«Ich fühle mich wie 60, nicht wie 90»
Wetzikon - Hundegebell empfängt den Besucher bei der Ankunft im «Coiffeursalon» von Albert Schnalke. Im Gang seiner Wohnung bietet der 90-Jährige noch immer seine Dienste an, und das für einen Preis von 10 Franken. Ab dem Dezember gar werde ein Haarschnitt nur noch 5 Franken kosten. «Ich mache das ja nicht etwa des Geldes wegen, es macht mir einfach Freude», sagt der 90-Jährige. Seinen Alltag meistert Schnalke ganz alleine: Der betagte Mann kocht, putzt, wäscht und bügelt, fährt täglich Velo und führt seine Hunde spazieren. «Rückenschmerzen kenne ich nicht», sagt er, und man glaubt ihm aufs Wort. Flink macht er sich an den Haaren seines Kunden Urs Meier zu schaffen. Dieser hat den Bericht über Schnalke im Fernseher gesehen und will sich selber von dessen Handwerk überzeugen.
«Durch das Haareschneiden bleibe ich mit anderen Leuten in Kontakt, sonst bin ich ja oft ganz alleine», sagt Schnalke. Er habe eine wunderbare Ehe geführt, leider sei seine Frau vor über sechs Jahren an Krebs gestorben. Er hat drei Kinder. Von den beiden Söhnen höre er sehr selten. Mit seiner Tochter Heidi, die in Wald ebenfalls einen Coiffeursalon führt, hat er eine Plantage in Sizilien ersteigert. Dort ernten sie alljährlich jede Menge Gemüse und Früchte. Seine beiden Hunde Eros und Bobby beahrte er in Sizilien vor dem Verhungern. Wenn er von ihnen spricht, glänzen Schnalkes Augen. «Bobby will immer bei mir sein, da ich ihm vor einem Jahr das Leben rettete.» Er habe ihn halb verhungert in einer Plantage gefunden. «Eros dagegen rettete mir das Leben.» Eines Abends sei er im Dunkeln am Waldrand spaziert, als plötzlich eine Hand seine Gurgel umfasste. Blitzschnell sei Eros hochgesprungen und habe dem Übeltäter in die Hand gebissen. Dieser und sein Gefährte ergriffen daraufhin die Flucht.
Haare schneiden im Korridor
Vor etwa drei Jahren zündeten Unbekannte Schnalkes Schuppen an, wo sein Salon untergebracht war. In seinem Briefkasten fand er einen bösen Brief: «Jetzt musst du endlich aufhören, Haare zu schneiden.» Gerade wegen dieses Briefes beschloss er weiterzumachen. «Er stachelte meinen Ehrgeiz an.» Schon Schnalkes Vater, der 1889 von der deutsch-polnischen Grenze in die Schweiz kam, war Coiffeur und hatte einen Salon in Zürich. Die Mutter war Wienerin und «eine herrliche Köchin».
Eigentlich wollte Schnalke Koch werden wie seine Mutter, doch schon als Kind frisierte er die ganze Familie. So erkannte sein Vater sein Naturtalent und verbot ihm den Beruf als Koch. «So wurde ich Coiffeur und hatte immer Freude daran.» Als Jüngster von vier Kindern führte er bereits 1934 mit 14 Jahren seinen ersten Salon. «Direkt nach der Schule fing ich als Coiffeur an. Eine Lehre machte ich nicht.» Nach Paris reiste er, um bei Mister Hardy den «Coupe Hardy» zu lernen. Dies bedeutet, mit dem Messer statt mit der Schere die Haare zu kürzen. Heute verlange diesen Schnitt aber niemand mehr, weil er zu teuer sei und auch noch länger daure. «Und man muss nass schneiden.» Im improvisierten Salon von Schnalke, der sich im Gang seiner Wohnung befindet, gibt es kein Wasser. Er schneidet aus diesem Grund trockene Haare. Darum ist der «Coupe Hardy» auch bei ihm nicht mehr im Angebot. Bedürftige und behinderte Leute frisiert der Wetziker gratis.
Plötzliche Medienpräsenz
Vor kurzem war Schnalke in einer Sendung von TeleZüri zu Gast, und heute Abend tritt er im Schweizer Fernsehen bei Aeschbacher auf. «Ich freue mich auf diesen Auftritt. Ich soll Leuten aus dem Publikum die Haare schneiden. Vielleicht hält sogar Aeschbacher selber für einen‹Coupe Hardy› hin», sagt Schnalke ganz verschmitzt, während er gekonnt mit der Schere hantiert. Seit 55 Jahren haust er in der Wohnung an der Wetziker Bahnhofstrasse. Ein Bekannter von Schnalke habe dem Fernsehen vorgeschlagen, über den betagten Mann zu berichten. «Ohne dass ich davon gewusst habe.» Und er fügt hinzu: «Bei so viel Medienpräsenz muss ich noch einen Salon eröffnen, weil alle von mir die Haare geschnitten haben wollen.» Er möchte noch so lange weiterschneiden, wie er kann. «Denn ich fühle mich wie 60, nicht wie 90.» Das glaubt man Albert Schnalke aufs Wort. Im Korridor von Albert Schnalkes Wohnung lassen seine Kunden für 10 Franken ihre Haare. Foto: David Baer
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