«In 10 Jahren werden die Leute das bereuen»
Die Küsnachter versenken ihr schönes, neues Dorfzentrum an der Urne. Die Herrliberger wollen ihr neues Zentrum gar nicht erst planen. Was ist los an der Goldküste?

Es ist schon seltsam: Will man die Metzgerei und die Drogerie im Dorfzentrum retten, muss man ihnen heute einen Grossverteiler wie die Migros oder den Coop zur Seite stellen, wo es Toilettenpapier und Waschmittel gibt. Sonst kaufen die Einwohner anderswo ein: auf dem Weg zur Arbeit, in der Stadt, oder –schlimmer – in einem Einkaufszentrum in der Peripherie.
Doch gerade an der Goldküste, wo man stolz ist auf die eigene dörfliche Identität vor den Toren der Stadt Zürich, und wo das Geld vorhanden wäre für die Gestaltung eines lebendigen Dorfzentrums mit Café, Kleingewerbe und dem obligaten Grossverteiler, genau hier haben es Zentrumsvorlagen unendlich schwer.
Am Wochenende haben die Küsnachter Stimmbürger die Aufwertung ihres Dorfzentrums bachab geschickt. Nach Jahren der Planung mit Mitwirkungsverfahren und Kosten von rund sechs Millionen Franken. Erstaunlich ist das nicht nur, weil das Projekt den hässlichen Parkplatz zwischen Bahnhof und Zentrum hätte verschwinden lassen. «Erstaunlich ist», so Gemeindepräsident Markus Ernst (FDP), «dass die Bürger einst Ja gesagt haben zur Planung eines 64 Millionen teuren Zentrumprojekts, aber dann Nein sagen zu seiner Realisierung, die mit 48 Millionen deutlich günstiger ausgefallen wäre.»
«Eine Katastrophe»
Da wäre es ihm lieber gewesen, die Küsnachter hätten, wie die Herrliberger dieses Wochenende, schon in der Startphase Stop gesagt und der Verwaltung damit Jahre der Arbeit und viel Geld erspart. Der Projektierungskredit von 250'000 Franken für einen Zentrumsbau mit Ladenfläche für einen Grossverteiler und Wohnungen war in Herrliberg am Wochenende chancenlos.
«Kurzfristig ist es nicht schlimm. Mittelfristig wirds aber schwierig, ohne attraktiven Grossverteiler mit Tiefgarage im Zenturm als eigene Gemeinde zu bestehen», sagt Ernst. Sein Herrliberger Kollege Walter Wittmer (Gemeindeverein) doppelt nach: Es sei «eine Katastrophe», was da zwei Dörfer weiter in Küsnacht passiert sei. «In 10 Jahren werden die Leute das bereuen.»
Eigenartige Sparwut
Für das doppelte Nein verantwortlich macht Wittmer eine eigenartige Sparwut: «Man meint, man müsse sparen – koste es, was es wolle. Als ich ein Bub war in Herrliberg, da hatten wir noch 30 Lebensmittelläden. Heute sind es fünf.» Man könne sich glücklich schätzen, noch einen Metzger und eine Drogerie im Dorf zu haben. «Wenn diese nicht zusätzliche Kunden bekommen, habe ich ein schlechtes Gefühl.» Viele würden in Meilen oder Küsnacht einkaufen gehen, mit dem Auto. Wozu Geld in die eigene Zentrumsplanung stecken? «An dieser Entwicklung sind wir alle ein Stück weit schuld.»
Auch der Küsnachter Ernst macht Gleichgültigkeit und einen übertriebenen Hang zum Sparen in den reichen Goldküstengemeinden für das Nein verantwortlich. Allerdings zeige sich in den Nachbargemeinden exemplarisch, was passiere, wenn die Grossverteiler in die Peripherie ausweichen. «Die Dorfkerne verarmen.»
Dass es den Gegnern der Küsnachter Zentrumsvorlage vor allem ums eigene Portemonnaie ging, zeigt sich bei der Stichfrage. Die Stimmbürger hatten zu entscheiden, ob das 48 Millionen teure Projekt der Gemeinde oder ein einfaches Parkdeck für 18 Millionen realisiert werden solle – die Idee eines Einzelinitianten aus dem Dorf. Das billigere, aber nicht gerade identitätsstiftende Parkdeck obsiegte.
Das Wunder von Meilen
In der langen Geschichte der gescheiterten Zentrumsplanungen an der Goldküste gibt es eine erfreuliche Ausnahme. 2013 haben die Meilemer Ja gesagt zum Projekt Mezzetino: einem Gemeindehausanbau mit Dorfplatz, Café und unterirdischem Parkhaus. Gemeindepräsident Christoph Hiller (FDP) will sich nicht anmassen, seinen Kollegen in Herrliberg und Küsnacht Ratschläge zu erteilen. Aber er hat Vermutungen, weshalb es in Meilen geklappt hat: «Grosse Würfe brauchen offenbar ihre Zeit und mehrere Anläufe», sagt Hiller. Auch in Meilen habe es nicht im ersten Anlauf geklappt. Das ist stark untertrieben: Die gemeinde hat 50 Jahre auf die Lösung seines «Zentrumsproblems» hingearbeitet. Hiller hat also doch einen Ratschlag an seine Kollegen: «Weitermachen».
Der Gemeindepräsident muss seinen Ratschlag aber auch gleich wieder relativieren: Das erfolgreiche Projekt Mezzetino basierte nämlich nicht auf behördlicher Initiative, sondern kam aus der Bevölkerung. Der Gemeinderat war ursprünglich dagegen gewesen. Weil es nur einen Teil, ein Gemeindehaus, ein Parkhaus und einen Platz, realisieren wollte und das grosse Ganze ausser Acht liess. Mit der Folge, dass die Aufwertung der Dorfstrasse noch ansteht und die Gestaltung des Raumes zwischen den Schulhäusern im unteren Teil des Dorfplatzes erst noch gelöst werden muss. Oder wie es der Herrliberger Wittmer drastischer ausdrückt: «Was hat man da jetzt? Im Prinzip ein Parkhaus vor dem Gemeindehaus. Der Platz ist gesäumt vom Verwaltungsgebäude, zwei Banken und einem kleinen Café – nicht wahnsinnig attraktiv.»
Warten und zerstückeln
Doch der Meilemer Hiller ist zuversichtlich: Weil mit dem Parkhaus mehr als genug Parkplätze vorhanden seien, falle es leichter, das Gewerbe von der Neugestaltung der Dorfstrasse zu überzeugen. Und auch für die südliche Hälfte des Dorfplatzes sei eine vielversprechende Planung bereits angelaufen.
Es spricht also viel für folgendes Erfolgsrezept: Geduld haben, auch mal auf eine Initiative aus der Bevölkerung warten und den gewünschten grossen Wurf in ein paar kleine aufteilen: Das verkleinert auch die Zahl der potenziellen Gegner.
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