Ihrer Zeit voraus
Kurz nach dem Weltkrieg kämpften viele Schweizerinnen für das Frauenstimmrecht. Sie ernteten Spott bei den Männern und stiessen auch unter Frauen nicht selten auf Skepsis.

Die «Zeitbilder»-Reportage vom 15. Juni 1946 rückt ein Thema in den Vordergrund, dem sich damals wahrscheinlich viele Männer am liebsten verweigert hätten: das Frauenstimmrecht.
«Andererseits scheint es auch sonderbar, dass die älteste Demokratie den Frauen ein Recht verweigert, das sie in jüngeren Demokratien besitzen. Ein einziger Einwand ist stichhaltig: Es wird behauptet, dass die Schweizerinnen das Stimm- und Wahlrecht gar nicht wollten.»
Das Magazin stellte deshalb neun Frauen die Frage: «Wollen die Frauen das überhaupt?» Die beliebte Westschweizer Schauspielerin Blanche Aubry, damals ein aufgehender Stern im Showbusiness, tritt bei der Umfrage vehement für das Frauenstimmrecht auf. Die Schweizer Frau habe sich das Mitspracherecht in diesem Krieg verdient. Die Männer anerkannten durchaus, dass die Frauen in dieser schweren Zeit Grosses geleistet hatten. Sie hatten sich hinter die Landesverteidigung gestellt, dienten in der Armee im Frauenhilfsdienst (FHD), füllten die Lücken, wo die Männer abwesend waren. Endlich wollten sie die Dividende einziehen, das politische Mitspracherecht.
Doch als die Mitbegründerin des FHD, Else Züblin-Spiller, nach dem Krieg dem Bundesrat ein Gesuch stellte, das beratende Frauenkomitee weiter bestehen zu lassen, winkte der Bundesrat ab. Der damalige Wirtschaftsminister Walther Stampfli antwortete in einem Brief etwas altväterisch: Ein Frauenkomitee, selbst wenn es die besten und führenden Köpfe der schweizerischen Frauen in sich vereinige, «könne unmöglich in allen Spezialfragen, mit denen sich die Bundesverwaltung zu befassen habe, gleich beschlagen sein». Er bot den Frauen jedoch an, von Fall zu Fall konsultiert zu werden, falls die Themen Fraueninteressen berührten.
Die Intellektuelle in Bern
Befragt wurden Frauen quer durch das Volk: die Bäuerin Dorothea Florin aus Igis-Landquart (52), Mutter von sechs Knaben; die Laborantin aus St. Gallen, Fräulein Charlotte Meyenberger, ledig und berufstätig, oder die Intellektuelle in Bern, Frau Witwe Hedwig Lotter, die auf Auslandsreisen «die Gelegenheit gehabt habe, das Problem des Frauenstimmrechts zu studieren». Dabei sei sie zum Schluss gekommen, es abzulehnen, weil sie «den Fanatismus der Frau fürchtet und speziell glaubt, der Schweizerin fehle der politische Instinkt». Am Schluss rechnete das Magazin auf, dass sich vier der neun Frauen gegen das Mitspracherecht aussprachen, zwei wollten es nur in Gemeindeangelegenheiten und Schulfragen, und drei forderten es vehement.
«Fräulein Dr. med. Adrienne Kägi besitzt als Augenärztin einen Ruf, der über die Grenzen der Stadt hinausgeht. Sie glaubt, das ‹starke Geschlecht› könnte froh sein, wenn die Frauen in der Politik mitmachten und einen Teil der Verantwortung auf sich nähmen.»
Das Ringen um Anerkennung war für die Frauen kein Spaziergang. In der Aufbruchstimmung der Nachkriegsjahre fanden einige Abstimmungen in den Kantonen statt, die jedoch alle negativ ausgingen (1946 Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Genf, Tessin; 1947 Zürich; 1948 Neuenburg, Solothurn; 1951 Waadt).
Das 2001 erschienene Buch «Frauengeschichte(n)» widerspiegelt die Ära anhand vieler Originaldokumente. 1944 etwa forderte der schon 1909 gegründete Frauenstimmrechtsverband von der Oberpostdirektion, auf Pro-Juventute-Marken auch Frauen abzubilden. Als Antwort kam der Bescheid, dass das Bild der Helvetia und von Trachtenmädchen genügen sollten. Die Männer wehrten sich – vorerst noch erfolgreich.
Proteste der Konservativen
Der Luzerner Nationalrat Wick von den Katholisch-Konservativen etwa erklärte 1945 im Parlament bei der Beratung des Postulats Oprecht, das das landesweite Frauenstimmrecht forderte: «Das Recht, dass die Stimme der Frau gehört werden muss, ist etwas ganz anderes als das Frauenstimmrecht. Man kann einen Staat auch zu Tode demokratisieren.»
Kam hinzu, dass die Kampfeslust auch vieler Frauen so kurz nach dem Krieg klein war. Ein Teil wollte die politischen Zugeständnisse der Männer nicht durch provokative Forderungen verspielen. Das Postulat wurde dann doch überwiesen, doch die erste eidgenössische Abstimmung kam erst 14 Jahre später, im Jahre 1959 – und scheiterte an einer Zweidrittelmehrheit der Männer.
«Emmi Casarico aus Mendrisio hat sechs kleine Kinder, für die der Vater als Bauhandlanger das Brot verdient. Sie will das Stimmrecht, und zwar recht bald schon. Die Regierenden müssten sich mehr anstrengen – denn Frauen werden rascher böse!»
1958, ein Jahr vor der Abstimmung von 1959, veröffentlichte die Walliser Feministin Iris von Roten ihr Buch «Frauen im Laufgitter». Das Buch schlug ein wie eine Bombe. 100 Jahre nachdem die Bündner Adelstochter Meta von Salis die Gleichberechtigung der Frau erstmals richtig provokativ aufs Tapet gebracht hatte, forderte Iris von Roten wutschnaubend das Recht ein, das uns heute als selbstverständlich erscheint. Allerdings lehnten nicht nur die Männer, sondern auch viele Frauen ihr Buch als zu polemisch ab. Nicht wenige hielten Iris von Roten sogar für das Scheitern der Abstimmung von 1959 verantwortlich. Bis zur Gewährung des Stimmrechts für die Schweizerinnen sollte es noch 12 weitere Jahre dauern.
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