«Ich will lustig sein»
Der Schweizer Rapper 24 Dias erniedrigt Frauen mit sexistischen Texten. Wie er das rechtfertigt und was die Rapperin Big Zis und ihr Kollege Landro davon halten.

Als Kind hat sich Benjamin Häberli Musikvideos auf MTV reingezogen. Immer und immer wieder. Die Rapper von der East und der West Coast bekämpften sich, protzten mit Autos, mit Waffen und mit Frauen. Benjamin Häberli sass im Wohnzimmer in Zofingen vor dem Fernseher und sog alles auf.
Jetzt ist Häberli 28 und selbst Rapper. 24 Dias nennt er sich. Kürzlich trat er beim Klassentreffen der Schweizer Rapszene auf, dem SRF-«Virus Bounce Cyper». Dort reimte er unter anderem: «Dini Fründin isch e Slut, abgfuckt und verbrucht, kaputte huere Huufe, sie kackt der uf de Buch. Es Luder, e Schabracke ohni BH. Lueg dini Fründin schafft bi ‹wrack.ch›».
Humor kenne keine Grenzen, sagt Benjamin Häberli, der im Kundendienst einer Paketfirma arbeitet, um Geld zu verdienen. Dass seine Texte sexistische Züge hätten, sei ihm bewusst.
Frauenstreik und #MeToo
Mit 63,1 Prozent hat die Schweiz die Verschärfung der Rassismusstrafnorm angenommen. Das Strafrecht schützt nun auch Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Er habe Ja gestimmt, sagt Benjamin Häberli. Und auch vom Frauenstreik und von der #MeToo-Bewegung habe er gehört.
Weshalb erniedrigen Sie eine Frau während einer ganzen Strophe?
In erster Linie mache ich mich hier über einen Mann lustig , der eine unattraktive Frau wählt. Im Battle-Rap geht es darum, jemanden fertigzumachen. Ich habe einen coolen Reim auf «wrack.ch» gesucht. Ein Freund von mir arbeitet beim Onlineshop Brack. Bei einer «Beizlitour» sind wir auf dieses Wortspiel gekommen und haben uns amüsiert.
Was wollen Sie mit dieser Zeile erreichen?
Sie soll lustig sein. Ich will den Zuhörern in diesem Moment einen Nackenklatscher geben. Und es geht um den Rhythmus. «Abgfuckt und verbrucht» und «kackt der uf de Buch» – das klingt schön mehrsilbig. So überlege ich manchmal. Komisch oder?
Schon, ja. Was haben Ihre Texte mit Ihnen als Person zu tun?
Ich mag schwarzen Humor. Beim Feierabendbier rede ich manchmal mit Kollegen so. Aber ich bin ein übersozialer Mensch; habe einen Mutter-Teresa-Instinkt. Im Job komme ich manchmal an den Anschlag, weil ich das Gefühl habe, jedem Menschen helfen zu müssen.
Sie sind also nicht sexistisch?
Nein. Als Privatperson überhaupt nicht.
Würden Sie auch Texte rappen, die rassistisch sind?
Das passt nicht zu mir; ich bin Doppelbürger. Ausserdem wissen die Leute, dass ich das Gegenteil von einem Rassisten bin.
Aber Sie sind ja auch das Gegenteil von einem Sexisten?
Das ist so. Aber Battle-Rap hat traditionell einen sehr rauen Jargon und sexistische Züge. Diesen Stil habe ich teilweise unbewusst übernommen.
Ich will den Zuhörern in diesem Moment einen Nackenklatscher geben.
Franziska Schläpfer begreift das nicht. Wenn die Rapper verstünden, wieso sie «Nigger» nicht benützen dürften, müssten sie auch begreifen, dass «Bitch» nicht gehe, sagt die 43-jährige Rapperin. Im Jahr 2002 veröffentlichte die Zürcherin ihr erstes Album. Sie rappte damals Zeilen wie «Ich hang mer din Schwanz um de Hals und sprüz uf den Mond». Dass sie die Macho-Attitüde übernahm, fanden viele angriffig. Das Thema ist heute kein bisschen weniger aktuell.
Die künstlerische Freiheit
Sie wolle nicht die einzelnen Rapper beschuldigen, sagt Franziska Schläpfer. Aber das System dahinter müsse entlarvt werden. Es seien Machtverhältnisse, die aufrechterhalten werden wollen. Darum sei es wichtig, darüber zu reden.

