Neue Musik von Iggy PopIggy singt nicht mehr, wie er fühlt – sondern nur noch, wie er war
Brauchen wir ein neues Album des Godfather of Punk? «Every Loser», sein 19. Werk als Solist, gibt uns ernüchternd zu verstehen: nicht wirklich.

Möglicherweise hat er sich gedacht: Dann gebe ich ihnen halt wieder, was sie erwarten. Was ich ihnen seit Jahrzehnten vorsinge und vorturne, mit meinen Hits durchsetzt. Was den Jüngeren gefallen könnte, die im Sommer über eine Fernsehserie herausgefunden haben, dass es einmal eine englische Gruppe gab, die sich The Sex Pistols nannten. Dann gehe ich ein letztes Mal auf Tournee, renne in meiner Plastikhose über die Bühne, krümme mich wie unter Schlägen, rudere mit Armen und Beinen, springe in meiner durchtrainierten Art ins Publikum und schreie.
Denn genau so, man muss es leider sagen und damit allen Kritikern widersprechen, die Iggy Pops neues Album zum Comeback hochzuschreiben beschlossen, kommen einem seine neuen Lieder vor: wie das Abarbeiten eines Kraftprogramm-Parcours, bei dem man an jedem Gerät schon weiss, was einen beim nächsten für eine Anstrengung erwartet.
Zwar ist Iggy Pop zu Geld und Ruhm gekommen und wird zu Recht als Godfather of Punk verehrt, der Götti der Unzufriedenen, weil er und seine Stooges den nihilistischen Minimalismus der Punkbewegung mit Stücken wie «Search and Destroy» oder «I Wanna Be Your Dog» um zehn Jahre vorweggenommen hatten.
Nur scheint es ihm langweilig geworden in seiner Villa in Miami mit seinem Papagei und seiner gesunden Ernährung und dem regelmässigen Schwimmen, wie er dem englischen Musikmagazin «Mojo» seinen Tagesablauf geschildert hat. Und es deshalb noch einmal versuchen wollte mit einer Musik, die klingt wie seine eigene von früher.
Trauern nach dem Attentat
Etwas von diesem tobenden Trotz bestimmt Ton und Tonalität seines 19. Soloalbums. Es ist sein erstes reguläres seit «Post Pop Depression» von 2016, auf dem Iggy Pop und sein Gitarrist und Produzent Josh Homme unter dem Schock des islamistischen Attentats auf das Bataclan standen, den Pariser Musikclub. Freunde von ihnen waren damals auf der Bühne gestanden.
Das damalige Album bleibt eines von Iggy Pops besten, gerade weil es so deutlich auf seinen Freund David Bowie verweist. David Bowie und Iggy Pop hatten Pops erste beide Soloalben zusammen komponiert und eingespielt. Pop hat seither nie mehr ein Solowerk auf diesem Niveau fertiggebracht; mit seinem vorletzten Album kam er am nächsten daran heran.
Nichts von dieser stilistischen Vielfalt, dem Reichtum der Arrangements, der instrumentalen Originalität und der Songschreiberqualität hat den Transfer in die Gegenwart überlebt. Stattdessen wirft der Sänger auf dem neuen Album, das heute erscheint, mit Versatzstücken von Punk, Heavy Metal und dem Hardrock der Stooges um sich, seiner ersten Band. Manche Stücke klingen genau so, wie der Titel «Modern Day Ripoff» es signalisiert: als auf neu gemachte Wiederaufführungen.
Auf Englisch nennt man so etwas «going through the motions», sein Programm abspulen.
«Every Loser» ist das matte Lebenszeichen eines unverwüstlichen Wüstlings, der sich noch mit 75 mit nacktem Oberkörper fotografieren lässt, um zu zeigen, wie gut er auch mit seinen Falten aussieht.
Auf Englisch nennt man so etwas «going through the motions», sein Programm abspulen, lustlos tun als ob. Wie wenig der Sänger motiviert war, merkt man auch den Texten seiner neuen Lieder an. Wer Iggy Pops Karriere kennt, weiss schon lange, was für ein inspirierter, geistreicher und auch humorvoller Lyriker er sein kann. Wenn man aber Zeilen hört wie «I can puke and ruin your swimming pool, I’m a neon punk» («ich kann deinen Swimmingpool vollkotzen») – und das Album ist voll solcher Selbstparodien, die Iggys Tendenz zur Selbstvernichtung karikieren –, dann wünschte man sich, er hätte es gelassen.
Hier singt einer, wie er einmal war
Auch darum überzeugte «Post Pop Depression» vor zehn Jahren und enttäuscht «Every Loser» heute: Hier singt einer, wie er einmal war, während damals einer sang, wie er sich fühlte. Das wunderbare Stück «Morning Show» auf dem neuen Album deutet an, was Iggy Pop aus dieser Wahrnehmung des Erlöschens hätte machen können. Auf dem Stück besingt er mit seinem bodenlosen Bariton zu karger Gitarrenbegleitung die Erfahrung, sich parat machen zu müssen für einen Fernsehauftritt, den keiner sehen wird, der ihn mag, denn er findet morgens statt. Und fast jeder, der Iggy Pop mag, zu dieser Zeit noch zugedröhnt im Bett liegt.
Iggy Pop: «Every Loser» (Atlantic/Warner)
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