Business-Idee mit HerzKein Geld für einen Laptop? Er schenkt Ihnen einen
Ohne Computer geht in Corona-Zeiten gar nichts. Der 26-jährige Tobias Schär setzt alte Geräte neu auf und vermittelt sie an hilfsbedürftige Familien.

Er muss ein grosses Herz haben, dieser Tobias Schär, aber er trägt es nicht auf der Zunge. Wenn der 26-jährige Aargauer über sein Projekt spricht, klingt er zunächst eher wie ein Unternehmensberater als ein Wohltäter. Er habe von Anfang an «den Overhead klein gehalten und an die Skalierbarkeit gedacht», sagt er zum Beispiel, und sein spezielles Skillset erlaube ihm, sehr effizient zu sein. Konkret heisst das: Schär kennt sich mit Informatik aus, ist ein sehr strukturierter Mensch, und er mag effiziente Abläufe. Deshalb bringt er mehr unter einen Hut als andere.
Schär steht kurz vor dem Abschluss seines Wirtschaftsinformatik-Studiums und arbeitet daneben schon in einem 70-Prozent-Pensum als Softwareberater. Das allein hätte den 26-Jährigen allerdings nicht in die Schlagzeilen gebracht. Bekannt geworden ist er in den letzten Wochen wegen einer Idee, die er Ende März hatte, als er wegen der Corona-Einschränkungen vor dem Bildschirm statt in einer Bar sein Bier trank. «Wenn die Kinder von zu Hause aus dem Unterricht folgen müssen und die Eltern Homeoffice machen, wird es in vielen Familien zu Computerengpässen kommen», dachte Schär – und gestaltete noch am selben Abend bis vier Uhr früh die Website Wir-lernen-weiter.ch als Vermittlungsplattform für nicht mehr gebrauchte Laptops.
325 Laptops in vier Monaten
«In zahlreichen Haushalten liegen Computer nutzlos herum, die anderswo dringend gebraucht werden könnten», sagt Schär und fügt – wieder ganz im Beraterslang – an, er sei die Sache «iterativ und inkrementell» angegangen. Will heissen: Er hat klein begonnen und sich nicht entmutigen lassen, dass sich in den ersten Tagen nur wenige Spender und Hilfsbedürftige meldeten.
Weil er sah, wie sehr die Schulen teilweise überfordert waren bei der Umstellung auf Online-Unterricht und wie wenig Unterstützung die Familien erhielten, wandte er sich an viele Schulleiter und machte sein Angebot via Social Media und Medienberichte bekannt. Und dieses Engagement zahlte sich aus – so sehr, dass Schär bald an die Belastungsgrenze kam mit seinem Ehrenamt. 325 Laptops hat er in den letzten vier Monaten in Empfang genommen, frisch aufgesetzt und Hilfsbedürftigen kostenlos zugestellt.
Viele Abende, viele Wochenenden hat er damit verbracht, all die Computer mit der nötigen Software und einer vierseitigen Anleitung auszustatten sowie die Anfragen zu filtern und die Geräte jenen zu geben, die sie besonders dringend brauchen.
«Wenn jemand seit zwei Jahren mit einer N-Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz ist, kann ein Laptop einen entscheidenden Unterschied ausmachen für seine Integration.»
Priorität haben mittellose Familien mit Kindern, die kurz vor dem Übertritt ins Berufsleben stehen und ohne eigenen Computer schlechte Karten haben. Doch Schär möchte auch Familien mit Kindern im Primarschulalter berücksichtigen können, «weil diese ohne eigene Hardware rasch den Anschluss im Schlüsselfach Medien und Informatik verlieren». Und schliesslich möchte er auch erwachsenen Stellensuchenden ohne Laptop helfen. «Wenn jemand seit zwei Jahren mit einer N-Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz ist, kann ein Laptop einen entscheidenden Unterschied ausmachen für seine Integration», sagt Schär.
Über 200 Anfragen sind noch pendent, weil Schär zu wenig Geräte bekommen hat. Er geht nun vermehrt auch auf Firmen zu, damit diese ihm ausrangierte oder nicht verkaufte Laptops überlassen, wie das HP Schweiz kürzlich getan hat. Und er strebt Partnerschaften mit Hilfswerken und Gemeinden an, die ihn bei der Auswahl der Empfänger entlasten könnten.
Chancengleichheit in der Bildung
Trotz der hohen zeitlichen Belastung denkt Tobias Schär nicht daran, das Projekt aufzugeben. Bisher hat er das Ganze vom obersten Stock im Elternhaus aus koordiniert, der Billardtisch ist übersät mit Dankeskarten glücklicher Empfängerfamilien. Nun zieht Schär per 1. August in eine eigene Wohnung mit dem erklärten Ziel, dort «eine saubere Arbeitsstation und ein professionelles Lager» einzurichten.
In ehrenamtlicher Tätigkeit hat Schär bis jetzt zwölf Laptops pro Stunde neu aufgesetzt. Sein nächstes Ziel ist, diese Arbeit künftig auf mehr Schultern zu verteilen und moderat bezahlen zu können. «Mit einer Vollzeitstelle könnten wir 500 Geräte pro Monat aufbereiten», rechnet der Wirtschaftsinformatiker vor. Wenn man bedenke, dass 30 Prozent der Ein-Eltern-Haushalte in der Schweiz von Armut betroffen seien, wäre das ein wichtiger Beitrag für mehr Chancengleichheit in der Bildung.
Kampf gegen Elektroschrott
Bleibt die Frage, warum Schär sich so für diese Sache ins Zeug legt, statt wie viele Gleichaltrige in der Freizeit einfach abzuschalten. Er sei nicht immer so sozial gewesen, sogar eher ein «Enfant terrible», sagt Schär. Im Militär habe er dann gelernt, nicht nur für sich zu schauen, sondern alle mitzunehmen. Als Durchdiener-Offizier in der Infanterie habe er 600 Diensttage am Stück absolviert, seine Menschenkenntnis entwickelt und strukturiertes Vorgehen gelernt.
Da er in seinem Hauptjob einen guten Lohn habe, könne er es sich leisten, in der Freizeit etwas zu tun, was keinen materiellen Gewinn, aber viel Genugtuung bringe. «Ich kann Menschen eine neue Perspektive bieten in einem Bereich, wo der Staat nicht schnell genug helfen kann», resümiert der Aargauer, dessen Eltern ein Geschäft mit Werbeartikeln betreiben.
Und auch die Beziehung hat gehalten, obwohl die freie Zeit mit seiner Freundin manchmal knapp war. «Andere gamen 400 Stunden pro Monat oder sind sonst permanent am Handy, ich bewege mich nur für Projektzwecke in den sozialen Medien», sagt Schär. Lieber sorgt er dafür, dass ein Teil der 125’000 Tonnen Elektroschrott, die Herr und Frau Schweizer pro Jahr produzieren, dank seiner Vermittlung und Auffrischung wieder wichtige Dienste leistet.
Weitere Infos zum Projekt von Tobias Schär finden Sie hier.
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