WeltklimakonferenzIn Glasgow beginnt die Woche der Wahrheit
Nach vielen schönen Ankündigungen treten die Klimaverhandlungen in die heisse Phase. Heikle Fragen sind immer noch ungeklärt – und die Erwartungen sind gewachsen.

In Bhutan zählt Glück angeblich mehr als das Wirtschaftswachstum, aber am späten Samstagabend ist die Delegierte aus Bhutan alles andere als glücklich. Im grossen Plenarzelt der Klimakonferenz in Glasgow kommen die Staaten zusammen, um Zwischenbilanz zu ziehen, die Delegierte aus Bhutan spricht für die Gruppe der ärmsten Länder.
«Es war ermutigend, wie sich die Staats- und Regierungschefs Anfang der Woche hinter das Paris-Abkommen gestellt haben», holt sie aus. «Trotzdem sind die Emissionen gestiegen.» Und dann zählt sie ein Verhandlungsthema nach dem anderen auf: nicht genug, zu wenig ambitioniert. «Wir vertrauen darauf, dass die Staaten in der zweiten Woche nachlegen», schliesst sie. «Es gibt schliesslich keine Zeit zu vergeuden.»
In der Arbeiterstadt Glasgow beginnt heute Montag die Woche der harten Arbeit. In Woche eins der zweiwöchigen Klimakonferenz hatten die Briten einen Aufbruch nach dem anderen inszeniert: erst den Auftritt aller möglichen Staats- und Regierungschefs mit den pflichtgemässen Beteuerungen zum Klimaschutz.
Heikle Fragen der Transparenz
Dann Tag für Tag neue Abmachungen zur praktischen Umsetzung, vom Schutz der Wälder über die Umschichtung von Finanzmitteln bis hin zum Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas. Es wirkte fast, als würden die Staaten in Glasgow den globalen Temperaturregler jeden Tag ein bisschen runterdrehen.
Ob sie das wirklich tun, wie sich das messen lässt und ob neue Schlupflöcher entstehen, die allen Fortschritt wieder zunichtemachen, entscheidet sich in Woche zwei. Es sei der Punkt erreicht, wo «der Gummi auf die Strasse trifft», sagt Alok Sharma, der Präsident der Konferenz. Auf Deutsch: Jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit. (Lesen Sie zum Thema auch die Kolumne «Die Klimaretter sind auch Klimaheuchler».)
Die Finanzversprechen der reichen Staaten werfen einen Schatten auf die Konferenz.
Das beginnt mit der heiklen Frage der Transparenz: Wie nachvollziehbar ist es, was einzelne Staaten im Klimaschutz erreichen? Einige Entwicklungsländer haben lange darauf gepocht, dass für sie nicht dieselben Regeln gelten müssten wie für Industriestaaten. Wo nicht so viele Tonnen Treibhausgase anfallen, müsste demnach auch nicht jede einzelne vermiedene Tonne gezählt werden.
Bei ganz armen Ländern wie Bhutan spräche dafür sogar manches. Doch als Entwicklungsland sieht sich offiziell auch China. Wenn aber der mittlerweile grösste Klimasünder der Welt beim Tonnenzählen fünfe gerade sein lassen könnte, wäre es mit dem gegenseitigen Vertrauen nicht weit her. Viel spricht dafür, dass dies eines der Themen sein wird, die die Konferenz bis zum bitteren Ende beschäftigen.

Das Gleiche gilt für die sogenannten Marktmechanismen. Artikel 6 des Paris-Abkommens sieht vor, dass Staaten miteinander kooperieren können. So könnte ein Land Klimaschutz in einem anderen Land finanzieren und sich anschliessend in Form von Zertifikaten gutschreiben lassen, was an Treibhausgasen eingespart wurde. Klingt gut – in der Theorie. In der Praxis enthält dieser Artikel Sprengsätze, die auch die zwei vorhergehenden Klimakonferenzen nicht hatten entschärfen können.
Zum Beispiel könnten sich, wenn es dumm läuft, am Ende beide Staaten die Minderung gutschreiben – für das Klima wäre nichts gewonnen. Es könnten Minderungen nur auf dem Papier stattfinden, wenn sich zum Beispiel die Zertifikate schon dadurch generieren lassen, dass ein Staat Regenwälder nicht abholzt – die Märkte würden mit Zertifikaten geflutet. Mit dem Ergebnis, dass es billiger wäre, das Klima mit ihrer Hilfe zu «schützen» statt mit eigenen Anstrengungen. (Lesen Sie auch den Artikel «Von 165 eingereichten Plänen ist nur einer genügend».)
In Glasgow geht es nun auch darum, wie es nach 2025 weitergeht.
Bislang werfen die Finanzversprechen der reichen Staaten eher einen Schatten auf die Konferenz. Jährlich 100 Milliarden Dollar hatten sie schon ab 2020 zugesagt, erreicht werden die aber wohl erst 2023, mit etwas Glück im kommenden Jahr.
Doch in Glasgow geht es nun auch darum, wie es nach 2025 weitergeht: Dann soll, so will es das Paris-Abkommen, mehr Geld fliessen als bisher – aber nicht nur, um damit für Entwicklungsländer etwa die Kapitalkosten neuer, klimafreundlicher Technologien zu senken. Sondern auch, damit sie sich an die Folgen des Klimawandels anpassen können. Denn die werden zunehmend spürbar. Und das umso stärker, je weiter die Verursacher ihren Versprechen zum Klimaschutz hinterherhinken.
Unzufriedenheit mit bisherigen Ergebnissen
Das dickste Brett wird daher jener Beschluss, der die Ankündigungen aus Woche eins und die Verhandlungen aus Woche zwei zusammenbindet: die politische Erklärung der Konferenz, die am Ende über allem schweben wird. Sie könnte das Ziel verankern, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu stabilisieren, verglichen mit Zeiten vor Beginn der Industrialisierung. (Hören Sie dazu den Podcast zum Thema «Ist das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen?».)
Sie könnte von den Staaten jenseits der hübschen Fernziele konkrete Schritte schon in diesem Jahrzehnt einfordern. Sie könnte den Weg zu deutlich mehr Finanzmitteln ab 2025 bahnen und Finanzströme für fossile Technologien abebben lassen.
Nicht nur die Klimaaktivistin Greta Thunberg dringt in Glasgow auf drastische Schritte, auch arme Länder wie Bhutan sind noch nicht zufrieden mit den bisherigen Ergebnissen.
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