Im digitalen Faschismus-Strudel
Warum funktionieren Nationalismus und Hass im Netz so gut? Eine neue Studie gibt ebenso verblüffende wie beängstigende Antworten.

Ob nun Brexit-Votum oder Trump-Wahl, Salvinis Triumphzug 2018 oder die jüngsten Landtagswahlen in Deutschland – es ist ist unübersehbar, dass Angebote mit radikalen politischen Positionen, Propaganda und Populismus in den sozialen Medien und Netzwerken besonders gut gedeihen. Den Reichweiten solcher dauererregter Seiten können die Angebote etablierter politischer Parteien und Nichtregierungsorganisationen selbst unter grossem (finanziellem und personellem) Aufwand kaum etwas entgegenhalten.
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur letzten Europawahl vom Juni 2019 belegt, dass in Deutschland die aktuellen Regierungsparteien nicht einmal gemeinsam so viele Fans, Freunde und Follower – mit deren entsprechenden Interaktionsraten – auf Facebook aufweisen können wie die rechtspopulistische AFD alleine. Digitaler Wahlkampf, so kann man verallgemeinern, der Einsatz von Social Media zur Mobilisierung von Anhängern, ist überall auf der Welt zur Domäne der Rechten, Identitären und Ultranationalen geworden.
Was aber macht die extreme Rechte länderübergreifend im Netz so attraktiv und so erfolgreich? Wie schafft sie es, dort Parallelöffentlichkeiten für sich aufzubauen, die immer stärkeren Zulauf geniessen? Vor allem: Warum ist das so, obwohl die bürgerlichen Parteien alle längst erkannt haben, dass sie sich um ihre Klientel verstärkt im Netz kümmern müssen, und eigene Social-Media-Kampagnen fahren?
«Schonungslose Diagnosen der Wirklichkeit»
Dieser Frage, warum die sozialen Medien den besten Nährboden für die extreme Rechte bilden, widmet sich eine gerade erschienene Studie von Maik Fielitz und Holger Marcks. Sie gibt einige so verblüffende wie beängstigende Antworten. Etwa die, dass die Mechanismen von Social Media die Ausbreitung und Verfestigung rechter Gesinnung überhaupt erst ermöglichen.
Die Wissenschaftler vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik haben ihre Arbeit «Digital Fascism: Challenges for the Open Society in Times of Social Media» in einer Reihe des Berkeley Center for Right-Wing Studies veröffentlicht, und natürlich muss die erste Frage an sie lauten, welchen Begriff von Faschismus sie für das Digitale verwenden.
Zugrunde liegt die Definition von Roger Griffin, einem Professor für Zeitgeschichte in Oxford. Er bezeichnet Faschismus als «palingenetischen Ultranationalismus», der die «Neugeburt» der Nation anstrebt, entschlackt von angeblich verkommenen Eliten, Lobbyisten, dem systemstützenden Beamtenapparat wie ihren gefügigen Medien, von dem also, was die Alt-Right-Bewegungen in den USA den «Deep State» nennen.
Solche immer populistischen Ideologien beanspruchen, als einzige die unverblümte Wahrheit zu sagen, schonungslose Diagnosen der Wirklichkeit zu liefern, man vertritt einen allerdings «idiosynkratischen Wahrheitsbegriff», der sich mit Fakten meist nicht lange aufhält. Die Ziele solcher Ideologien metaphyseln im Ungefähren, der von Steve Bannon verehrte italienische Kulturpessimist Julius Evola gilt gerade wieder als Säulenheiliger.
Angst vor Bedrohung und Opfermentalität
Den Kern von Griffins Thesen bildet, dass Faschismus nicht nur als ein von Partei-Ideologen entworfenes und durchgesetztes Regime mit klassisch-autoritären Strukturen gedacht wird, sondern auch als dynamisches Massen-Phänomen, das sich gegen eine mutmasslich existenzielle Bedrohung wehrt. Man kämpft gegen eine Überwältigung, stärkstes Motiv ist Angst.
Digitaler Faschismus beschreibt entsprechend nicht eine stramm parteiorganisierte, autoritär verordnete Massenbewegung, sondern die sich selber radikalisierende Systemopposition im Netz. Es bildet sich eine in sich geschlossene Hasskultur, die von nationalistischen Stimmungsmachern in Dauererregung gehalten und in ihrer Richtung bestärkt wird. Man lenkt, wie die Studie diese Form digitaler Manipulation beschreibt, die «Führungslosen im Netz» in den «führerlosen Widerstand».
