Filmhighlights der WocheIn «Decision to Leave» verfällt ein Detektiv der Frau, die er überwacht
Neben dem Film noir aus Südkorea empfehlen wir das rumänische Drama «R.M.N.» und die überbordende Hollywood-Hommage «Babylon».

«Decision to Leave»
Krimidrama von Park Chan-wook, KOR 2022, 143 Min.
Eine Ameise spaziert über das Auge eines Toten. Das ist noch nicht ungewöhnlich, denn die Leiche liegt am Fusse eines Berges, vermutlich wurde der Mann heruntergestossen, die Augen blieben vor Schreck weit geöffnet. Doch das Tier ist nicht aus normaler Perspektive zu sehen. Für einen kurzen Augenblick wechselt die Kamera in das Innere des toten Körpers, filmt sozusagen aus dem Glaskörper des Auges: nur ganz kurz, und die Ameise ist weg.
Solche Einsprengsel sind typisch für den südkoreanischen Regisseur Park Chan-wook. Seit er 2003 mit «Oldboy» international bekannt wurde, variiert er gekonnt die grossen Kinoformen wie Thriller und Dramen, gibt ihnen aber immer einen eigenen Touch. Jetzt ist es ein klassischer Film-noir-Stoff, der in zwei Städten spielt (wobei eine davon für ihren Nebel bekannt ist): Ein Detektiv, eigentlich ein herzensguter Polizist, überwacht eine Frau – und verfällt ihr total.
Er habe einen Film ganz ohne Sex und Gewalt drehen wollen, sagte der Regisseur anlässlich der Premiere von «Decision to Leave» im vergangenen Mai in Cannes, wo er den Jurypreis gewann. Das stimmt und stimmt nicht. Gerade in der Auslassung der expliziten Szenen baut der Film eine intensiv-erotische Spannung zwischen den beiden Hauptfiguren auf. Es geht um Mord und Totschlag, um Obsessionen, um Leidenschaft. Und wenn dann noch kleine Irritationen – hallo Ameise! – dazukommen, ist das Kinoglück perfekt. (ml)
Riffraff
Nocturne von «Oldboy»: Fr 20.1./Sa 21.1., 23.30 Uhr, Riffraff
«R.M.N.»
Drama von Cristian Mungiu, RO/F/B 2022, 125 Min.
Was hat Rudi auf dem Schulweg im Wald gesehen, war es ein Bär? Sein Vater Matthias kehrt aus Deutschland in das Dorf in Transsilvanien im Osten Rumäniens zurück und versucht, Rudi männlichen Kampfeswillen beizubringen – was Matthias’ Ex-Frau Ana gar nicht gern sieht. Er versucht aber sowieso, bei seiner ehemaligen Geliebten Csilla zu landen. Bloss zieht die gerade den Zorn der Dorfbewohner auf sich, weil sie in ihrer Grossbäckerei drei Arbeiter aus Sri Lanka angestellt hat.
«R.M.N.» von Cristian Mungiu («4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage») ist ein Gleichnis über den Hass und die Angst am Rand Europas, wo sich der Frust über den Westen und die Fremden angestaut hat. Aber vor allem ist es ein gewaltiges Drama über die anarchischen menschlichen Impulse – gedreht in virtuos langen Einstellungen, die im nebelgrauen Hinterland eine beklemmende Stimmung erzeugen. Da fällt einem mehr als einmal die Kinnlade herunter. (blu)
Arthouse Uto
«Babylon»
Historiendrama von Damien Chazelle, USA 2023, 188 Min.
Der neue Film von Damien Chazelle («La La Land») ist eine überbordende Hommage an das alte Hollywood: Wir begleiten unter anderen den Megastar Jack (Brad Pitt), das Starlet Nellie (Margot Robbie) und den angehenden Produzenten Manny (Diego Calva), die miterleben, wie sich Hollywood mit dem Tonfilm grundlegend verändert. Das erinnert an «Singin’ in the Rain» (1952), und tatsächlich wird der Klassiker ausgiebig zitiert.
Ansonsten ist sich «Babylon» kaum für etwas zu schade: Wir sehen einen kackenden Elefanten, eine gewaltige Orgie und eine Diner-Party, auf der Nellie einen Teppich vollkotzt. Die Kritik in den USA war entsprechend kontrovers, und die Einspielergebnisse sind katastrophal. Dabei ist das einer der interessantesten – und witzigsten – Filme der letzten Jahre. (ggs)
Abaton, Arena, Arthouse Alba, Corso, Houdini
«Extraordinary»
Comedyserie von Emma Moran, GB 2023, 8 Folgen
In der Welt von «Extraordinary» entwickeln alle Menschen um ihren 18. Geburtstag herum Superkräfte: Zeitmanipulation, Riesenstärke, Totenbeschwörung und Ähnliches. Eine Ausnahme ist Jen (Máiréad Tyers). Sie ist 25 und ärgert sich darüber, dass sie ihre Fähigkeit immer noch nicht entdeckt hat, dabei hat selbst ihre kleine Schwester schon eine.
Die Grundidee der Serie lautet also ähnlich wie die des Animationsfilms «Encanto», nur dass «Extraordinary» in London spielt und Witze über Masturbation und Hitler hat. Manchmal sind die etwas forciert, aber fast immer sehr lustig.
Die Folgen drehen sich um alltägliche Probleme, die durch Superkräfte verkompliziert werden. So hat Jen ein Date mit einem Mann, der allein durch seine Berührungen Orgasmen auslösen kann. Aber weil er damit schlechte Erfahrungen gemacht hat, nähert er sich Jen bloss mit Handschuhen – sie bleibt frustriert zurück. (ggs)
Ab Mi 25.1. auf Disney+
«The Favourite»
Kostümfilm von Giorgos Lanthimos, GB/IRL/USA 2018, 120 Min.
Der griechische Regisseur Giorgos Lanthimos erzählt von einer Intrige um Königin Anne (Olivia Colman), ihre Beraterin (Rachel Weisz) und die neue Hofdame (Emma Stone). Mit der historischen Wahrheit hält er sich nicht lang auf, stattdessen macht er sich über höfisches Gehabe und die Konventionen des Kostümfilms lustig. Etwa mit einem rauschenden Ball, der in einer Hip-Hop-Einlage endet. Olivia Colman erhielt den Oscar als beste Hauptdarstellerin. (ggs)
Do 19.1.–So 22.1., Xenix
«The English»
Westernserie von Hugo Blick, GB 2022, 6 Folgen
Ein ungleiches Duo prägt diesen revisionistischen sechsteiligen Western: Die englische Adelige Cornelia Locke (Emily Blunt) reist 1890 in den Norden der USA, um den Mord an ihrem Sohn zu rächen. Doch alles ändert sich, als sie sich entschliesst, den Pawnee-Indianer Eli Whipp (Chaske Spencer) freizukaufen, der als Scout für die US Army gearbeitet hat.
Irgendwie passen sie dann schon zusammen, diese zwei Verwundeten und Entwurzelten. Um sie herum schafft Regisseur und Autor Hugo Blick einen fast schon subversiven Western, der sich bei aller Brutalität zur Liebesgeschichte entwickelt. Komplizierte Psychologien in mächtigen Landschaften sozusagen – aber klar mit der Absicht, den Western mit einer indigenen Stimme neu zu erzählen. (blu)
Auf Blue TV
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