In 77 Tagen von Zürich nach Kapstadt
Vor 90 Jahren ist Walter Mittelholzer mit einem Wasserflugzeug am Zürichhorn zu seinem berühmten Flug nach Afrika gestartet.

Um 10.10 Uhr brüllte endlich der 600-PS-BMW-Motor der Switzerland auf. Willy Maag, damals ein siebenjähriger Knirps aus Riesbach, war an jenem kalten 17. Dezember 1926 ans Zürichhorn gekommen, um den Start eines fliegerischen Husarenstücks mitzuerleben. «Mechaniker Hans Hartmann hatte uns immer wieder weggeschickt – wegen des Propellers und des Auspuffs», erinnert sich der heute 97-jährige Willy Maag im Alterszentrum Rebwies. Der ehemalige Drogist ist wohl der letzte Zeitzeuge, der sich noch an den Start von Walter Mittelholzers Flug nach Kapstadt erinnert.
Das Zürichhorn war damals ein Flughafen im ursprünglichen Sinne des Wortes. Mittelholzer flog eine Merkur von Dornier, die mit zwei stabilen Schwimmkufen ausgerüstet war. Flugplätze gab es damals noch wenige, vor allem nicht in Afrika. Mittelholzer entschied sich deshalb für ein Wasserflugzeug, mit dem er auf dem Nil, den ostafrikanischen Seen sowie zwischen Moçambique und Südafrika auf dem Meer landen konnte.
Dort, wo heute das Lakeside Casino steht, hatte die von Mittelholzer geleitete Fluggesellschaft Ad Astra ihren Hangar. Am 21. Februar 1927 landete Mittelholzer in Kapstadt, nach 96 Stunden und 14'850 Kilometern in der Luft, einer grossen Motorenrevision am Victoriasee und wochenlangem Warten auf Benzin. Mittelholzer hatte im Voraus 16'000 Liter Flugbenzin und 800 Kilo Schmieröl an 23 Etappenorte liefern lassen.
Notlandung schon in Italien
Erstklässler Willy Maag hatte die Schule bereits am 27. November schwänzen müssen. Mittelholzer und sein Team – Geologe Arnold Heim, Mechaniker und Hilfspilot Hans Hartmann sowie der Genfer Reiseschriftsteller René Gouzy – waren damals bei dichtem Schneegestöber und Nebel gestartet, doch bereits am oberen Zürichsee wieder umgekehrt. Nach einem zweiten Start am Mittag zwang sie «teuflischer Föhn» über dem Gotthard zum Umkehren. Auch nach dem dritten Start zehn Tage später sind Mittelholzer und sein Mechaniker schon kurz nach Genua gefordert. Über den Marmorsteinbrüchen von Carrara setzt der Motor aus, und Mittelholzer muss zwischen den Hafenmauern von Marina di Carrara landen. Glücklicherweise sind nur ein paar Kerzen des Zwölfzylinders verölt. Die erste Etappe endet im Hafen von Pisa, die zweite nach einem Flug über den Vesuv in Neapel.
Für die beiden langen Etappen übers Mittelmeer nach Athen und Alexandria muss Geologe Heim das Schiff nehmen, weil die Switzerland voll betankt wird. Mittelholzer hat als Navigationshilfen nur Uhr, Karte und Kompass, aber keinen Funk. Er weiss nie genau, wie fest ihn der Wind bei einer Reisegeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern seitlich versetzt. An der palmenbestandenen Küste von Ägypten geht er runter und fragt die Fischer, wo Alexandria ist, startet wieder und wird am Ziel von der jubelnden Schweizer Kolonie begrüsst.

