Film-Highlights der WocheIn «Plan 75» rettet Sterbehilfe für Alte die Wirtschaft
Neben der japanischen Science-Fiction-Satire empfehlen wir das Porträt einer kämpfenden Fotografin und eine Horrorkomödie mit Joaquin Phoenix.

Plan 75
Science-Fiction von Chie Hayakawa, J 2022, 102 Min.
Dieser Film spielt eine Zukunft durch, die nicht nur Japan, sondern auch der Schweiz blüht: Die Bevölkerung wird im Durchschnitt immer älter und bekommt weniger Kinder, trotzdem haben die Menschen Angst vor Immigration. Also fehlen die jungen Arbeitskräfte. Um der drohenden Wirtschaftsmisere entgegenzuwirken, verabschiedet die japanische Regierung im Film ein Gesetz: Menschen ab 75 bekommen Geld, wenn sie Sterbehilfe in Anspruch nehmen. Und damit dem Staat nicht länger auf der Tasche liegen.
Regisseurin Chie Hayakawa baute einen Kurzfilm zu ihrem Spielfilmdebüt aus. «Plan 75» ist zurückhaltend und mit Feingefühl inszeniert, stellt aber provokante Fragen. Wieso wird das Leben von Alten und Schwachen so bereitwillig gegen die Wirtschaft ausgespielt? Wo findet man Solidarität in einer kapitalistischen Gesellschaft?
Die Handlung dreht sich um drei Figuren: Michi (Chieko Baisho), eine alte Frau, die sich bei Plan 75 anmeldet. Hiromu (Hayato Isomura), der als Büroangestellter für das Programm arbeitet. Und Maria (Stefanie Arianne), eine Pflegerin aus den Philippinen, die in Japan prekäre Arbeitsbedingungen auf sich nimmt, um die Operation ihrer kleinen Tochter zu finanzieren. Am Ende werden sich die Wege der drei überschneiden.
«Plan 75» erhielt zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt auch am Internationalen Filmfestival Freiburg, wo der Film unter anderem den Hauptpreis gewann. (ggs)
Ab Do 4.5. im Kino
All the Beauty and the Bloodshed
Dokumentarfilm von Laura Poitras, USA 2022, 123 Min.
Als Regisseurin Laura Poitras in «Citizenfour» (2014) den Whistleblower Edward Snowden aufsuchte, löste das ein regelrechtes Thriller-Gefühl aus. Als wären wir live dabei, wenn Geschichte geschrieben wird.
Solche Momente gibt es auch in ihrem neuen Film, einem Porträt der US-Fotografin Nan Goldin. Etwa wenn Goldin, die nach einer Operation das Schmerzmittel Oxycontin verschrieben bekam und danach abhängig wurde, mit Mitstreitenden im Guggenheim-Museum in New York gegen die Pharmafamilie Sackler protestiert und es von den Treppen Flugblätter regnet.
Goldins Kampf gegen die Sacklers, vor allem gegen deren Kunstmäzenatentum, verbindet der Film mit der Biografie Goldins: die schwierige Kindheit, die künstlerische Dissidenz in New York, die Aids-Ära. Und immer wieder ihre schonungslos intime Kunst – gezeigt als Slideshows, so wie Goldin ihre Fotos damals präsentierte. Ein Künstlerporträt mit den Mitteln der investigativen Recherche: Poitras schafft es einmal mehr, den Dokumentarfilm zum Kinoereignis zu machen. (blu)
Arthouse Piccadilly, Houdini
Beau Is Afraid
Horrorkomödie von Ari Aster, USA 2023, 179 Min.
Es ist schon so: Von «Hereditary» über «Midsommar» bis jetzt zu «Beau Is Afraid» sind die Filme des New Yorker Regisseurs Ari Aster immer länger und ein bisschen schwächer geworden. Für sein neues 3-Stunden-Epos muss man ziemlich viel Geduld mitbringen, aber es lohnt sich dann doch: wegen einiger unglaublich absurder Szenen, einer wunderschönen Animationssequenz und wegen Joaquin Phoenix in der Hauptrolle.
