«Ich lebe meine Fantasien aus»
Der Zürcher Fotograf Alberto Venzago feiert mit einer Werkschau sein bisheriges Schaffen. Die ausgestellten Bilder erzählen von einem bewegten Leben.
Diese Ausstellung ist so etwas wie Ihr 50-Jahr-Berufsjubiläum. Kommt das hin?
Ja, ungefähr. Ich habe tatsächlich mit 15 angefangen, ein bisschen zu knipsen.
Was denn?
Nun, dazu muss ich etwas ausholen. Ich komme aus einer kreativen Familie. Meine Mutter kommt aus einer Schauspielerfamilie, deutsch, jüdisch, in die Schweiz geflüchtet. Mein Vater ist Italiener, Architekt, Musiker. Ein Umfeld, das offen für alles war. Davon habe ich natürlich Gebrauch gemacht.
Was heisst das?
Ich hatte schaurig den Plausch an den Meitli. Ich habe 13-, 14-Jährige nackt fotografiert und ihnen dann kleine Fotobücher zusammengestellt. Super schön, mit Liebe, völlig unschuldig. Blöderweise haben die Eltern von einem der Mädchen irgendwann so ein Buch entdeckt. Daraufhin sind meine Eltern eingeklagt worden. Ich hatte riesige Angst, dass ich im «Chefi» lande.
Haben Sie danach Abstand genommen vom Fotografieren?
Nein. Aber wenn die Aussenwelt so heftig auf etwas reagiert, was man komplett unschuldig macht, geht das nicht spurlos an einem vorbei. Aber Sie sehen es: Es hat nichts genützt!
Richtig: Inzwischen haben Sie zur Aktfotografie zurückgefunden.
Ich habe immer wieder dahin zurückgefunden. Das Lustige: In dieser Ausstellung ist keine einzige nackte Frau zu sehen. Das ist eigentlich sehr atypisch für mich. Ich wollte mal eine andere Seite von mir zeigen.
Können Sie sich an den ersten Job erinnern, für den Sie Geld erhalten haben?
Ja. Ich habe für die Zeitschrift «Pop» von Jürg Marquard gearbeitet. Ich war ein Hippie, hatte lange Haare und kam gerade von einer dreijährigen Weltreise zurück. Ich bin dann mit Pink Floyd und Led Zeppelin auf Tour gegangen.
Plötzlich waren Sie Fotoreporter?
Ja, das war grossartig. Nach einer Weile kam dann noch ein anderer Job dazu. Wir hatten gesehen, dass das «Bravo» grossen Erfolg mit nackten Mädchen hatte. Wir entschieden uns, da nachzuziehen. Das wurde dann zu meiner Aufgabe: die Girls suchen, überzeugen und ein bisschen frecher als im «Bravo» fotografieren. Nach ein paar Monaten fragte ich Marquard, ob ich dafür irgendwann Honorar bekäme. Er lief rot an und schrie: «Spinnst du eigentlich, du Arschloch? Du kannst nackte Weiber fotografieren und willst auch noch Geld dafür?»
Berühmt geworden sind Sie durch langfristig angelegte Reportagen, etwa über die Yakuza in Japan oder Voodoo in Afrika. Warum liessen diese Leute Sie so nah an sich heran?
Ich glaube, die spüren, dass da jemand vor ihnen steht, der ernsthaft interessiert ist. Die Yakuza fanden, ich sei ein furchtbarer Fotograf. «Kannst du nur schwarzweiss fotografieren?» Sie waren richtig enttäuscht.
Ich habe bald 25 Berufsjahre hinter mir. Was kommt noch auf mich zu? Wird die zweite Hälfte besser?
Früher gab es nur die Karriere. Alles drehte sich darum. Ein wahnsinniger, selbst auferlegter Stress. Ich führte ein rastloses Leben, war ständig unterwegs, lebte nur in Hotels. Sex hier, Sex da. Jetzt weiss ich, was mich interessiert und was nicht. Und im Moment interessiert mich das Projekt mit meiner Freundin Julia Fokina. Dafür brauchen wir Geld. Darum auch diese Ausstellung.
Welches Projekt?
