«Ich gehe davon aus, dass immer ein Informant mithört»
Auch Armenien-Forscherin Bilgin Ayata hat in ihren Vorlesungen Spitzeltätigkeiten erlebt. Sie fordert die Schweiz auf, bei der Türkei zu intervenieren.

Haben Sie die Spitzelaktivitäten an der Uni Zürich überrascht?
Ich bin nicht überrascht, ich selbst forsche seit Jahren zum armenischen Völkermord und zum kurdischen Konflikt. Bei diesen Themen ist man seit den 1980er-Jahren der staatlichen Observation ausgesetzt. Insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen gehe ich davon aus, dass immer irgendein Informant im Publikum sitzt und mithört.
Fallen Ihnen diese Leute auf?
Ja, oft gibt es bereits im Vorfeld solcher Veranstaltungen direkte Einflussversuche türkischer Stellen. Ich weiss von deutschen Universitäten, wo die türkischen Konsulate sehr aktiv zu intervenieren versuchten. Alle, die zum armenischen Völkermord forschen, hatten sicherlich schon entsprechende Erfahrungen damit gemacht. In Konstanz gab es mehrere solche Vorfälle. Eine Kollegin, die heute an der Universität Basel lehrt und in Konstanz promovierte, hat dies bereits vor einigen Jahren selbst erlebt.
Zum Beispiel?
Zuletzt intervenierte der türkische Generalkonsul in einer Veranstaltung in Konstanz im Zusammenhang mit einer Ausstellung zu armenischen Relikten und forderte, dass ein türkischer Vertreter an einer Podiumsdiskussion teilnehmen sollte. Diese Art der Intervention, wenn es um den armenischen Genozid geht, findet sowohl auf universitärer als auch kultureller Ebene statt.
Sie lehren seit mehr als einem Jahr an der Uni Basel. Welche Erfahrungen haben Sie in der Schweiz gemacht?
Im Februar haben wir eine Veranstaltung zur Demokratie mit Bezug zur aktuellen Lage in der Türkei gemacht. Dabei wurden auch die Vorsitzende einer türkischen Menschenrechtsorganisation sowie ein kritischer Medienmacher via Skype interviewt. Eine Person in der ersten Reihe filmte demonstrativ mit seinem Handy die Veranstaltung. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass dies ein türkischer Spitzel war, aber es war ein demonstrativer Akt, der auch von den Zuschauern zur Sprache gebracht wurde. Solche Vorfälle passieren nicht nur im Auftrag des Staates, sondern auch auf Eigeninitiative nationalistisch gesinnter Individuen, die es als ihre patriotische Pflicht ansehen, Kritik an der Türkei zu melden.
Haben Sie interveniert?
Das war in diesem Fall nicht nötig, da die Person das Podium und somit mich, und also nicht das Publikum, gefilmt hat. Der Punkt ist, dass ich nichts zu verheimlichen habe. Meine Forschung und meine öffentlichen Beiträge sind allen selbstverständlich frei zugänglich.
Und wenn jemand systematisch das Publikum fotografieren würde?
Ja, dann würde ich sicherlich eingreifen.
Wie sollten die Schweiz respektive die Universitäten mit diesen Aktivitäten umgehen?
Zunächst muss es öffentlich thematisiert werden, und dann muss Druck auf den türkischen Staat ausgeübt werden, dass Kontrolle und Einflussnahme dieser Art im Ausland nicht erwünscht ist.
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