«Ich weiss sehr wenig»
Walter Pfeiffer stieg vom Geschirrwäscher in der WG von Manolo Blahnik zum Modefotografen auf: Heute Abend wird der 70-Jährige an der Photo 17 für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Er ist bald 71 Jahre alt und so aufgeregt, als müsse er zum ersten Mal öffentlich auftreten. Wir haben noch nicht einmal Platz genommen zu Tee und Interview, da sprudelt es bereits heraus aus dem Walter Pfeiffer. Wegen dieser Podiumsgeschichte. Denn Sache ist, dass er am Freitag an der Photo 17 für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird und dass er dort am Montag als Stargast auftreten und über sein Leben und Schaffen erzählen soll. Schlecht geschlafen habe er, sagt Pfeiffer, um vier Uhr sei es aus gewesen mit der Nachtruhe, und deshalb habe er sich in der Apotheke diese tibetischen Beruhigungskapseln geholt. Er klaubt sie mit zittrigen Händen – sein Handicap, schon immer – aus der Packung und spült sie mit ein paar Schlucken Verveine-Tee hinunter. Aber: Hinter der Nervosität, da brodelt sie, die Freude. Darüber, dass ihm das alles doch noch passiert ist, «kurz vor Schluss», wie er es selbst formuliert. Dass man seine Arbeit ernst nimmt, für die er jahrzehntelang belächelt wurde.
Der Erfolg kam bei Ihnen zu einem Zeitpunkt, an dem andere an den Ruhestand denken.
Das ist ja gar keine richtige Fotografie, die du machst, hat man mir immer gesagt. Ich will das gar nicht dramatisieren, aber so war das wirklich.
Dann klopfte 2010 die «Vogue» an.
Die «Vogue Homme». Sie bestellten mich nach Paris und fragten, wo ich wohnen wolle, und ich traute mich, mir das Plaza Athénée zu wünschen, weil ich früher immer daran vorbeigelaufen war und gedacht hatte: Wow, da oben wohnt Marlene Dietrich! Ich bekam also ein Zimmer dort, dazu eine Assistentin, die nur dafür zuständig war, die Filme in die Kamera einzulegen. Das war komplett surreal. Nach dem Shooting wartete ich auf den Anruf, in dem man mir sagen würde, das sei zwar alles ganz nett, aber man wolle doch etwas anderes. Stattdessen wurde das tatsächlich gedruckt. Und dann kam auch noch die «richtige ‹Vogue›». Ich fotografierte dann Eva Herzigova im Le Meurice. Dort durfte ich ebenfalls nächtigen, dafür betrug das Honorar gerade mal 80 Franken. Die Zeiten, als man mit «Vogue»-Jobs reich wurde, habe ich definitiv verpasst.
Wann wird ein Modefoto gut?
Wenn die Atmosphäre stimmt. Die Magie eines Fotos kommt ja nicht nur vom Fotografen, der den Ausschnitt aussucht und abdrückt. Da sind auch die Ambiance, das Model, die Kleider, der Coiffeur, das Make-up . . . Das spielt alles zusammen. Deshalb höre ich auch gerne auf Ratschläge. Ich kann ja nicht alles wissen, technisch weiss ich sogar sehr wenig, da kann der Input von aussen das Tüpfchen auf dem i sein.
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Eine Auswahl von Walter Pfeiffers Werken finden Sie im Zoom-Fotoblog
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Ihre Bilder wirken sehr frisch. Erzielt man diese Frische nur mit jungen, schönen Models? Ältere Semester sucht man in Ihren Bildern vergeblich.
Darauf werde ich häufig angesprochen. Aber alte Menschen? Das könnte ich nicht. Neulich habe ich im Tagi eine Bildserie von 100-Jährigen gesehen. Grossartig, aber nicht meine Kragenweite. Dafür bin ich nur schon technisch zu wenig versiert.
Wie definieren Sie Schönheit?
Gerade gestern habe ich im Coop eine junge Frau gesehen und gedacht, was für eine Erscheinung! Und zwar, weil sie gar nicht wusste, wie schön sie wirkt. Sobald es ihnen bewusst wird, verpufft es. Oft orte ich Schönheit weniger in ebenmässigen Gesichtszügen als darin, dass mich etwas an die Klassik erinnert. Ich bin ja vollgepumpt mit Kunstgeschichte, mit den Griechen und Michelangelo und den alten «Harper's Bazaar»-Ausgaben, die ich als Teenager in Beggingen in der Bibliothek durchblätterte. Würden wir durch Zürich schlendern, könnte ich Ihnen sofort zeigen, was ich schön finde. Schönheit ist in der Theorie schwierig, aber in der Praxis ganz einfach.
Wer Ihre Bilder ansieht, ohne den Künstler dahinter zu kennen, wird diesen in New York City verorten oder in einer anderen Grossstadt. Die Fotos wirken sehr urban. War Ihnen Zürich nie zu eng?
Die Frage verfolgt mich. Aber es war so: In den 70ern und 80ern, da war Urs Lüthi hier der grosse Künstlerstar, mit einer eigenen Entourage. Und ich? Ich war der kleine Illustrator mit einer schäbigen Einzimmerwohnung. Aber trotzdem scharte auch ich meinen eigenen Verein um mich. Meine Clique bestand ausschliesslich aus schönen Frauen, aus Busenfreundinnen, die mich aufmunterten und ihrem «Schwüchtelchen» Ratschläge erteilten. Die waren alle falsch, aber sie kamen von Herzen. Das hielt mich in Zürich. Und heute? Da sterben die Freunde allmählich weg. Aber ich bleibe. Ein Little Big Photographer in der Little Big City.