Was lösen sexistische Zeilen bei Ihnen aus?
Ich lasse sie nicht an mich heran. Wir Frauen werden darin als minderwertige Menschen dargestellt. Als Objekte, über die man Macht hat und die man erniedrigen darf. Wir werden als Anhängsel denunziert, die Kinder gebären und funktionieren sollen.
Rapper bezeichnen diese Aussagen als Stilmittel.
Mit ihren sexistischen Texten zementieren sie eine patriarchale Weltordnung. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie sich als Kunstfigur sehen oder im Alltag auch wirklich so handeln. Wir können nicht dauernd «künstlerische Freiheit» schreien, nur weil der Reim fett ist. Sondern wir müssen sagen: Okay, der Reim ist fett. Aber was ist los mit diesem Inhalt? Was genau soll er bezwecken?
Hat die Schweizer Rapszene ein Sexismus-Problem?
Ja. Die Gangster- und Battle-Rap-Szene weltweit hat dieses Problem – und viele andere Teile der Gesellschaft ebenso.
Wie kann das Bild der unterworfenen Frau aus dem Rap verschwinden?
Indem Künstlerinnen und Künstler genauso coolen und harten Rap machen ohne sexistische Reime. Tradition rechtfertigt keine Erniedrigung. Ich will niemandem den Mund verbieten. Aber ich wünsche mir, dass die Jungs aus der Rapszene solche Auftritte mehr «bashen». Dass sie sagen: «Dude, du bisch so ne Pfiffe. Du willst die Frau eines Typs schänden, quasi als Stellvertreterkrieg, anstatt dich wirklich mit ihm anzulegen?»
«Mit ihren sexistischen Texten zementieren die Rapper eine patriarchale Weltordnung.»
Luca Brawand wurde als Landro mit seinem Song «Holunderblüetesirup» bekannt. Im «Bieler Tagblatt» denkt der 23-Jährige in seiner Kolumne darüber nach, was ihn beschäftigt. An der Universität Zürich studiert er Kommunikationswissenschaft und Medienforschung. Gegen die sexistischen Texte am SRF-«Virus Bounce Cypher» hat sich Luca Brawand nicht aufgelehnt.

Was halten Sie von sexistischen Texten in Rapsongs?
Wenn die Rapper wirklich ein frauenverachtendes Weltbild vertreten, ist es problematisch. Doch bei 24 Dias kann ich es einordnen. Er macht diese Aussagen als Kunstfigur und meint sie nicht ernst. Wer sich in der Schweizer Rapszene auskennt, weiss das.
Sie finden solche Zeilen also witzig?
Manche mehr, manche weniger. Ich finde, sie müssen kreativ sein und einen weiterführenden Zweck haben.
Wieso erniedrigen Sie selbst keine Frauen in Ihren Texten?
Das entspricht nicht meinem Frauenbild, und ich finde es auch künstlerisch nicht spannend. Ich denke nicht so und fühle mich unwohl, wenn ich gewisse Wörter brauche.
Hat der Rap in der Schweiz ein Sexismus-Problem?
Nein. Alle Leute, die ich aus der Rapszene kenne, haben ein progressiveres Weltbild als der Durchschnittsschweizer. Ausserdem macht nur ein Bruchteil der Schweizer Rapper sexistische Texte.
Erwachsen werden
Benjamin Häberli sagt, es habe sich bei ihm keine einzige Frau gemeldet, die sich von seinen Zeilen beleidigt fühlte. Vor dem SRF-«Virus Bounce Cyper» habe er den Text einigen Kollegen gezeigt und absegnen lassen. Sie hätten ihn gefragt: «Willst du das wirklich so rappen?» Er sagte: «Ja, warum nicht?» Ein solcher Rapevent sei auch da, um Druck abzulassen.
Auf seinem Album würde er solche «Lines» hingegen nicht veröffentlichen, sagt Häberli. Und auch sonst will er seine Wortwahl in Zukunft etwas stärker hinterfragen. Sein Stil sei etwas veraltet. «Ich muss mich davon lösen», sagt Häberli.
Manchmal fragt er sich, ob er die Texte vielleicht bereuen wird, wenn er Kinder hat. Und ob er sie ihnen zeigen wird. «Auch ich werde mal erwachsen», sagt Häberli. Nur dauere das bei ihm etwas länger.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch