Film-Highlights der WocheIn «Landscapers» tötet ein Paar für Autogramme
Die Miniserie erzählt von einem wahren Fall. Zudem feiert das Filmpodium einen Regisseur, und in «Station Eleven» gehts um ein Wandertheater in der Postapokalypse.

Landscapers
Krimi-Miniserie von Ed Sinclair, GB/USA 2021, 4 Folgen
Im Oktober 2013 findet die britische Polizei zwei Leichen im Garten eines Reihenhauses. Es sind die Eltern von Susan Edwards. Sie und ihr Mann Christopher stellen sich der Polizei, am Ende werden sie wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Die Miniserie «Landscapers» nimmt den Fall auf und macht daraus das Psychogramm eines filmbesessenen Pärchens: Das Geld der Opfer gaben sie für Autogrammkarten, Filmplakate und andere Erinnerungsstücke aus. Darunter ein Brief von Gary Cooper für 2700 Pfund.
In der Serie vermischt sich die Realität mit der Fantasiewelt von Melodramen und Western. Und die Serie bricht die eigene Fiktion: Wir sehen, wie Olivia Colman («The Favourite») und David Thewlis («Harry Potter») die Rolle von Susan und Christopher einnehmen oder wie das Filmteam in den Kulissen dreht. Eine clevere Reflexion darüber, was «basierend auf einer wahren Geschichte» eigentlich bedeutet. (ggs)
Auf Sky Show
Georges Franju: Poesie der Angst
Regisseur Georges Franju (1912–1987) vertraute rigoros auf die Vorstellungskraft des Publikums. Der Mitgründer der Cinémathèque française war ein stolzer, melancholischer Aussenseiter im französischen Kino. Gleichwohl stellt ihn die Reihe des Filmpodiums in einen schillernden Echoraum der Seelenverwandten und Schüler und ergänzt sie mit «Vertigo» oder «Blue Velvet». Ein unwiderstehlicher Visionär.
Franju hat Bilder geschaffen, deren Einprägsamkeit im fantastischen Kino ihresgleichen sucht: den Anblick der von Edith Scob verkörperten Tochter, die in «Les yeux sans visage» mit einer wächsernen Maske von verstörender Anmut nachts durch die Villa ihres Vaters geistert. Der erste Auftritt des rächenden Magiers Judex im gleichnamigen Film, der sich unter einem Adlerkopf verbirgt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen und das Böse zu entlarven. Unvergesslich auch die Einstellung aus dem Kriegsdrama «Thomas, l’imposteur», in der ein versprengtes Pferd mit brennender Mähne durch die Ruinen einer ausgebombten Stadt galoppiert.
Franju setzt den Schrecken lyrisch in Szene, verdichtet ihn für einen Moment, blendet dann ab und lässt ihn in der Stille nachwirken. Das Grauen klingt im Elegischen aus, aber es verschwindet nicht. Die Beklemmung ist in seinen Filmen so subtil und doch nachhaltig, dass sie die Grenzen der Genres überwindet. Das gilt für seine poetischen Dokumentarfilme ebenso wie für die Adaptionen von Jean Cocteau, Claude Mauriac und Émile Zola.
Dieser Filmemacher buchstabiert beharrlich die verschiedenen Arten durch, den Tod ins Auge zu fassen. Den Wert des menschlichen Lebens veranschlagt er hoch: Wenn seine Filme blutrünstig sind, stellt er dem in gleichem Masse Augenblicke der Zärtlichkeit entgegen. Seine Sympathie gilt den Opfern, von den Tätern aber ist er fasziniert. (gm)
Georges Franju: Poesie der Angst. Mi 16.2. bis Do 31.3., Filmpodium
Parallel Lives
Dokumentarfilm von Frank Matter, CH 2021, 139 Min.
«Kinder des 8. Juni 1964» nennt Frank Matter die Protagonistinnen und Protagonisten seines Dokumentarfilms. Er zeigt Menschen, die, wie der Regisseur selbst, an diesem Tag zur Welt gekommen sind: in den USA, in China, Südafrika und Frankreich. Parallele Lebensläufe, geprägt von individuellen Begebenheiten. Aber in diesen Leben spiegelt sich die grosse Weltgeschichte, die chinesische Kulturrevolution, die Apartheid in Südafrika, der Fall der Mauer, der 11. September 2001.
