Im Download-Paradies
In der Schweiz darf man Filme auch dann herunterladen, wenn sie illegal angeboten werden. Mittlerweile werden sie vor allem gestreamt, was ebenfalls erlaubt ist, aber neue Fragen aufwirft.

Die «Daily Show»: ein paar Sekunden; die neue Folge der Lieblingssitcom: drei Minuten, die Kopie des letzten Blockbusters: eine Viertelstunde. Es ist bekannt, dass man in der Schweiz nicht allzu lange warten muss, um via Filesharing und schneller Internetleitung die neuste Unterhaltungsware zu laden. Die aktuelle Komödie «The Big Sick» haben wir in bester Bildqualität downloaden können, das dauerte nur ein paar Minuten. Ein sehr schlechtes Gewissen hatten wir dabei nicht, schliesslich ist es erlaubt: Die Schweiz ist ein Land, in dem man Filme und Serien für den Eigengebrauch herunterladen und streamen darf, selbst wenn sie jemand irgendwo von einer DVD kopiert hat und illegal anbietet.
Schon lange will der Bundesrat das Urheberrecht an die digitale Zeit anpassen. Als er vor kurzem den Entwurf zur Revision des Gesetzes vorstellte, waren darin ein paar Verschärfungen enthalten, die die Anbieter betreffen, also Websites, die geschütztes Material feilbieten. Davon abgesehen darf man noch immer kopieren, was die Hardware hält. Ausländische Gäste äussern sich nicht selten erstaunt darüber, was in der Schweiz mit einem Laptop und einer Glasfaserleitung alles möglich ist. Um die Nutzer-zu-Nutzer-Netze des Filesharing zu verwenden, benötigt man nur ein kleines Programm und sucht dann im Web nach Torrent-Dateien, die der Software sagen, wo sie die anderen Festplatten findet, von denen man Filme runterkopieren kann. So lassen sich riesige Files ziehen, das geht bis zur Blueray-Kopie von über 20 Gigabyte.
Die Teenager streamen schon
Wie viele Schweizer aus illegaler Quelle Filme oder TV-Serien downloaden, ist schwer zu sagen. Eine Studie des Wirtschaftsprüfers Ernst & Young von 2017 aus Frankreich, wo das Gesetz weit strenger ausgelegt wird, rechnet mit 13 Millionen Nutzern, die mindestens einmal einen Film, eine Serienepisode oder eine Sportaufzeichnung piratiert haben. Das wären rund 20 Prozent der Bevölkerung. Ein deutlicheres Bild ergibt die Studie hinsichtlich der Technologien. 27 Prozent der Franzosen laden Filme direkt runter, in den meisten Fällen von Filehostern, bei denen man sich durch eine erhebliche Anzahl von dubiosen Aufploppfenstern klicken muss, um eine Datei herunterzuladen. 26 Prozent nutzen inoffizielle Streaming-Angebote, also Websites wie Kinox.to, auf denen man direkt im Browser Kinofilme schauen kann. 19 Prozent nutzen Filesharing, die schnellste, aber technisch anspruchsvollere Variante.
Der Streamer stellt sich auf die Zukunft in der verdichteten Stadt ein, wo Platz und Besitztum beschränkt sind.
In den letzten Jahren haben die grossen Musik- und Filmunternehmen angefangen, ihr Angebot auf Streaming umzustellen. In dieser Zeit sind auch illegale Streaming-Portale beliebter geworden. Die Bedeutung des Filesharings hat derweil stark abgenommen. Noch 2006 machte der Austausch über Torrents mehr als 70 Prozent des gesamten Internet-Datenverkehrs aus. Seither hat die Industrie zahlreiche Prozesse angestrengt und Filmpiraten mit Abmahnungen inklusive Anwalts- und Verfahrenskosten schikaniert. Vielen wurde Filesharing deswegen zu gefährlich.
Die Teenager von heute, die um 2000 geboren wurden, haben vom Filesharing kaum etwas mitbekommen. Sie sind Streaming-Kids geworden und schauen etwa Netflix mit der Familie, während sie mit Kollegen Portale wie Kinox.to nutzen. Es ist die Zeit einer technologischen Transformation, und da ändern sich auch die Kulturtechniken: Der Downloader mit seiner Schmetterlingssammlung aus Hunderten von Film-Files stirbt aus. Er wirkt schon fast sentimental im Vergleich zum Streamer.
