Besitztum an, das heute nicht mehr an eine Person gebunden sein muss. Durch ein digitales Zugangssystem steht der Oasis mehreren Nutzern offen. Der Innenraum ist vielseitig brauchbar, beispielsweise auch für Gütertransporte, und grosszügig. Ich verstehe nicht genau, warum ich mich in ein Auto reinquetschen muss. Ich will lieber in einem Sessel zurücklehnen, in Ruhe sprechen, arbeiten oder fernsehen. Es geht uns um die Verschmelzung dritter Lebensräume mit Mobilität und von IT mit Mobilität.
Wie weit sind Sie mit dem Oasis selber schon gefahren?
Leider nur fünf Meter, bei den Dreharbeiten für den Werbefilm, den wir für den Oasis hergestellt haben.
Und?
Wunderbar.
Das könnten Sie alles im ÖV haben. Warum hängen Sie so am Auto?
Weil ich mich darüber ärgere, wie kompliziert die Ticketkauferei für den ÖV ist.
Kompliziert?
Ich will einsteigen, und das Fahrzeug erkennt, dass ich drin bin, und bucht ein Ticket auf meinem Konto ab. Alles andere ist zu mühsam und kein Erlebnis.
Das wird auch im ÖV bald Realität sein. Und dann?
Die verschiedenen Verkehrsträger werden sich künftig noch stärker ergänzen. Morgens um 8 Uhr ist ein Vehikel mit 120 Plätzen notwendig, später eines für zwei Personen. Und automatisiertes Fahren ist ohnehin nur sinnvoll, wenn man Fahrzeuge teilt, weil ein Auto mit seiner IT-Technik keine lange Lebenszeit hat. Wir müssen umdenken, damit es auch wirtschaftlich Sinn ergibt. Aber da hinkt die Autoindustrie hinterher.
Und die Gesetzgebung auch.
Die würde sich schon ändern, wäre die Autoindustrie weiter. Aber ich kann die Industrie auch verstehen: Nun kommen die Teslas und reissen den Autos den Verbrennungsmotor heraus, ausgerechnet das Herzstück mit dem meisten Wissen. Aber die herkömmliche Autoindustrie muss sich verändern. Sonst kann es ihr passieren, dass sie obsolet wird.
Sind Sie eigentlich ein Spinner?
Ich bin kein Spinner, ich bin verrückt. Was heisst verrücken?
Bewegen.
Und genau das wollen wir auch. Verrückt sein ist deshalb ein positives Attribut. Wir wollen Gedankenanstösse geben. Durch diese bewegt man sich ja auch weiter.
Waren Sie schon immer so?
Fantasievoll und kreativ war ich schon als Kind. Schon mein erstes Velo baute ich um. Mir ist «Me too» ein Gräuel.
Sie wollen extra anders sein?
Nein, so nicht, sonst würde ich anders herumlaufen. Es ist nicht auffallen um jeden Preis. Für mich ist es ein Geschenk, dass ich als Mensch etwas bewegen und etwas lernen darf. So kann ich meinen Horizont erweitern, Meinungen bilden und revidieren, weitergehen. Bei zu viel Routine würde ich zugrunde gehen. Da bin ich auch mit 61 Jahren noch zu neugierig.
Womit verdienen Sie Ihr Geld?
Natürlich haben diese Concept Cars auch die Aufgabe, Geld zu generieren, und ich bin als Berater unterwegs. Ich nenne das aber nicht beraten, sondern Sparring. Heute weiss jeder, dass sich die Mobilität grundlegend verändern wird, aber nicht, wann, und noch viel weniger, wie.
Und woher haben Sie Ihr Wissen?
Ich spreche den ganzen Tag mit verschiedenen Leuten. Oft bin ich im Silicon Valley und in China unterwegs und lerne aus dem Kondensat der Gespräche. Viele vergessen bei all ihren Überlegungen, den Menschen miteinzubeziehen. Ich nicht.
Was müssen wir Menschen für die Mobilität der Zukunft denn noch begreifen?
Dass wir unsere Kinder einer Maschine anvertrauen. Dazu gehört zu akzeptieren, dass Maschinen in seltenen Fällen töten können. Diese Diskussion hat eben erst begonnen. Zudem müssen wir uns überlegen, wie viel Mensch in der Maschine Auto noch stecken soll.
Wie viel denn?
Beurteilen Sie das selber.
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