Im Kanton Zürich sind jetzt Bus und Tram wichtiger als das Auto
Freie Fahrt für Busse, mehr Geld für Gemeinden: Die neue rot-grüne Mehrheit im Kantonsrat krempelt die kantonale Verkehrspolitik um.

Der Zürcher Kantonsrat hat am Montagmorgen gemacht, was noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wäre. Er hat die Zürcher Verkehrspolitik in mehreren Punkten massgeblich verändert, gar in eine neue Richtung gedreht. Für viele Kantonsrätinnen und Kantonsräte kommen die Beschlüsse einer «Wende» gleich, eingeläutet von der «Öko-Allianz», der aktuellen rot-grünen Mehrheit im Zürcher Kantonsparlament.
Das ist neu. Noch bis zu den Kantonsratswahlen im vergangenen Frühling waren SP, Grüne, Grünliberale und EVP in der Minderheit und scheiterten mit ihren Anliegen fast immer am starken Block aus SVP, FDP und CVP.
Doch nun ist Rot-Grün gestärkt. FDP, SVP und CVP halten zwar meist noch zusammen. Wegen der neuen Mehrheitsverhältnisse hat der Kantonsrat gestern aber mehrere parlamentarische Initiativen befürwortet. Sie gehören zu den stärksten politischen Instrumenten. Werden sie gutgeheissen, fliessen ihre Anliegen ins Gesetz ein.
- Bus vor Auto: «Leider beraten wir diese Vorlage erst heute», sagte FDP-Kantonsrat Christian Schucan aus Uetikon am See. Man konnte ihm ansehen, dass ihn das schmerzte. Schucan hätte bevorzugt, wenn die Debatte über die parlamentarische Initiative von Thomas Wirth (GLP) vor den Wahlen stattgefunden hätte. Dann wäre sie zugunsten seiner Partei ausgefallen. FDP und SVP wollen im Gesetz nicht verankern, dass der öffentliche Verkehr bei Strassenbauprojekten bevorzugt wird. «Die Vorlage», so sagte es auch FDP-Kantonsrat Alex Gantner aus Maur sei eine «Kriegserklärung» an das Auto. Der Grüne Thomas Forrer aus Erlenbach konterte die Vorwürfe: «Wir geben nur Gegensteuer gegen eine Politik, die aus den 70ern stammt.»
Beschlossen hat der Rat schliesslich mit 102:75 Stimmen, dass der öffentliche Verkehr dem Auto gegenüber Priorität hat und verkehrslenkende Massnahmen wie Begegnungszonen wichtiger sind als bauliche. Wann dieser Beschluss für die Verwaltung verbindlich ist, bleibt noch offen.
- Zahlen für Gesundheitsprobleme und andere Schäden: Autofahrerinnen und Autofahrer sollen künftig für noch undefinierte Kosten aufkommen – nämlich für alle «Begleitkosten», die durch ihre Fahrten anfallen. Dazu gehören zum Beispiel die Gesundheitskosten für all jene, die wegen des Feinstaubs an Hustenanfällen leiden, oder die Behandlungskosten für «den Herzinfarkt», den jemand habe, weil die Luft von Abgasen verschmutzt sei, führte der Zürcher SP-Kantonsrat Felix Hoesch aus. Wie hoch diese Kosten seien, wisse man zurzeit zwar noch nicht, trotzdem müssten diejenigen dafür aufkommen, die sie verursachen. Gemeint sind nebst den Gesundheitsproblemen auch andere Schäden wie jene an Gebäuden. Hoesch fordert nun eine Aufstellung davon, was genau wie viel koste, damit man die Richtigen zur Kasse bitten könne. Für FDP-Kantonsrat Alex Gantner aus Maur ist klar: «Es wird ein langwieriger Streit entbrennen, was gedeckt werden soll.» Deshalb werde diese Vorlage zum Rohrkrepierer. Die Mehrheit des Kantonsrats aus SP, Grünen, Grünliberalen und EVP war anderer Meinung. Sie hiess auch diese parlamentarische Initiative gut – mit 94:83 Stimmen.