Klick aufs Videofenster, schon gehts los
Der Streamer stellt sich auf eine Zukunft in der verdichteten Stadt ein, wo der Platz und die Besitztümer beschränkt sind, ganz anders, als das die kaufkräftigen Babyboomer noch gewohnt waren. Er bereitet sich auf eine Zeit vor, in der wir Dinge weniger haben als leihen und nach dem Gebrauch gleich wieder entsorgen, während das Archiv der Kulturgüter in den virtuellen Hintergrund verschoben wird.
Die Streaming-Haltung ist die des typischen Konsumenten: Klick aufs Videofenster, schon gehts los (wenns funktioniert). Dagegen verstanden sich die Tauschbörsen-Nutzer immer auch als kulturelle Bewegung – verbunden mit mehr oder weniger anarchischen Ideen zum freien Fluss geistiger Schöpfungen (zum Teil entstanden aus der Filesharing-Community denn auch die Piraten-Parteien). Allerdings haben viele einfach drauflosgeladen, ohne etwas anzubieten, denn der Upload ist auch in der Schweiz nach wie vor strafbar.
Der Filmwissenschaftler Guido Kirsten von der Universität Stockholm hat das Phänomen untersucht. «Der direkte Austausch von Nutzer zu Nutzer wurde von der Unterhaltungsbranche als ‹Diebstahl› bezeichnet, von den Beteiligten aber als ‹Filesharing›. Im ersten Fall wird jemandem etwas weggenommen, was ihm dann fehlt. Im zweiten Fall wird etwas geteilt und niemandem etwas gestohlen. Genau genommen stimmt beides nicht.» Eher gehts ums Klonen von Dateien: Was bei mir ankommt, ist identisch mit dem, was du anbietest.
Identität verschleiern, um Streams umzuleiten
Seit die Industrie mit Streaming-Angeboten zum Bezahlen reagiert hat, verblasst der Gedanke des Tauschens mehr und mehr. «Man kann sich ja mit Freunden einen Netflix-Account teilen und hat damit die Basisbedürfnisse des Mainstream-Medienkonsums befriedigt. Insofern hat die Unterhaltungsindustrie übers Filesharing gesiegt», sagt Kirsten.
Allerdings weicht auch in der Schweiz eine wohl nicht kleine Anzahl Konsumenten auf fragwürdige Streaming-Sites aus. Damit stellen sich schon wieder neue rechtliche und politische Fragen. Ging es beim Download ums Saugen und Verteilen, gehts nun darum, die verschiedenen Ströme zu steuern. Zum Beispiel lässt sich mittels Software-Programmen die eigene Identität im Netz verschleiern, um Streams umzuleiten, die hierzulande eigentlich gesperrt wären. Im April hat der Europäische Gerichtshof zudem entschieden, dass die «flüchtige Kopie» des rechtswidrig angebotenen Streams tendenziell auch als Rechtsverletzung zu bewerten ist.
Extrem konsumentenfreundlich
Zu einer neuen Abmahnwelle hat das Urteil bislang nicht geführt, aber die Frage bleibt: Ist die Schweiz im europäischen Vergleich ein All-you-can-eat-Buffet für illegal angebotene Filme? Urheberrechtsexperte Martin Steiger sagt: «Die Schweiz ist kein Sonderfall des Downloadens und Streamings. In ärmeren Ländern wird sehr viel mehr ‹illegal› konsumiert.» Schweizer gäben sowieso sehr viel Geld für Unterhaltung aus. Angesichts der Angebote auf einschlägigen Plattformen müsse man sich auch fragen: Wieso bietet das die Unterhaltungsbranche nicht an? Für die HBO-Comedy «Curb Your Enthusiasm» würde man ja gern etwas zahlen, aber in der Schweiz wird sie nirgendwo angeboten.
Genau umgekehrt sieht die Branche die Sache. Dass es in der Schweiz erlaubt sei, rechtswidrige Angebote für den privaten Gebrauch zu konsumieren, sei offenbar eine Art «Glaubenssatz», sagt Anwalt Roger Chevallaz, der unter anderem den Filmverleih- und Kinoverband Pro Cinema vertritt. Diese Haltung lasse sich nur als «extrem konsumentenfreundlich» beschreiben. Entstehen Schweizer Kinos und Verleihfirmen denn grosse Verluste durch solche Angebote? Thomas Tribolet von Cinesuisse, dem Dachverband der hiesigen Filmbranche, verfügt über keine Zahlen: «Leider lässt sich der Schaden bis heute nicht beziffern.»
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