Es heisst «ONE – Seduced by the Darkness». Dafür haben wir in den letzten vier Jahren etwa 150'000 Bilder geschossen. Immer nur von einem Sujet, immer wieder neu inszeniert: Julia Fokina.
Was ist so einzigartig daran?
Es wird nur neun Exemplare geben. Jedes ein Unikat mit anderen Bildern, jedes einzelne 50 Kilogramm schwer, Goldschnitt, einen Meter auf einen Meter sechzig. Eine Wundertüte für 75'000 Franken.
Sie verkörpern den Abenteurer. Sehen Sie sich selber auch so?
Ich bin sicher ein sehr neugieriger Mensch. Ich will wissen, was hinter der nächsten Ecke passiert. Und dann gehe ich eben nachschauen. Aber ich muss jetzt nicht mehr mit Bruno Manser – Gott hab ihn selig – drei Monate nach Borneo, zwanzig Kilo verlieren und fast verdursten. Das war einmal. Vor ein paar Jahren war ich in der Antarktis. Und plötzlich habe ich die Wellen, die Weite, die Einsamkeit wahrgenommen. Seither interessiere ich mich für Landschaften.
Am 20. September jeden Jahres fotografieren Sie in Malaysia immer den gleichen Baum. Warum?
Ich liebe die Wälder ausserhalb von Singapur. Es riecht irrsinnig gut dort, und die Bäume sind unglaublich mächtig.
Wie haben Sie den Baum gefunden?
Seit ein paar Jahren mache ich für eine Bank Porträtaufnahmen. Dazu setze ich die Banker in unglaubliche Szenerien. Zum Beispiel vor das Haibecken im Aquarium von Long Island oder eben vor diesen Baum in Malaysia. Ein Bild, das die Verhältnisse umdreht: Der Baum ist mächtig, der Mensch winzig.
Banker inszenieren Sie vor Haibecken. Wie würden Sie dann Trump inszenieren?
Habe ich mir noch nicht überlegt. Ich hatte mal den Auftrag, alle Bundesräte zu fotografieren. Moritz Leuenberger bat ich, sich breitbeinig auf sein Pult zu stellen. Ich fand das lustig. Er kam mir vor wie ein Kaiser mit seiner hohen, nervigen Stimme. Er meinte nur: «Spinnst du eigentlich, Alberto? Das mache ich ganz sicher nicht.»
Sie waren früher Kriegsfotograf. Während der Anschläge in Paris am 13. November 2015 machten Sie Aktbilder an der Seine.
Ja, wir haben von all dem nichts mitbekommen. Es gab nur den Moment: Julia nackt, mit offenem Mantel und Pelzmütze. Als wir fertig waren, haben wir dann die Sirenen gehört. Später im Restaurant sagten sie: «C'est la guerre!»
In einem früheren Leben wären Sie gleich zum Bataclan gestürmt.
Wahrscheinlich, ja. Aber wir waren in einer Parallelwelt unterwegs. Wir haben uns für einen teuren Wein entschieden. Und dafür, das Leben zu feiern. Santé!
Abgesehen von einer Auftragsarbeit für die VBZ – ein wunderschönes Buch über die Tramlinie 4 und ihre Fahrgäste – haben Sie nur ganz selten in Zürich fotografiert. Ist die Stadt nicht spannend genug?
Das hat damit nichts zu tun. In Zürich habe ich nach meinen Reisen immer vor allem die Ruhe und Sicherheit genossen.
Wovon leben Sie?
Von sehr gezielten Auftragsarbeiten für grosse Unternehmen und Events. Ausserdem erhalten wir viele Anfragen aufgrund der Bilder, die ich mit Julia mache. Meistens von Männern, die ihre Frau auch mal so inszenieren wollen. Nackt, erotisch und aufregend – bevor die Schönheit verblasst.
Stört es Sie, dass Sie manche als «alten Glüschtler» abstempeln?
Das ist mir scheissegal. Was die Leute über mich erzählen, interessiert mich null. Ich lebe meine Fantasien aus. Und zwar auf kreative Art, nicht im Puff.
Die Werkschau in der Galerie Venzago Fokina an der Heinrichstrasse 267 ist noch bis am 30. Juni zu sehen.
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