Die Merkur ist ein einmotoriges Verkehrsflugzeug für sieben Passagiere, ein Hochdecker mit freier Sicht nach unten, gebaut von Dornier in Friedrichshafen am Bodensee. Für die Expedition wird sie mit einem Zusatztank und -kühler, einem Schlafraum sowie einer Dunkelkammer ausgerüstet. Der gelernte Fotograf Mittelholzer kann so Filmplatten und -kassetten nachladen und Filme entwickeln, um die korrekte Belichtung in gleissender Wüste und dampfendem Dschungel zu prüfen. Zudem führt er einen «Revolverkino»-Filmapparat und einen schweren Reihenbild-Apparat für kartografische Luftaufnahmen mit; diesen muss er von Khartum nach Hause schicken, um Gewicht zu sparen.
Angst vor wütenden Nilpferden
Gewicht ist das zentrale Thema. Ersatzteile, Filmrollen und Nahrung sind in Kisten an den vorgesehenen Landungsstellen bereit, meistens jedenfalls. Die Nahrungsmittel sind gesponsert: Tobler-Schokolade, Hero-Konserven, Ritz-Zwieback, Ovomaltine, Kaffee Haag, Nestlé-Kondensmilch, Maggi-Würfel. Weil die Reise in Afrika über britisches Kolonial- oder Mandatsgebiet führt, erhält Mittelholzer die Bewilligungen für Landungen und Einfuhren direkt vom Ministerium in London. «Die Beamten sämtlicher Kolonien wetteiferten darin, uns den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen», schreibt Mittelholzer im Buch «Afrikaflug». Eine Zollbusse gab es bloss vor dem Abflug – in Zürich.
Auf Meereshöhe kann die Switzerland mit einem Gewicht bis 3950 Kilo abheben. Ein Knackpunkt ist der auf 1140 Meter gelegene Victoriasee. Da ist nur noch ein Startgewicht von 3300 Kilo möglich, weil in der Höhe die Leistung des Motors abnimmt und die «tragende» Luft dünner wird. Bei Gegenwind und Wellen brauchts noch mehr, damit die Schwimmer aus dem Wasser kommen.
Heim und Gouzy müssen die Reise bis an den Indischen Ozean auf dem Landweg bewältigen und erst noch einen Teil der Ausrüstung mitschleppen. Ebenfalls aus Gewichtsgründen verzichtet Mittelholzer auf einen Druckluftstarter. Der kräftige Mechaniker Hartmann muss den Motor jeweils von Hand ankurbeln, und das oft bei glühender Hitze. Zu allem Übel wird Hartmann auch noch von Malaria und heftigen Fieberschüben geplagt. Und er hat Angst vor wütenden Nilpferden und Krokodilen.
Der Urwald als Risiko
Bei konventionellen Flugzeugen sind die Landungen heikel, bei Wasserflugzeugen die Starts. Mittelholzer muss oft mehrfach ansetzen und wird durch Fallböen wieder auf das Wasser gedrückt. Häufig sind Buchten durch Zuschauerboote verstellt, die Switzerland läuft auf Sandbänke auf, Wellen beschädigen das Traggestell der Schwimmer, und Winde drohen das Flugzeug gegen Felsen zu schieben. Und doch ist Wasser eine Art Lebensversicherung, weil Notlandungen jederzeit möglich sind. Flüge über weite Wüstenstücke, Urwälder und Sümpfe dagegen sind ein Risiko und auch navigatorisch anspruchsvoller, als bloss dem Nil oder einem See zu folgen.
Die Switzerland wird von Kapstadt mit dem Dampfer zurück nach Europa transportiert. Die Fluggesellschaft Ad Astra am Zürichhorn wird 1931 mit der Balair zur Swissair fusioniert. Als technischer Direktor der Swissair führt Mittelholzer noch viele Rekordflüge durch, hält Vorträge und schreibt elf Bücher. Er ist ein Star. Seine Luftaufnahmen sind von grossem dokumentarischem Wert. 1937 stürzt der Sohn eines St. Galler Bäckermeisters als erst 42-Jähriger beim Klettern in der Steiermark zu Tode.
Wasserflugzeuge haben sich nicht durchgesetzt, sonst stünde der Zurich International Airport heute wohl am Zürichhorn statt in Kloten.
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