Paketdiebstähle mit neuer PräzisionIn den USA werden jetzt Güterzüge geplündert
Im Zentrum von Los Angeles entstehen Bilder, die an einen Katastrophenfilm erinnern. Sie sind Symbol für den Zustand des Landes – und des US-Kapitalismus.

Manche Dinge glaubt man ja erst, wenn man sie mit eigenen Augen sieht; und dann traut man diesen Augen nicht mehr, weil das, was man da sieht, so ungeheuerlich, so unvorstellbar ist, dass einem das Gehirn mitteilt: Nein, so was kann, so was darf nicht sein! Man steht auf dieser Brücke im Zentrum von Los Angeles, darunter Gleise für Güterzüge, und da liegen sie: Zehntausende Pakete, geklaut aus den Zügen, die hier langfahren, geplündert und weggeworfen.
«Was für ein Anblick», sagt einer, der ebenfalls auf der Brücke steht und den Kontrast – kilometerlange Hügelchen aus leeren Paketschachteln vor Palmen und der Skyline von L. A. – ebenfalls sieht: «Vergessen Sie bitte nicht: Das ist kein Dritte-Welt-Land. Das sind die Vereinigten Staaten von Amerika!» Das hier, so die Botschaft, ist das Land, das sich selbst so gern für die eigene Grossartigkeit feiert und diesem Anspruch so selten gerecht wird.
Der Anblick ist ein Symbol für die Zustände in diesem Land und vielleicht auch für den Kapitalismus an sich, und es wird alles noch viel schlimmer, wenn man hinabsteigt zu den Gleisen; man sieht dann nämlich, was geklaut wird: Covid-Schnelltests zum Beispiel, derzeit Mangelware in Los Angeles, die Eltern von Schulkindern zahlen bis zu 35 Dollar pro Test. Medikamente, aus der Verpackung gerissen. Kleidung. Schmuck. Elektronische Geräte. Andere Sachen lassen die Diebe zurück: Toilettenpapier, Hundefutter, Shampoo. Das liegt dann da, zwischen den leeren Paketen. Lohnt sich offenbar nicht.
«Das ist lediglich das Zeug von kurz vor Weihnachten bis heute», sagt Louis Barosas. Er arbeitet für die Eisenbahngesellschaft Union Pacific, am Sonntagmittag befreien er und seine Kollegen die Gleise von Müll und laden alles in Fahrzeuge. Jeden Monat tun sie das, zuletzt am 14. Dezember, und das macht diesen Anblick noch dramatischer: Alles, was da rumliegt, ist erst in den vergangenen 35 Tagen dorthin geworfen worden. Am Tag davor war an dieser Stelle ein Güterzug mit 17 Wagen entgleist; es ist noch unklar, ob es wegen des Mülls auf den Gleisen passiert ist, aber es ist sehr gut möglich.