Treibstoff für solche sich selber stark machenden Bewegungen sind daher nicht die Ideale einer nationalistischen Zukunft, sondern Gefühle: Angst, Bedrohung, Benachteiligung, das Bedürfnis nach Abwehr, eine Opfermentalität, die von den Manipulatoren der extremen Rechten befeuert, in deren Jargon: «ernst genommen» und mit «Mut zur Wahrheit» (AfD) nur von ihnen ausgesprochen werden.
Digitaler Faschismus ist emotional getriggert
So entsteht eine irrationale Gemengelage, in der einerseits grösstes Misstrauen gegenüber einem für delegitimiert erklärten System «draussen» gehegt und befeuert wird. Andererseits verständigt sich «drinnen» eine Gemeinschaft von Betroffenen darauf, sich dieses Systems zu erwehren. Die Studie spricht darum von der «familienartigen Variation des Faschismus».
Was aber macht einen solchen irren Polit- Strudel aus Ideologie, Demagogie, Verschwörungsthese und Paranoia nun im Netz so sexy und ungemein erfolgreich? Im Gespräch mit den beiden Autoren der Studie führt Maik Fielitz aus: «Faschistische Weltanschauungen bauen die Kulisse einer ausserordentlichen Gefährdung auf, um illiberale Massnahmen dagegen rechtfertigen zu können. Befördert und verstärkt werden Gefühle von Auslöschung und Verrat, auf die man bedrohungsadäquat reagieren muss.»
Holger Marcks ergänzt: «Dazu betreiben extremistische Organisationen ‹Frame Amplification›: Man fokussiert ein Thema, Flüchtlinge, Negativmeldungen werden wie aus einem digitalen Zettelkasten heraus wieder und wieder über die Community gestreut, oft von Fake-Accounts aus, die angeblich sogar von geläuterten Anhängern anderen Parteien stammen. Massnahmen gegen Flüchtlinge erscheinen nun fast wie Notwehr.» Digitaler Faschismus ist emotional getriggert.
Misstrauen gegenüber der Gesellschaft
Die Möglichkeiten von Social Media sind der ideale Verstärker: So wird über «metrische Manipulation», das künstliche Hochjazzen von Interaktionen zu Beiträgen, und «Gaslighting», das Säen von Misstrauen gegenüber Instanzen der Gesellschaft und des Staates («Systemparteien», «Lügenpresse»), ein realitätsverzerrtes Bedrohungs- wie Widerstandsumfeld der Mutigen suggeriert. Marcks spricht von «neuer Wahrnehmungsordnung», in der sich ein vermeintliches Wissen an den Gatekeepern der Informationsvermittlung vorbei verbreitet. Es entsteht die Illusion von Akzeptanz für die eigenen Aversionen.
Entscheidend ist, dass die Community-Mitglieder an dieser Verbreitung aktiv teilhaben. Aus Konsumenten von Nachrichten sind «Prosumenten» geworden, Menschen, die selbst am düsteren Bild jener Welt mitmalen, in der sie zu leben glauben.
Die organisierten Akteure des digitalen Rechtsextremismus wirken auf die Prozesse ein, indem sie die entsprechenden emotionalen Knöpfe drücken, um gewünschte Dynamiken zu erzeugen. Lokale Verbrechen etwa werden so zu Menetekeln für den bevorstehenden Untergang der Nation und damit zur Bestätigung der Bedrohung wie der Legitimation des Widerstands.
«Massen manipulieren sich selber»
Die Grenzen zwischen radikalen Aktivisten, versierten Technikern, die Netzdebatten lenken, und ahnungslosen Unterstützern, Zaungästen und, ja, Bots verschwimmen. Ein Element dazu ist Humor: Doppelsinn und Ironie, Insider-Jokes und Memes müssen als Eckpfeiler dieser Kommunikation begriffen werden. Man attackiert die verhasste Political Correctness und will es anschliessend nicht so gemeint haben. Auf Dresdner Pegida-Demonstrationen sah man die in eine Burka gephotoshopte Bundeskanzlerin, ein ausgedrucktes Meme. In Erinnerung bleibt der «Pegida-Galgen», den der Galgenbauer als «Satire» verstanden wissen wollte.
«Digitaler Faschismus», so die Studie, «kann charakterisiert werden durch den Umstand, dass Massen sich über soziale Medien selber manipulieren. Faschistische Entwicklungen verdanken sich neuen Kommunikationsstrukturen, die die Wahrnehmung extremistischer Narrative verändert haben.» Nationalistische Lagerfeuer halten kalte, unliebsame Wahrheiten fern, man bleibt unter sich und ist immun gegen die Korrektur durch Fakten. Die Demokratie muss dafür sorgen, dass deren Flackern nicht alternativlos wird.
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