«Ich strebe nach Vollendung»
Simon Ammann will in seiner 20. Weltcupsaison wieder zu den Besten gehören – damit er sich die realistische Chance für einen weiteren Medaillencoup an den Winterspielen erhalten kann.

Sein Haar verrät Simon Ammann. Es ist dünn geworden. Man erkennt beim 36-jährigen Skispringer trotz aller jugendlicher Ausstrahlung also: Sein Athletenleben neigt sich dem Ende zu. Noch aber hält den vierfachen Olympiasieger, der im Februar seine sechsten Winterspiele bestreiten will, die Freude an seinem Sport in der Spur. Am Wochenende startet der Toggenburger in Wisla (POL) in seine 20. Weltcupsaison – nach einem miesen letzten Winter.
Was treibt Sie nach 20 Jahren als Skispringer noch an?
Das Skispringen übt weiter einen riesigen Reiz auf mich aus. Die Lebendigkeit des Sports, des Fliegens an sich, ist gross. Ich will noch mehr davon erleben.
Fällt Ihnen das Loslassen auch darum schwer, weil man solche Emotionen ausserhalb des Sports kaum erfahren kann?
Eine schwierige Frage. Ich weiss zurzeit ja nicht genau, wie mein Leben nach dem Sport verlaufen wird. Davor habe ich auch Respekt. Zugleich muss ich festhalten: Hätte ich das Gefühl gehabt, mit dem Sport abschliessen zu können, hätte ich aufgehört. Bislang passte der Rücktritt jedoch nicht in meine Geschichte. Zumal ich sehr privilegiert bin.
In welcher Hinsicht?
Ich darf im relativ hohen Athletenalter weiter Spitzensport betreiben, bin körperlich noch immer sehr leistungsfähig. Natürlich muss ich mir anders Sorge tragen als mit 25. Aber mit 36 noch Skispringer sein zu dürfen und an meiner Leistungsgrenze zu arbeiten, empfinde ich als Privileg. Frühere Sportlergenerationen waren in meinem Alter längst zurückgetreten. Ich profitiere also vom Glück, in den 1980er-Jahren auf die Welt gekommen zu sein.
«Beim Aufwärmen spaziere ich mittlerweile zuerst einige Minuten. Ich mag dieses Ritual.»
Haben Sie keine körperlichen Verschleisserscheinungen?
Natürlich brauche ich mehr Zeit, um mich nach Trainings zu erholen. Auch plagt mich phasenweise der Rücken. Grundsätzlich aber bin ich beschwerdefrei, kann also zeigen, dass Sport selbst in diesem intensiven Bereich gesund sein kann. Dass ich mittlerweile beim Aufwärmen erst einmal einige Minuten spaziere statt jogge, nehme ich da locker hin, das nutze ich gar, um behutsam ins Training hineinzukommen. Sobald ich mich spüre, nimmt die Intensität zu. Dieses Ritual mag ich.
Sie definierten sich lange auch über Siege. In den letzten zwei Jahren aber waren Sie chancenlos, nur schon in die Top 3 zu springen. Wie blieben Sie da motiviert?
Klar orientiere ich mich grundsätzlich an Topplätzen. Bloss muss man sehen, in welcher Phase ich mich nach meinem schweren Sturz von 2015 befand: Ich musste erst wieder Selbstvertrauen finden, stellte meine Landung um und auch mein Flugsystem. Diese Arbeit war zäh und dauerte elendslang. Darum muss ich mich auch noch beweisen. Mein Ziel bleibt schliesslich, den Kontakt zu den Besten wieder herzustellen.
Aber Sie könnten nach all den Erfolgen doch auch sagen: Ich habe mir nichts mehr zu beweisen . . .
. . . was stimmt und mir trotzdem nicht entspricht. Das Leben besteht grundsätzlich darin, dass man Aufgaben löst. Zumindest ich kann nicht quasi vom Beifahrersitz aus zuschauen und mir sagen: «Wow, du hast schon so viel erreicht, jetzt nimm diese letzten Skispringerjahre doch gelassen.» Ich strebe – gross gesprochen – nach sportlicher Vollendung. Noch habe ich sie nicht erreicht, also springe ich weiter.
Wie definieren Sie diese Vollendung?
Nennen wir sie vielleicht besser Erfolg. Ich bin dann erfolgreich, wenn ich von Sprung bis Landung wie aus einem Guss agiere, also intuitiv. Was sich einfach anhört, ist extrem schwierig zu erreichen – wie ich erfahren musste.
Ränge sind und bleiben sekundär?
Ich bin diesbezüglich vorsichtig. Klar ist mir aber schon: Will ich an den Spielen zu den Medaillenkandidaten gehören, muss ich bereits in der Saison einer der Besten sein und damit folglich den Anschluss an die Spitze schaffen. Ob dazu allerdings Leistungen in den Top 10 oder Top 5 gehören, ist weniger wichtig. Dass ich mich lieber in den Top 5 sähe, ist hingegen logisch (lacht).
«Natürlich kann ich in den kommenden Wochen auch scheitern. Das ist mir sehr bewusst.»
Mitzumachen wird Ihnen an den Olympischen Spielen zu wenig sein?
Nein, denn Sie haben das Wörtchen nur in der Frage vergessen. (lacht) Im Ernst: Ich wage zurzeit keine Prognose, weil ich mich erst einmal in die Position bringen muss, dass ich für eine Medaille gut genug bin. Darum ist mir sehr bewusst, dass ich in den kommenden Wochen auch scheitern kann, also deutlich schwächer springen werde, als ich mir das wünsche. Ich freue mich deshalb auf den baldigen Saisonstart: Endlich erhalte ich erste Antworten, wie gut ich bin, auch im Vergleich mit meinen Konkurrenten.
Sie sind mittlerweile Skispringer, Vater zweier Kinder, Geschäftsmann und Pilot. Wie bringen Sie all diese Facetten zusammen?
Es funktioniert, vielleicht nicht immer optimal, aber es funktioniert. Zumindest bin ich zufrieden, wenn ich überall ständig dran bin. Ich darf einfach nirgends abreissen lassen, sonst hinke ich hinterher. Aber Gegenfrage: Kann man immer zufrieden sein mit dem, was man tut? Ich glaube nicht.
Brauchen Sie viele Projekte und Pflichten, damit Sie sich lebendig genug fühlen?
Die Lernerei (inzwischen für die Ausbildung zum Linienpilot) hält mich geistig frisch und hilft mir beim Abschalten vom Sport. Wobei es dafür einen steten Effort braucht. Ich muss mich regelmässig anhalten, zu lernen. Betreffend Familie will ich nicht zu viel sagen. Aber: Kinder können egoistisch sein. Nur müssen sie lernen, dass auch der Papa sein Leben gestalten will. Geschäftlich kann ich ja nicht einfach abhängen, also braucht es Kontinuität. Ich befinde mich also in direktem Sinn in meinen Schaffensjahren. Vielleicht sagt der eine oder andere Aussenstehende, der Ammann verzettelt sich doch! Aber ich lasse mich nicht von aussen beurteilen. Mein Leben ist vielfältig und lebendig. Das mag ich. So bin ich.
Trotzdem starteten Sie nach dem Saisonende 2016/17 sofort in die Vorbereitung für diesen Olympiawinter. Haben Sie das Skispringen noch mehr priorisiert?
Ich spürte schlicht, dass ich mir keine Pause erlauben durfte, sondern kontinuierlich an mir arbeiten musste, wollte ich eine realistische Chance erhalten, noch einmal top zu werden. Ich glaube zumindest sagen zu können: Diese Chance ist weiter vorhanden.
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