Phoenix spielt Beau, einen Mann, der nie ganz erwachsen geworden ist. Eigentlich will er seine ständig enttäuschte Mutter besuchen, gerät dabei aber an ein Hindernis nach dem anderen. Es fängt damit an, dass ihm der Schlüssel und der Koffer gestohlen werden, und dann fällt allmählich sein ganzes Leben auseinander. (ggs)
Arthouse Le Paris, Riffraff
Transatlantic
Historienserie von Anna Winger und Daniel Hendler, D 2023, 7 Folgen
Auf den ersten Blick ist die Serie ein klassisches Biopic, angelehnt an das Leben des amerikanischen Journalisten Varian Fry. Fry siedelte Anfang der 40er-Jahre nach Vichy-Frankreich über, um dort jüdischen Künstlerinnen und Intellektuellen die Ausreise in die USA zu ermöglichen. Unter den 2000 Menschen, denen er half, waren die bedeutendsten Denkerinnen und Kunstschaffenden der Zeit, Hannah Arendt, Franz Werfel, André Breton, Lion Feuchtwanger, Marcel Duchamp, Max Ernst.
Schnell merkt man, wie sich da jemand um eine ganz neue Perspektive auf einen historischen Stoff bemüht. Serienschöpferin Anna Winger («Unorthodox») setzt der Künstler- und Intellektuellenszene von damals in schwelgenden Bildern ein Denkmal.
Die Serie bedient sich auch der filmischen Mittel der Zeit. Wie in einer Screwball Comedy verkleiden sich die Leute ständig, es kommt zu Pannen und Verwechslungen, oder es ist jemand im schlechtesten Moment betrunken. Anna Winger gelingt es, Tragik und Komik auf eine Weise auszubalancieren, die tiefgründig und leicht zugleich ist. (SZ)
Auf Netflix
Bob Spit: We Do Not Like People
Animationsfilm von Cesar Cabral, BR 2021, 90 Min.
In der Reihe «Animierte Realität» zeigt das Xenix Animationsfilme mit dokumentarischem Anteil. Ziemlich wild ist «Bob Spit»: Im Zentrum des Knetfiguren-Abenteuers steht der brasilianische Comiczeichner Angeli, der in Interviews von seinem Schaffen und seinem Leben erzählt. Daneben wirft der Film einen Blick in seinen Schädel: Da der Künstler an einer Schaffenskrise leidet, ist aus den einst saftigen Hirnlandschaften eine Wüste geworden. Dort wohnt der Altpunk Bob Spit, Angelis berühmteste Schöpfung, und kämpft gegen Menschen fressende Elton-John-Mutanten. So gehts nicht weiter: Bob entscheidet sich für die Flucht. (ggs)
Sa 29.4./Fr 5.5./Di 9.5./Mi 10.5./Sa 13.5./Sa 27.5., Xenix
Das Kino durch die Augen von Cyril Schäublin
Regisseur Cyril Schäublin feiert zurzeit mit «Unrueh» einen weltweiten Arthouse-Erfolg und erhielt jüngst den Kunstpreis der Stadt Zürich. Zudem zeigt er im Filmpodium die Werke, die ihn geprägt haben: Das Kino hat ihm eine Carte blanche gegeben. In einem Gespräch mit unserem Film- und Kulturredaktor Pascal Blum kommentiert Schäublin seine Filmwahl. (ggs)
Di 2.5., 20.30 Uhr, Filmpodium
Hommage an Klaus Lemke
Vergangenes Jahr starb der deutsche Filmemacher Klaus Lemke, jetzt widmet ihm die Rote Fabrik eine Mini-Reihe. In fast 60 Jahren drehte Lemke jede Menge Low-Budget-Filme und war Mitgründer der Neuen Münchner Gruppe, die etwa Iris Berben zum Durchbruch verhalf. Zur Berühmtheit wurde Lemke dank «Rocker» (1972): Darin nimmt der Boss einer Biker-Gang einen Teenager unter die Fittiche. Da mischen sich Genrefilm und Doku: Der Regisseur arbeitete mit Laiendarstellern im Hamburger Milieu. (ggs)
Fr 5.–So 7.5., Rote Fabrik; «Rocker»: Sa 6.5., 22 Uhr
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