«Ich laufe auf Wolken, ich kann nun tief stürzen»
Catalin Dorian Florescu gewann gestern den Schweizer Buchpreis 2011. Im Interview spricht er über den Osten als Inspirationsquelle und den womöglich verpassten Pulitzerpreis.
Herr Florescu, herzliche Gratulation zum Schweizer Buchpreis 2011. Sie waren selber am meisten überrascht über den Gewinn. Weshalb? Ich war schon sehr zufrieden mit der Nominierung. Ich kannte auch die möglichen Grenzen: Die eine ist das Glück, die andere die Bücher der Konkurrenten. Ich spüre, wie ich nun erleichtert bin – ich laufe auf Wolken.
Aber Sie glaubten doch an Ihr Buch «Jacob beschliesst zu lieben», oder? Jeder Autor meint irgendwie, das beste Buch geschrieben zu haben. Ohne dass wir unser Wirken überschätzten, könnten wir gar kein Buch mehr schreiben. Die Ernücherung kommt ja früh genug. Diese Überschätzung ist wichtig, denn sie treibt uns voran.
Nach Ilma Rakusa, Melinda Nadj Abondji sind Sie nun der dritte Schweizer Autor mit Wurzeln in Osteuropa, der den Schweizer Buchpreis gewann. Ich rechne das der Jury sehr hoch an. Ich finde das ein Stück weit auch sehr mutig. Aber die Jurymitglieder sagten auch, dass sie nur die Literatur beurteilt haben. Es ist also reiner Zufall, dass drei Jahre in Folge Schweizer Autoren mit ausländischen Wurzeln den Schweizer Buchpreis gewonnen haben.
Oder hat doch auch der Exotenbonus gewirkt? Es stellt sich dann die Frage, wo die Exotik beginnt. Fängt die bei meinem Namen an? Ich glaube nicht, dass die Jury danach entschieden hat. Die hat klüger geurteilt. Und wenn Sie so wollen, waren alle Nominierten ein bisschen exotisch: Wir hatten mit Ingold einen Schweizer, der über ein russisches Schicksal in einem Gulag schrieb, wir hatten mit Lewinsky einen Schweizer mit jüdischen Wurzeln, der über einen Schauspieler in einem KZ schrieb, und wir hatten mit mir einen Schweizer rumänischer Abstammung, der über Deutsche in Rumänien schrieb. Und auch Monica Cantieni schrieb über Flüchtlinge. Es scheint, dass wir Schweizer Schriftsteller uns in der Suche nach prägnanten literarischen Stoffen globalisieren.
Ilma Rakusa, Melinda Nadj Abondji und Sie – alle drei schöpfen ihre literarischen Werke aus dem Erlebten. Ist dieses Element vielleicht auch entscheidend für die Wahl der Jury? Nein, das glaube ich nicht, denn einem Buch sieht man das nicht an. Ein Buch muss bestehen können, auch wenn der Leser nichts über den Autor weiss – lange über sein Ableben hinaus. Ein Buch hat eine eigene Seele, die unabhängig vom Autor ist. Wenn sich die Stimme, die im Buch spricht, Gehör verschafft – nicht nur im Hirn, sondern auch im Herzen des Lesers –, dann ist das womöglich einfach gute Literatur, unabhängig davon, ob das der Autor erlebt hat oder nicht.
Im Gegensatz zu Ihren ersten Büchern ist «Jacob beschliesst zu lieben» weniger biografisch gefärbt. Wollen Sie Ihre Werke weg von Ihrer Person führen? Natürlich bin ich Gestalter meiner Texte – ich führe sie, ich forme sie, ich gestalte sie. Darüber hinaus führt mich aber auch der Text irgendwo hin. Es ist ein ständiger Dialog zwischen dem, was ich will, und dem, was der Text braucht. Nur das, was in mir Leidenschaft hervorruft, erzeugt beim Leser auch einen solchen Effekt. Es gibt diese innere Logik meines Werkes, die weg von meiner Person führt, aber die ist nicht beabsichtigt, die ergibt sich, wenn man authentisch bleibt.
Werden sich Ihre zukünftigen Bücher trotzdem weiterhin um Ihre rumänische Herkunft drehen? Der Osten inspiriert mich mit all seinen Formen – Poesie, Archaik, Überlebenskampf, Surrealismus: Von dem ist dort noch alles vorhanden. Das Rumänien, das ich vor 30 Jahren verlassen habe, ist wie eine gute Mutter und hat sich mir noch nie versperrt. Jedes Mal, wenn ich dorthin gehe, beschenkt sie mich mit einer neuen Geschichte.
