
Wie politische Manipulation funktioniert, kann Christopher Wylie anhand eines Modetrends anschaulich erklären. Der Software-Ingenieur mit dem rosaroten Haar studierte in London das Fach «Modeprognose», heuerte dann bei der unterdessen berüchtigten Firma Cambridge Analytica an, machte für Donald Trump Wahlkampf und hat jetzt als Whistleblower den Missbrauch von 50 Millionen Facebook-Profilen ans Licht gebracht. «Trump war wie ein Paar Uggs», sagte Wylie dem britischen «Observer». Er sprach damit jenes grotesk unförmige Schuhwerk an, in das trotz seiner Hässlichkeit heute Abermillionen modebewusster Frauen ihre Füsse stopfen.
Für Wylie stellte sich die Frage so: Was geschieht mit einem Produkt, von dem zuerst alle denken «Wie hässlich!», bis zu dem Moment, an dem es alle tragen? Übertragen auf Trump heisst das: Wie wird aus einem Kandidaten, von dem alle denken, er sei unfähig und seine Politik sei desaströs, dann doch ein Wahlsieger?
Unbewusste Bedürfnisse
Cambridge Analytica versprach Trumps Wahlhelfer Steve Bannon, dafür eine Antwort zu haben: Massgeschneiderte Botschaften, die auf praktisch unbewusste Bedürfnisse und Unsicherheiten des Wahlvolks abzielen. Bannon war empfänglich für die Idee, weil er von jeher überzeugt ist, dass nicht Fakten und politische Programme Wahlen entscheiden, sondern das Bauchgefühl der Wählerinnen und Wähler. Wer ihre tiefsten inneren Bedürfnisse erkennt und sie dann jeweils individuell darauf anspricht, kann sie auf seine Seite ziehen. Und zwar ohne dass ihnen das auch nur ansatzweise bewusst wird.
Genau dabei glaubte Cambridge Analytica Trump und seinen Geldgebern helfen zu können. Mithilfe von abgesaugten Facebook-Profilen und Terabytes von Informationen aus anderen Quellen sollen Wählerinnen und Wähler gezielt psychologisch vermessen und mit passenden Botschaften berieselt worden sein. Diese hätten dazu beigetragen, aus dem hässlichen Kandidaten einen wählbaren zu machen – und schliesslich einen Präsidenten.
Video – Razzia bei Cambridge Analytica
Ob das wirklich so funktioniert hat? Das ist eine offene Frage. Zu viele Faktoren haben bei Trumps Sieg im November eine Rolle gespielt. Aber allein die Tatsache, dass solche verdeckte Manipulation überhaupt als Machtfaktor und Millionengeschäft ernsthaft diskutiert wird, lässt wahren Demokraten die Herzen gefrieren.
Dieses Gruseln hat Tradition. In den 50er-Jahren warnte der Journalist Vance Packard mit bis heute nachhallendem Echo vor den «hidden persuaders» in den Medien. Diese versteckten Überzeuger – geschickt platzierte, psychologisch raffinierte Werbebotschaften – würden das Kauf- und Wahlverhalten von Millionen beeinflussen. Packard verwies schaudernd auf Aldous Huxleys «Schöne neue Welt» und George Orwells «1984».
Josef Stalin, Diktator der einstigen Sowjetunion, prägte für diese Art Propaganda einen Begriff, der gerade jetzt aktueller tönt denn je. Er rief in den 30er-Jahren seinen Schriftstellern zu, sie sollten «Ingenieure der Seele» sein. Denn, so Stalin, die «Produktion von Seelen» sei für die Zukunft des Kommunismus wichtiger, als es Stahl und Panzer je sein könnten. Er liess mit der verordneten Kunstform des Sozialistischen Realismus die Fassade eines Arbeiterparadieses zimmern, das den Gulag, die Massenvertreibungen und die Massenmorde gekonnt verschleierte.
Leben wir also schon in der «Schönen neuen Welt»? Man weiss es nicht.
Heute sind es tatsächlich Ingenieure, die angeheuert werden, um mit ihren Algorithmen Konsum- und Wahlentscheide zu steuern. Ihre Macht scheint noch weit grösser zu sein. Das Internet mit seinen sozialen Medien multipliziert ihre Optionen. Alle, die sich darin bewegen, hinterlassen ständig Datenspuren. Das öffnet Möglichkeiten für individuell zugeschnittene Beeinflussung, die Packard und Stalin nicht annähernd erahnen konnten.
Leben wir also schon in der «Schönen neuen Welt»? Man weiss es nicht. Der Skandal um Cambridge Analytica zeigt, dass offenbar viele darauf hinarbeiten. Aber die heftigen Reaktionen darauf zeigen auch, dass die Gesellschaft – in den USA wie hier – das nicht einfach so hinnimmt.
Noch ist der Konsens gross, dass die Analogie von Mode und Demokratie Grenzen hat.
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