SVP-Kantonsrat Hans-Peter Amrein aus Küsnacht kündigte umgehend an, das Behördenreferendum zu ergreifen. Damit würde das Stimmvolk später über das Anliegen befinden. «Dann ist die Öko-Ära schnell vorbei», sagte Amrein.
- Städte bestimmen weiterhin über Strassen: Ihr Plan war eigentlich ein ganz anderer. FDP und SVP wollten den zwei Grossstädten im Kanton die Hoheit über die Staatsstrassen auf ihrem Gebiet entziehen. Zürich und Winterthur sollten für jedes Bauvorhaben und jede Tempozone erst beim Kanton vorbei, bevor sie die Schritte planen. Der Hintergrund für dieses Anliegen ist ein langwieriger Konflikt zwischen den Städten und dem Kanton, die beide mit den Strassen nicht immer dasselbe vorhaben.
Den gravierendsten Zwist hatten sie wegen des Spurabbaus am Bellevue vor rund sieben Jahren. Zürich hatte diesen beschlossen, der Regierungsrat wollte ihn verbieten. Schliesslich entschied das Verwaltungsgericht zugunsten der Stadt. Um einer solchen Situation oder auch einer gross angelegten Einführung von Tempo-30-Zonen auf Hauptstrassen entgegenzuwirken, wollten die Bürgerlichen den Städten die Hoheit über die Strassen entziehen. Allen voran waren es FDP-Politiker wie der Stadtzürcher Marc Bourgeois, die diesen Plan vorantrieben.
«Wir geben nur Gegensteuer gegen eine Politik, die aus den 70ern stammt.»
Mit der früheren Mehrheit hätten diese Bestrebungen im Kantonsrat gute Chancen gehabt. Doch gestern fielen die Anliegen gnadenlos durch. Links-Grün will die Hoheit über die Kantonsstrassen bei den Städten belassen. Dieses System habe sich gut eingespielt, befanden mehrere Vertreter. Auch die Städte hatten sich gegen diese Änderungen ausgesprochen.
- Mehr Geld für Gemeinden: 80 bis 90 Millionen Franken will der Kantonsrat jährlich unter den Zürcher Gemeinden verteilen, als Zustupf für den Strassenunterhalt. Der Grüne Robert Brunner aus Steinmaur hat diesen Vorstoss initiiert und hat eine konkrete Vorstellung davon, nach welchen Kriterien das Geld verteilt werden soll: Alle Gemeinden messen, über wie viele Kilometer Strasse sie verfügen, und bekommen dafür pauschal Geld. Dieses wird dem Strassenfonds entnommen. Brunner ist sicher, dass dafür die Verkehrsabgaben nicht erhöht werden müssten, dies lediglich eine «gerechtere Verteilung» sei. Die Bürgerlichen hielten wenig von diesem Vorschlag, weil sie fürchten, dass so der Strassenfonds geplündert werde. Der Vorschlag kam trotzdem mit 93:83 Stimmen durch.
Keinen Anklang bei der Mehrheit fand die parlamentarische Initiative der EDU. Diese wollte, dass die Regierung Gemeinden verpflichten kann, eine Strasse zu sanieren. Die meisten Vorlagen hatte die zuständige Volkswirtschaftsdirektorin und Regierungspräsidentin Carmen Walker Späh (FDP) kritisch kommentiert oder sie hatte das Parlament teils gar gebeten, nicht darauf einzugehen. Genauso wie ihre Parteikollegen im Rat drang sie damit jedoch nicht durch.
Die ehemalige Kantonsratspräsidentin Yvonne Bürgin (CVP) aus Rüti beendete die Strassendebatte mit einer Warnung an die rot-grüne Seite. Sie sagte, man werde an den fatalen Nebenwirkungen der Entscheide noch lange zu beissen haben.
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