Sind Sie schon am Schreiben Ihres nächsten Buches? Vor fünf Jahren traf ich in Washington einen Menschen, der mich derart faszinierte, sodass ich sagte: «Das nächste Buch widme ich ihm.» Ich war seinetwegen zweimal in New York. Doch ein amerikanischer Roman lag damals noch nicht drin. Nun fliege ich im Februar nächsten Jahres für dieselbe Geschichte ein drittes Mal nach New York. Es soll eine Geschichte werden rund um den 11. September, die ich wiederum mit Rumänien verbinde.
Sie scheinen für Ihre Bücher viel zu reisen. Ja, für «Jacob beschliesst zu lieben» bin ich nach Lothringen und Elsass gefahren und habe in den Städten und Dörfern recherchiert. Ich wollte sehen, wo der Vorfahre von Jacob herkommt, Caspar, Musketier im 30-jährigen Krieg. Dann bin ich nach Ulm gegangen, wo Menschen aus ganz Europa sich versammelten, Abertausende, um auf die Boote zu steigen, die sie nach Osten brachten. Dann natürlich war ich im rumänischen Banat, wo Jacob am Anfang des letzten Jahrhunderts geboren wurde, als Deutscher. Ein Schriftsteller ist ein bisschen wie Kolumbus: Man hat einen naiven Mut und prescht voran. Man macht seine Boote bereit, man nimmt Proviant an Bord, die besten Matrosen, die man hat, und hofft auf gute Winde. Man will Land finden. Wohin einen die Strömungen und Stürme hintreiben, weiss man nicht. Das Scheitern nimmt man immer in Kauf.
Nun habe ich eine persönliche Frage: Weshalb tragen Sie häufig eine Baseballmütze? Ich halte darunter meine Geschichten zusammen, eine wahre Geschichtenzucht. Alle paar Jahre lasse ich eine raus.
Oder ist das ein Überbleibsel Ihres Versuchs, in die USA auszuwandern? Nein.
In den 1970er Jahren sind Sie mit Ihrem Vater in die USA gegangen, sind dann aber wieder nach Rumänien zurückgekehrt. Das beschreiben Sie in Ihrem ersten Roman «Wunderzeit». Wenn Sie in den USA geblieben wären, hättem Sie heute vielleicht als amerikanischer Autor den Pulitzerpreis bekommen. Ist das eine verpasste Chance? Wer weiss. Aber diese Einsicht tragen wir deutschsprachigen Autoren alle in uns: Wir sind auf der Welt nicht besonders gesucht, und Lizenzen unserer Werke sind schwierig abzusetzen. Aber es könnte auch sein, dass ich in den USA gar kein Autor geworden wäre, weil ich mich ständig mit der Lebensabsicherung beschäftigen müsste. Und dass ich dort mein Glück nicht gefunden hätte. Nicht anders, als wenn ich in Rumänien geblieben wäre.
Aber Sie bereuen es nicht, dass Sie 1982 von Rumänien in die Schweiz flüchteten? Nein, um Gottes willen. Ich bin sehr gerne hier in Europa, in diesen historischen Räumen, in denen Geschichte passiert ist.
Und nun der Schweizer Buchpreis 2011. Fühlen Sie sich in Ihrer Wahlheimat nun vollends akzeptiert? Ich fühlte mich hier nie anders. Ich hatte nie das Gefühl, dass man mich ablehnt. Ich bin genauso kritisch und liebevoll zur Schweiz wie zu meiner alten Heimat Rumänien. Ich ringe um diese Schweiz wie andere auch. Ich nehme auch in Anspruch, nicht anders sein zu dürfen.
Ändert sich mit dem Schweizer Buchpreis 2011 für Sie persönlich etwas ? Ich habe innerlich gespürt, wie sich ein Knopf löste. Der Preis gibt einen Anstoss, mich voller Lust an einen neuen Roman heranzuwagen – bei allen Gefahren, die nun herrschen: Ich kann nun tief stürzen. Ich passe aber sehr genau auf und frage mich: «Was ist dringlich? Wofür habe ich Bilder? Wofür habe ich Sprache? Was kann ich tun und was nicht?» Letztendlich ist bei jedem Buch die grösste Frage: Wer bin ich?
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