Dem man jeden Morgen beim Schwimmen im Hallenbad City begegnet. Respekt!
Ich lebe total gesund. Ich koche selber, Gemüse mit Reis, Gemüse mit Nudeln, Gemüse mit Fisch. Fleisch esse ich nur, wenn ich eingeladen bin. Das habe ich mir so angewöhnt, als ich kein Geld hatte, und so gut wie meine Mami kriege ich es eh nicht hin. Und sonntags gehe ich laufen. Ich nehme den Zug, fahre irgendwohin, wo ich noch nie war, und hoffe, ich verlaufe mich. Ich liebe das!
Und Ihren Facebook-Account bewirtschaften Sie selber?
Früher hat das ein Fan gemacht, aber als wir uns verkrachten, hat er alles gelöscht. Jetzt muss ich selber an die Säcke. Da hat es so eine Warteliste mit Freundschaftsanfragen, die ist voll, ich schaue da aber nie drauf. Der Chef (die New Yorker Agentur Art & Commerce, Red.) sagt immer, ich solle mir ein Smartphone zulegen, damit ich endlich bei Instagram mittun kann. Aber ich weiss nicht so recht.
Wenn Sie mit einer Berühmtheit zu Abend essen dürften, egal, ob tot oder lebendig – wer wäre das?
Das würde ein Gruppendinner werden! Marlene Dietrich, Michelangelo – und Manolo Blahnik. Den kenne ich schon ewig. Wir kamen 1970 an einer Allen-Jones-Vernissage ins Gespräch, weil ihm meine Schuhe auffielen. Ich fotografierte ihn danach oft. Eine Zeit lang durfte ich bei ihm in London wohnen – und musste dafür das Geschirr abwaschen. David Hockney wohnte gleich vis-à-vis. Den könnte man auch noch dazuholen, zum Dinner. Und Andy Warhol natürlich, der ist unerreicht! Ich hortete seine Ausstellungskataloge wie Reliquien. Einen hat er mir sogar signiert, als er einmal in der Kronenhalle ass, um 1970. Der Kellner brachte ihm das Buch, ich wartete am anderen Ende des Raumes und konnte kaum atmen.
Wollten Sie ihm nicht wenigstens die Hand schütteln?
Hätte ich mich nie getraut! Das wäre gewesen, wie Gott die Hand zu schütteln.
Apropos: Sind Sie gläubig?
Ja, ich bin reformiert – auch wenn ich den Katholizismus eigentlich faszinierender finde. Und ich gehe regelmässig in meine Stammkirche, das Fraumünster. Als Bub vergass ich einmal den Turnsack zu Hause – und schickte ein Stossgebet zum Himmel, der Lehrer möge die Turnstunde absagen und nichts merken. Er sagte sie tatsächlich ab. Sie können lachen, aber das hat mich geprägt.
Wie halten Sie es mit der Politik?
Ich kann mich nicht festlegen, ob links oder rechts. Aber ich interessiere mich und gehe wählen und stimmen. Immer.
Was halten Sie vom Schweizer Fotonachwuchs?
Ich muss gestehen, dass mir etwas der Überblick fehlt. Aber was ich kenne, braucht den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Das ist alles andere als hinterwäldlerisch.
Sie haben selbst schon unterrichtet.
Aber nicht Fotografie, das würde ich mich nie getrauen. Die jungen Leute sind technisch alle viel geschickter als ich. Das Fach, das ich an der Zürcher F+F Kunstschule unterrichtete, hiess «Inspiration». Man war da ganz frei im Inhalt, ich konnte mit den Studenten zeichnen, filmen, Theater machen. Das war grossartig. Aber ich war ein strenger Lehrer. Wenn es nach mir ginge, würde man die Klassenzimmer um Viertel nach acht abschliessen. Auch diese Duzis-Kultur in der Schule, die stört mich.
Was raten Sie jungen Fotografen?
Tanze nicht auf dem Tisch vor Freude, wenn du Erfolg hast, es kann schnell wieder vorbei sein. Eine Karriere ist nicht nur ein Aufstieg. Man muss dann auch oben auf dem Berg bleiben, wo die Luft dünn ist. So gesehen, ist ein später Erfolg wie bei mir ein Segen.
Was viele nicht wissen: Sie sind nicht nur Fotograf, sondern auch Maler und Zeichner. Ärgert es Sie, dass dieser Teil Ihres Schaffens so wenig bekannt ist?
Wer weiss, vielleicht ändert sich das noch; derzeit ist ein Buch in Planung. Aber selbst wenn das niemanden interessieren sollte: Ich habe die Möölelerei immer ernster genommen als das Fotografieren. Beim Zeichnen und Malen wollte ich immer Fortschritte sehen. Die Fotografie hingegen – das ist ein Automat. Ein Klick, fertig.
Zum Schluss: Champagner oder Rotwein?
Champagner!
Schokolade oder Chips?
Schoggi! Die schwarze.
Frédéric Chopin oder Justin Bieber?
Bieber! Das letzte Album ist super, das habe ich rauf und runter gespielt.
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