Was ich vor Wochen über die Kandidaten der CVP im Fernsehen gesagt habe, als es noch vier waren, gilt nach wie vor, jetzt, seit Viola Amherd und Heidi Z'graggen offiziell nominiert worden sind: Dieses Angebot reicht nicht. Weder Amherd noch Z'graggen haben sich in den vergangenen Jahren als Bundesräte empfohlen, die Erstere sitzt seit langem in Bern, ohne dass sie allzu sichtbare Spuren hinterlassen hätte, die Letztere regiert in einem kleinen, bergigen Kanton, der seit je davon lebt, dass der Bund ihn ab und zu am Leben erhält, ohne dass sich Z'graggen im grösseren Umland, südlich oder nördlich von Altdorf, bemerkbar gemacht hätte. Wo die beiden politisch stehen, ist Hans wie Heiri, beide sind typische Christlichdemokraten, also im Zweifelsfall zentristisch, immer geschmeidig. Zwar gilt Amherd im Vergleich zu Z'graggen als die Linkere, was in Fragen der Migration wohl stimmt, doch agiert Z'graggen, was die Umweltpolitik und ihre Haltung zur Wirtschaft betrifft, wie eine Grünliberale, die keine unsinnige Intervention scheut, solange es ihren Bergen guttut. Wer also, wie viele in der SP, auf Amherd setzt, gibt sich einer optischen Täuschung hin. Beide Kandidatinnen sind christkonservativsozialliberalgrüngrün.
Wenn dies die beiden besten Leute sind, die eine Partei wie die CVP, die und deren katholisch–konservative Vorläufer seit 1848 die Bundespolitik unseres Landes prägen, wenn eine solche alte, manchmal tüchtige Partei bloss zwei Platzhalter vorschlägt, die nur deshalb infrage kommen, weil andere, gewichtigere Christlichdemokraten Forfait gegeben haben, dann fragt sich, ob man eine solche Partei ernst nehmen und ihr suboptimales Angebot berücksichtigen muss. Insbesondere der Freisinn und die SVP, die nahezu die Mehrheit der Bundesversammlung hinter sich wissen, sollten es sich gut überlegen, ob sie nicht doch besser nach einem wilden Kandidaten Ausschau halten.
Was steht auf dem Spiel? Die Debatte um den untauglichen Migrationspakt, der derzeit in den Giftschrank gelegt worden ist, nachdem im Parlament Widerstand aufgekommen war, macht deutlich, wo die Herausforderungen liegen. Ein einzelner Schweizer Diplomat hat im Rahmen der UNO über eine neue Migrationspolitik verhandelt und einem Papier zugestimmt, das uns auf jeden Fall, auch wenn man es nun als Soft Law, als weiches Recht, bezeichnet, zu Dingen verpflichtet, über die wir nie abgestimmt haben. Zwar tat es dieser Diplomat formell mit Rückendeckung des Bundesrates, doch welches Regierungsmitglied hat sich wirklich um den Inhalt dieses Paktes gekümmert? Mit anderen Worten: Derzeit scheint es nicht darauf anzukommen, wer unter der Verwaltung als Bundesrat dient, sondern am Ende regieren die Beamten, während sich die Bundesräte vor lauter Vorschlägen aus der Verwaltung nicht mehr retten können. Man fühlt sich an das alte China erinnert, wo die Mandarine, die mächtigen Chefbeamten, einem fünfjährigen Kaiser die Dekrete vorlegten, die dieser zwar unterschrieb, ohne dass er sie aber je verstand.
Gewiss, noch wählen wir Erwachsene in die Regierung. Was es jedoch braucht, sind keine Verlegenheitskandidaten, sondern Persönlichkeiten: mutige, meinungsstarke Politiker, die bewiesen haben, dass sie die Übermacht der Bürokratie einzuschränken wissen. Was immer man von Doris Leuthard denken mag, und ich gehörte nie zu ihren Anhängern, immerhin verstand sie es, ihre Beamten dorthin zu lenken, wohin sie wollte. Als sie den Klimapakt aushandelte, fuhr sie selber an die Sitzungen und bestimmte das Ergebnis. Wir wählen Politiker, damit sie politisch entscheiden und sich nicht von ihren Mandarinen führen lassen.
Ausgerechnet die CVP verlangt nun, dass man sich an ihre Auswahl halte, die gleiche CVP hat in den vergangenen Jahren oft das Gegenteil getan. In schwierigen Zeiten wie diesen sollte eine Partei nur ihre Besten vorschlagen – ein Argument, das der SVP nicht unvertraut sein dürfte. Wenn die CVP das selber nicht fertigbringt, sollten andere Parteien ihr das abnehmen. Wer der Beste wäre in der CVP, wissen alle.
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Im Land der Mandarine
Markus Somm über den Bundesrat und wie man den besten wählt.