Es ist keine Geschichtslektion, die uns der Regisseur erteilt, sondern eine Reflexion über das Kleine im Grossen, private Schicksalsschläge und den Lauf der Welt. Ein reicher, anregender Film, mit präzisen Bild- und Tondokumenten aus zahlreichen Quellen. Und vier sehr unterschiedlichen Geschichten, die einem fremd sind und vertraut zugleich. Eigentlich sind es fünf, denn die des Regisseurs aus Basel gehört in diesem persönlichen und doch offenen Film dazu. (ml)
Houdini
The Letter
Dokumentarfilm von Maia Lekow und Christopher King, Kenia 2020, 84 Min.
In den letzten Jahren hat sich Kenia als spannendes Filmland hervorgetan, man denke etwa an den weltweiten Arthouse-Erfolg von «Rafiki». Das Regie-Duo Maia Lekow und Christopher King befasst sich in der Doku «The Letter» mit dem Boom von Hexenprozessen im Land.
Die zwei begleiten einen jungen Mann, der von der Grossstadt Mombasa in seinen Heimatort reist, nachdem seine Grossmutter per Brief der Hexerei bezichtigt worden ist. Er weiss, dass gerade alte Menschen öfter das Ziel solcher Vorwürfe werden. Sie können sich nur schlecht wehren, werden vertrieben oder gar hinterrücks mit der Machete getötet. Und so fürchtet der Protagonist um das Leben seiner Grossmutter.
Lekow und King liefern das faszinierende Porträt einer Frau, die mit ihren beinahe hundert Jahren wahnsinnig viel erlebt hat. Sie analysieren im Film aber auch die Hintergründe der Hexenprozesse. So stellt sich heraus, dass es um handfeste finanzielle Motive geht. Und da sind noch die christlichen Fundamentalisten, die ihren Anteil an diesem Familienzwist haben. (ggs)
Ab So 13.2. auf Filmingo
Golden Dawn: A Public Affair
Dokumentarfilm von Angélique Kourounis, GR 2021, 118 Min.
Filmerin Angélique Kourounis setzt sich seit längerem mit der griechischen Neonazipartei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) auseinander, hat bereits einen Film über sie gedreht: «Golden Dawn: A Personal Affair». In ihrem Nachfolgewerk geht sie von dem Gerichtsprozess aus, an dessen Ende die Partei als kriminelle Vereinigung verboten wird. Kourounis fragt: Mit welchen Mitteln ist dem Nazismus und Faschismus beizukommen? Im Anschluss an die Vorführung folgt ein Gespräch mit der Regisseurin und ihrem Kameramann und Co-Autor Thomas Iacobi. (ggs)
Do 10.2., 19 Uhr, Rote Fabrik
Station Eleven
Postapokalyptische Serie von Patrick Somerville, USA 2021, 10 Folgen
Diese Serie nach dem Roman der Kanadierin Emily St. John Mandel ist schwer quarantänetauglich und viel weniger niederschmetternd, als sie klingt: Nachdem ein Grossteil der Menschheit an einer Schweinegrippeplage gestorben ist, gründen ein paar Überlebende ein Shakespeare-Wandertheater und ziehen damit um die Great Lakes in den USA.
Verblüffend, wie «Station Eleven» Erschreckendes und Sublimes miteinander verbindet; erstaunlich, wie gut die Überkreuzung der Stränge und Zeitebenen funktioniert. Diese Serie schafft es, den Glauben an die trostspendende Kraft der Kunst nicht in den Kitsch abgleiten zu lassen – auch dank des lapidaren Tonfalls und einer Reihe von herausragenden Darstellern, allen voran Mackenzie Davis («Halt and Catch Fire»). Ihre vehemente Aufrichtigkeit trägt dazu bei, dass «Station Eleven» so bewegend geworden ist: als postpandemisches und postironisches Kunstwerk. (blu)
Auf Sky Show
Fehler gefunden?Jetzt melden.